Thüringen Thüringen: Gutenberg-Gymnasium feiert 100-jähriges Schuljubiläum

Erfurt/ddp. - «Ich besuchte damals eine andereSchule, aber so etwas Schreckliches bekommt man überall mit», sagtder 19-jährige Gymnasiast nachdenklich. An diesem Tag im April 2002erschoss am Erfurter Gutenberg-Gymnasiums ein ehemaliger Schüler 16Menschen, bevor der Amokläufer sich selbst tötete. Zwei Schüler undzwölf Lehrer, die Schulsekretärin sowie ein Polizist kamen bei demAttentat ums Leben.
Auf einem Festakt zum 100-jährigen Bestehen der Schule am Dienstag(17. Juni) im Theater Erfurt werden mehr als 630 Schüler, dasLehrerkollegium, frühere Absolventen und Gäste auch an die Opfer desAmoklaufs erinnern. Zu der Veranstaltung werden MinisterpräsidentDieter Althaus und sein Vorgänger Bernhard Vogel (beide CDU)erwartet.
Im August 2005 wurde am Schulgebäude eine Gedenktafel angebracht,auf der die Opfernamen stehen. «Die Tat ist das dramatischsteEreignis an dieser Schule gewesen», sagt eine Schülerin, die alsMitglied einer Arbeitsgruppe an der Gestaltung des Jubiläums und demBühnenprogramm mitwirkt. Sie war damals Fünftklässlerin in ihremersten Jahr an der Schule.
Die Frage nach einem Schulwechsel habe sie sich nie gestellt, sagtdie heutige Elftklässlerin. «Die anderen Mitschüler und die Lehrerwurden mit der Zeit so etwas wie eine zweite Familie.» Dasgegenseitige Vertrauen habe maßgeblich geholfen, die Erlebnisseallmählich zu verarbeiten. «Das ändert nichts daran, dass mir dasEreignis immer im Gedächtnis bleiben wird.«
Trotz dieser Erlebnisse besäßen die Schüler am Gutenberg-Gymnasiumdie gleiche Lebensfreude wie ihre Altersgenossen, denen solcheErfahrung erspart blieben, glaubt Rektorin Christiane Alt. Dieintensive Trauerarbeit der vergangenen Jahre habe entscheidend dazubeigetragen, die anfängliche Sprachlosigkeit über das Verbrechen zuüberwinden und den «Schmerz besser artikulieren» zu können. Nach mehrals sechs Jahren sei sie nun endlich selbst in der Lage, die Namender Opfer öffentlich vorzulesen. «Vorher waren die Erinnerungeneinfach zu schmerzhaft, um das zu wagen", sagt Alt.
Zwar sei die Bluttat die «schrecklichste Episode» der Schule, abernicht gleichzusetzen mit ihrer wechselhaften, 100-jährigen Historie,betont die Schulleiterin. Der Festakt werde sich auch anderenAspekten der Schulgeschichte widmen. Angefangen von der 1908 imJugendstil erbauten Johann-Gutenberg-Schule, deren Räume in beidenWeltkriegen als Lazarett dienten und der polytechnischen Oberschule,die bis zur Wende 1989 in dem Gebäude beheimatet war.
Die Erinnerung an die Opfer des Amoklaufs werde aber immer einwesentlicher Bestandteil des schulischen Lebens bleiben, betont Alt.Schüler, die auf das Gutenberg-Gymnasium wechseln, würden ebenso wieihre Eltern ausdrücklich darauf hingewiesen. «Wir leben aktiv mit derGeschichte und haben eben spezielle Rituale des Erinnerns.«
Heute unterscheide sich der Schulalltag am Gutenberg-Gymnasiumnicht von anderen Schulen, schildert Robert seine Eindrücke. »DieLehrer geben natürlich Auskunft, wenn sie danach gefragt werden«,sagt der Gitarrist einer Schülerband, der ebenso wie SchulkameradSven erst seit diesem Schuljahr das Gutenberg-Gymnasium besucht.
Schon vor seinem Schulwechsel hat Sven an den Gedenkfeiern derGutenberg-Schule teilgenommen, um sich mit der Vergangenheit derSchule auseinanderzusetzen. »Ich wollte den Opfern einfach dennötigen Respekt erweisen», sagt der 18-Jährige. Für ihn sei derFestakt deshalb ein wichtiges Ereignis.