Prozess nach tödlicher Messerattacke Syrer in Dresden vor Gericht - Opfer schildert Angriff
Dresden - Schreie, Hilferufe, Entsetzen: Die für einen 55-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen dauerte die tödliche Messerattacke vom 4. Oktober 2020 in Dresden nur Sekunden. Der Angreifer war nicht einmal eine Minute am Tatort - und danach blitzschnell jenseits des Stadtzentrums. Das geht aus dem Bewegungsprofil auf Basis der Geodaten seines Handys hervor, das ein Beamter des Bundeskriminalamtes am Freitag im Oberlandesgericht (OLG) Dresden erläuterte.
Der Überlebende des Verbrechens und mehrere Augenzeugen beschrieben das brutale Vorgehen des Täters und die Folgen. „Wir sind in die Gasse gebogen und plötzlich kam ein Schlag, völlig überraschend, in den Rücken“, berichtete das Opfer. Der Kölner wurde per Videoschalte im Landgericht Bonn befragt, um ihm die Aussage im Dresdner Gericht in Anwesenheit des Angeklagten zu ersparen.
Der 54-Jährige wurde lebensgefährlich verletzt, sein Partner aus Krefeld getötet. Die beiden Männer waren seit mehr als sieben Jahren ein Paar, im Urlaub und nach dem Abendessen fröhlich durch die Altstadt geschlendert. Im ersten Moment dachte er, dass jemand sie erkannt und ihnen freundschaftlich „wie auf die Schulter“ geklopft hat, sagte der sichtlich traumatisierte Mann. Sie hätten sich umgedreht, angeschaut, eine starke Bedrohung gespürt - und dann vergeblich um Hilfe gerufen.
Das Danach liegt im Dunkel. „Ich kann mich an nichts erinnern und bin, ehrlich gesagt, auch froh drüber“, sagte der drahtige Lohnbuchhalter. Er wisse nur noch, dass er am Boden lag, eine Frau seine Hand hielt. „Ich bekam so schlecht Luft, zu wenig Luft. Irgendwann tat der Rücken weh.“ Krankenwagen, Krankenhaus, OP und immer wieder die Frage nach seinem Partner, zählt er die Erinnerungen auf. Die Ärzte sagten ihm die Wahrheit erst am nächsten Tag.
Angeklagter betrachtete die Homosexualität des Paares als „schwere Sünde“
Ein 21 Jahre alter Syrer ist wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, die Männer mit zwei zuvor gekauften Küchenmessern von hinten niedergestochen zu haben. Das Motiv sieht sie in der radikal-islamistischen Gesinnung des jungen Mannes. Er habe die Homosexualität des Paares als „schwere Sünde“ betrachtet und es dafür mit dem Tode bestrafen wollen. Er wurde knapp drei Wochen später anhand einer DNA-Spur identifiziert und gefasst.
Beim ersten Prozesstag zeigte der Angeklagte keine Reue. Auch an diesem zweiten Verhandlungstag wirkt er, als wenn ihn alles nichts anginge. Emotionslos schaut er den Mann auf dem Bildschirm an, hört die Übersetzung seiner Worte - in seinem Gesicht regt sich nichts.
Zeugin schildert die Tat: „Ich merkte schnell: Das ist schlimmer, da ist schon Blut.“
„Ich habe gesehen, wie er zugestochen hat“, schilderte eine 34-Jährige das Geschehen, die mit einer Freundin im Café gegenüber dem Tatort saß. Als diese plötzlich sagte, dass sich da welche prügeln, schaute sie aus dem Fenster. „Ich merkte schnell: Das ist schlimmer, da ist schon Blut.“ Einer der Männer habe schon am Boden gelegen, der andere sich an einem Bauzaun festgehalten. Nach „drei, vier“ Hieben sei er zusammengesackt. Der Angreifer habe etwas weggeworfen, ehe er weggerannt sei.
Die Freundin der Zeugin gab bei der Polizei zu Protokoll, dass es für sie so aussah, als ob beide Männer zugleich von einem Täter angegriffen wurden. „Ich hatte den Eindruck, als ob er zwischen den beiden getanzt hätte wie beim Kampfsport.“ Eine 56-Jährige beobachtete zeitgleich aus ihrem Hotelfenster, wie ein Mann gegen den Bauzaun fiel, „richtig dranknallte“, und ein zweiter zu Boden ging. Sie hätten „fürchterlich geschrien“ vor Schmerzen. „Zumindest einer hat um Hilfe gerufen.“ Ein dritter, dunkelhaariger Mann, sei weggerannt. „Es ging alles sehr schnell.“
Der 54-Jährige leidet noch immer unter den Folgen des Verbrechens. Die körperlichen Wunden seien verheilt, nur die Taubheit um die Schnitte in Rücken und Bein erinnerten daran. Bei der Frage nach seinem seelischen Zustand kämpfte er wieder mit den Tränen: „Es fällt schwer, die Trauerbewältigung“, sagte er. „Wenn ich abgelenkt bin, dann geht's, aber ansonsten ...“ Auch da zeigte der Angeklagte keine Regung.
Der Prozess wird am 22. April fortgesetzt. (dpa)