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Tanztempel in Eisenach Tanztempel in Eisenach: Big Brother in der Großraumdisco

Von Silke Katenkamp 06.03.2008, 07:39
Clubbesitzer Stefan Wagner steht in seinem Büro in der Discothek MAD in Eisenach vor einer Videowand, auf der die Bilder von insgesamt 62 Videokameras angesehen werden können. (Foto: dpa)
Clubbesitzer Stefan Wagner steht in seinem Büro in der Discothek MAD in Eisenach vor einer Videowand, auf der die Bilder von insgesamt 62 Videokameras angesehen werden können. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Eisenach/dpa. - Kamera 34 hat eineTanzfläche im Visier: schwitzende Körper, abwechselnd in blaues,grünes und violettes Licht getaucht. Harmlose Szenen in derEisenacher Diskothek MAD. Doch was passiert dort auf dem Parkplatz?Kamera 15 verfolgt zwei Schatten, die verdächtig um ein Autoschleichen. Clubbesitzer Stefan Wagner zoomt heran - und gibtEntwarnung: nur zwei knutschende Teenager.

Samstag, 24 Uhr - rund 1500 Besucher drängen sich in Thüringensgrößtem Tanztempel. Inhaber Wagner hat alles unter Kontrolle. Dennhinter der zweistöckigen Partyzone in einem Nebenbau hat sich der40-Jährige eine Überwachungszentrale nach orwellschen Visionenerrichtet. Auf eine Leinwand überträgt ein Beamer die Bilder voninsgesamt 62 Videokameras - so viele wie in keiner anderen Diskothekin Deutschland. Von Theken bis zu Toilettenvorräumen - Wagner hatfast jeden Winkel des 2900 Quadratmeter großen Gebäudes im Blick.

Für die Totalüberwachung hat der Disco-Betreiber sich vor zweiJahren entschieden. «Wir hatten immer wieder Vorfälle vonVandalismus und Gewalt.» Deswegen hat er rund 100 000 Euro in dieSicherheit investiert. Glaubt man ihm, hat sich die Summe gelohnt:«Die Kriminalität ist drastisch zurückgegangen.»

Wagner sitzt aber nicht ständig vor der Videoleinwand. Ihmreicht, dass alle Bilder für sechs Monate auf einem 8000 Gigabyte-Server gespeichert werden. «Wenn etwas passiert, stellen wir dieDaten der Polizei zur Verfügung.» Auf diese Weise ist schon somancher Fall gelöst worden. «Das spricht sich rum und schreckt ab.Über eine rote Ampel fährt ja auch keiner, wenn da geblitzt wird.»

Christian Pfeiffer bezweifelt das. Der Leiter desKriminologischen Forschungsinstituts in Hannover geht davon aus,dass die Diskotheken ihre Hauptprobleme - Drogen und Gewalt - aufdiese Weise nicht in den Griff bekommen. «Die Menschen weichen ganzeinfach auf die Bereiche ohne Überwachung aus.» Außerdem entwickelnsich aggressive Konflikte meist spontan, wenn Alkohol im Spiel ist.«Wenn da jemand zuschlagen will, wird er nicht zuerst an die Kameradenken.»

Doch nicht nur beim Thema Sicherheit hat Clubchef Wagner «gernealles unter Kontrolle». Um sein Geschäft anzukurbeln, hat er eineMitgliederkarte entwickelt, auf der Getränke und Bestellzeitgespeichert werden. Etwa 40 Prozent seiner Gäste nutzen die Kartebereits. Dafür gibt es Vergünstigungen wie freien Eintritt. ImGegenzug erhält Wagner Name, Alter, Wohnort und Handynummer derBesucher. Mit diesen Daten kann er Personenprofile erstellen.

«Das ermöglicht uns zum Beispiel, den Gast an der Theke mit Namenanzusprechen und ihm sein Lieblingsgetränk anzubieten.» Er zeigt aufeinen jungen Mann, der sich laut Computer zuletzt um 00.20 an dergroßen Theke in der zweiten Etage ein Pils bei Barfrau Cathleenbestellt hat. «Am liebsten trinkt er aber offenbar Wodka-Energy.»Unter dem Namen und dem Foto des Mannes, der 23 Jahre alt ist undaus einem kleinen Ort in der Nähe von Eisenach kommt, stehen sechsWodka, fünf Sambuca, ein Hefe-Weizen und zwei Pils. «Insgesamt hater heute 49,90 Euro ausgegeben», liest Wagner. «Der besteEinzelumsatz der Nacht.»

Seine Gäste scheint die Totalüberwachung nicht zu stören, wie die18-jährige Julia, die sich im abgetrennten Mitgliederbereich amkostenlosen Buffet mit Sektbowle und Käsehäppchen eindeckt. Dass siedafür ihre Daten verkauft stört sie nicht. «Das ist zwar enorm, wasdie hier über mich wissen, aber ich habe ja nichts zuverheimlichen.»

Datenschützer sehen das anders. Der Thüringer Beauftragte BerndSchöneweck hat gegen Wagners Konzept zwar prinzipiell nichtseinzuwenden - wenn das System für alle Gäste transparent ist. Docher warnt vor Pannen. «Es besteht immer die Gefahr, dass Daten in dieHände unberechtigter Dritter kommen. Die könnten sie ins Internetstellen. Da stehen sie dann für die Ewigkeit.»

Die halbjährliche Speicherung der Überwachungsbilder gehtSchöneweck allerdings zu weit. «Wenn nichts vorgefallen ist, müssenVideobilder nach ein paar Tagen gelöscht werden.» Stefan Wagnersieht die Kritik gelassen. Im Gegenteil: Sein Big-Brother-Konzepthat er mittlerweile schon an 25 weitere Diskotheken verkauft.