Starkstromleitung Starkstromleitung: 110 Kilometer mehr durch Sachsen-Anhalt?

Halle - Wolmirstedt ist das neue Bad Lauchstädt. Nahe der 11 000-Einwohner-Stadt im Bördekreis nördlich von Magdeburg, nicht mehr in dem Kurort südlich von Halle, soll nun die umstrittene Gleichstrompassage Süd-Ost beginnen. Sachsen-Anhalt wäre damit noch deutlich stärker betroffen von der Leitung, die Strom nach Süddeutschland transportieren soll, wenn dort die Kernkraftwerke abgeschaltet werden.
Rund 110 Kilometer Stromkabel kämen im Land dazu. Der Grund dafür ist komplex und hat eine Abkürzung: EEG. Im Frühjahr hatte der Bund die Förderung von Windkraftanlagen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz gedeckelt: Ab einer bestimmten Zusatz-Leistung neuer Windräder gibt es für die Betreiber weniger Geld. Die vier großen deutschen Netzbetreiber, darunter 50 Hertz, zuständig für die Süd-Ost-Passage, haben daraufhin noch einmal gerechnet: Wo werden entsprechend der geänderten Fördersätze in zehn Jahren noch neue Windkraftanlagen gebaut, wo eher nicht?
Das Ergebnis fasst Axel Happe von 50 Hertz so zusammen: „Der Zubau an Windkraft wird sich vom Süden und Westen in den Nordosten Deutschlands verschieben.“ Deshalb werde auch die Süd-Ost-Passage in den Norden verlängert, um den dort zusätzlich gewonnen Windstrom „einsammeln“ zu können. Allerdings: Es handelt sich um Prognosen. Ob die eintreffen, weiß niemand.
Davon abgesehen, ist die Trasse längst ein Politikum. Im Sommer hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) erklärt, der bisher geplante Korridor für die Leitung werde so nicht kommen - und so Hoffnungen von Anliegern entlang der künftigen Trasse geweckt. Das war ein Zugeständnis an Bayern, wo die Proteste gegen das Projekt besonders stark sind. Und an Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU), der die Trasse gar nicht haben möchte.
Nun kommt sie also doch, aber anders als gedacht. Sachsen-Anhalt begrüßt die Verlängerung, weil das Land so noch mehr Windstrom exportieren kann. „Eine erfolgreiche Energiewende ist nur im Paket mit dem Netzausbau zu haben“, sagt Tamara Zieschang, Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium. Nach Ministeriumsangaben exportiert Sachsen-Anhalt schon seit Jahren Strom. Im vergangenen Jahr wurden 23,1 Milliarden Kilowattstunden produziert, aber nur 15,9 im Land selbst verbraucht.
Regionale Stromnetze?
Die Umweltverbände sehen das kritisch. „Man sollte lieber in Forschung zu Speichertechnologien investieren als in den Netzausbau“, sagt Annette Leipelt, Landesgeschäftsführerin des Naturschutzbundes Nabu. Der Verband hält die Ausbaupläne bundesweit für überdimensioniert. Länder wie Bayern hätten bereits angekündigt, stärker auf dezentrale Versorgung zu setzen. Dann blieben riesige neue Leitungen, für die kein Bedarf da sei. Auf den Kosten dafür blieben am Ende die Verbraucher sitzen, indem die Strompreise stiegen, befürchtet Leipelt.
„Die Süd-Ost-Passage ist nicht notwendig“, sagt auch Oliver Wendenkampf vom Bund für Umwelt und Naturschutz. Der Landesgeschäftsführer plädiert stattdessen für regionale Stromnetze in einem Umkreis bis 50 Kilometer. Sachsen-Anhalt mit einem Überschuss an Strom sei dafür gut geeignet. „Dann brauchen wir keine Stromtrasse mehr quer durch die Republik.“
Wenn die Leitung schon gebaut werde, müssten die Eingriffe in Natur und Landschaft so gering wie möglich gehalten werden, fordert Annette Leipelt vom Nabu. Siedlungen und Naturschutzgebiete müssten gemieden werden. Der Bördekreis etwa, wo die Trasse nun beginnen soll, sei durch die Autobahn A 2 und den Mittellandkanal schon jetzt „stark gebeutelt“.
Wie die Süd-Ost-Passage von dort gen Süden verläuft, das ist allerdings noch völlig offen. Der sogenannte Netzentwicklungsplan, in dem die Verlängerung steht, definiere nur den Start- und den Endpunkt der Trasse, sagt Axel Happe vom Netzbetreiber 50 Hertz. „Dazwischen muss alles neu betrachtet werden.“
Alles muss neu geplant werden
Das gelte auch für den bisherigen Verlauf von Bad Lauchstädt aus, für den bereits ein Korridor mit mehreren möglichen Trassenführungen in den Plänen steht. Die Vorzugsvariante entlang der A9 werde sicher weiter mit betrachtet werden, so Happe, es könnten aber auch noch neue Varianten hinzukommen. Vorgesehen ist ein Verfahren mit mehreren Stufen: Erst muss die Bundesnetzagentur die Verlängerungspläne bestätigen. Dann können sie in das eigens für den Netzausbau verabschiedete Bundesgesetz geschrieben werden. Erst danach können die Planungen beginnen, wo genau die Leitung verläuft. (mz)
