1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Tragödie: Tragödie: Lichter der Trauer

Tragödie Tragödie: Lichter der Trauer

Von MICHAEL FALGOWSKI 02.02.2011, 19:18

LANGENSTEIN/MZ. - In der Nacht hat es geschneit. Der kleine, gepflasterte Hof an der steilen Gasse in Langenstein ist weiß gepudert. Am ehemaligen Stall steht ein Besen, aus dem Schornstein steigt Rauch. Es sieht so aus, als ob die Bewohner des sanierten gelben Häuschens mit den fröhlichen roten Fensterläden gleich wiederkämen. Doch vor der Haustür flackern Teelichter, liegen Blumen. Auch ein Briefumschlag klemmt da. "Warum?" steht darauf.

Die junge Familie, die hier wohnte, wird nicht zurückkehren - beim Zugunglück von Hordorf starben in der Nacht zum Sonntag die Frau, ihr Lebensgefährte und die zwölfjährige Tochter. Nach Berichten soll auch die Großmutter des Kindes unter den Toten sein. Nur das jüngste Kind, ein zehnjähriges Mädchen, überlebte. Es liegt im Koma im Halberstädter Krankenhaus, ist sehr schwer verletzt.

Die Tragödie, besonders das Schicksal des kleinen Mädchens, bewegen die Langensteiner. "Am Freitag haben wir noch mit den beiden Schwestern geprobt: Sie lernen bei uns Querflöte spielen", sagt Fred Käsewieter. Er leitet den Langensteiner Spielmannzug. "Am Sonnabend sind sie dann alle nach Berlin gefahren. Es war ein Ausflug, die Große feierte ihren 12. Geburtstag." Er hat Tränen in den Augen. "Vielleicht geben wir ein Konzert, um das verletzte Mädchen zu unterstützen", überlegt er. Nein, es müsse dabei nicht unbedingt etwas Trauriges gespielt werden. Eher etwas Fröhliches. "Denn wenn das Kind gesund wird, muss es zurück ins Leben finden." Eine Idee hat Käsewieter schon: "The Lion Sleeps Tonight" - ein Lied aus den 60ern, das im Film "König der Löwen" verwendet wurde. "Das Lied haben die beiden Mädchen sehr gemocht."

Es ist ein sonniger Tag in Langenstein. Seit Jahresbeginn gehört das in ein Felsental gezwängte Fachwerk-Dorf mit rund 1 900 Einwohnern zu Halberstadt. "Was wird aus dem Mädchen, wenn es wieder gesund wird", fragt eine der drei Frauen, die gerade auf den mobilen Fleischer-Wagen warten. "Die Familie war so stolz auf ihr schmuckes Häuschen", fügt eine andere hinzu. Und eine direkte Nachbarin sagt: "Es war so schön, als wieder Kinderlachen in das Haus einzog."

Die Familie lebt erst seit einem halben Jahr im Ort. Daher kennen nicht alle in Langenstein die Zugezogenen, erklärt Lothar Rhein, der am Morgen in seinem kleinen Lebensmittelgeschäft an der Kasse steht. Dennoch bewege auch viele seiner Kunden das Schicksal der Familie.

Neun der zehn Todesopfer stammen aus dem Landkreis Harz. Trauer und Betroffenheit herrschen nicht nur in Langenstein. Auch Harsleben hat es getroffen. In dem Nachbarort von Halberstadt wohnte die getötete Zugbegleiterin des Harz-Elbe-Expresses. Sie hinterlässt drei Kinder - das jüngste von ihnen ist gerade zwölf Jahre alt. In der selben Einfamilienhaussiedlung lebt auch der leibliche Vater der beiden verunglückten Mädchen aus Langenstein. "Er hat seine Tochter im Krankenhaus besucht", sagt eine Harslebenerin, die im einzigen Laden des kleinen Ortes arbeitet. Aber der Vater hasse das Gerede im Dorf. Und dafür hat die Ladenbesitzerin Verständnis. "Man sollte jetzt alle in Ruhe trauern lassen", findet sie.

In Langenstein hat die Kirchengemeinde unterdessen für morgen Nachmittag ein Gedenken organisiert. "Wir wollen einen Ort der Andacht und der Trauer anbieten", sagt Gemeindepädagoge Thomas Klemm. "Der Gottesdienst findet dabei ausschließlich für unser Dorf statt", sagt Ortsbürgermeisterin Ursula Kirste. Doch Zuspruch kommt nicht nur aus Langenstein selbst. "Ich erhalte so viele Anrufe von Leuten, die den Hinterbliebenen helfen wollen", sagt sie. Alle seien tief erschüttert. Sie verweise die Anrufer dann an das Spendenkonto des Kreises. Das wurde zur Unterstützung der Hinterbliebenen eingerichtet. Bis Mittwoch waren 1 000 Euro eingegangen.

Und dann erreicht die Langensteiner noch eine gute Nachricht: "Das Mädchen schwebt nicht mehr in akuter Lebensgefahr", teilte das Halberstädter Klinikum mit. Am verlassenen gelben Haus mit dem flackernden Lichtern der Trauer steht an der Seite eine große bunte Engelsfigur. Sie lächelt. Es sieht nach ein wenig Hoffnung aus.

Das Spendenkonto des Landkreises hat folgende Daten: Kto.-Nr: 33 98 29 680, BLZ: 810 520 00, Verwendungszweck: Für die Hinterbliebenen des Zugunglücks.