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"Schutzlos auf See" "Schutzlos auf See": DDR-Schiffe im Fadenkreuz des Klassenfeinds

Von Kai Agthe 16.11.2019, 21:48
Die „Völkerfreundschaft“ wurde 1962 wider Willen zum Blockade-Brecher, als das DDR-Passagierschiff mit 577 Urlaubern an Bord während der Kuba-Krise den Hafen von Havanna anlief.
Die „Völkerfreundschaft“ wurde 1962 wider Willen zum Blockade-Brecher, als das DDR-Passagierschiff mit 577 Urlaubern an Bord während der Kuba-Krise den Hafen von Havanna anlief. picture-alliance

Berlin - Nach langer Diskussion mit seinen Beratern bestimmte US-Präsident John F. Kennedy: „Morgen wollen wir das Schiff nicht versenken. Ich denke, wir können es passieren lassen.“ Bei dem Schiff, das unbehelligt bleiben sollte, handelte es sich um das DDR-Passagierschiff „Völkerfreundschaft“, das im Oktober 1962 trotz der soeben von den USA verhängten Kuba-Blockade Havanna ansteuerte.

Auch wenn die „Völkerfreundschaft“, die 522 Urlauber aus der DDR und 55 aus der CSSR an Bord hatte, nicht von der US-Marine aufgebracht wurde, zeigt dieser Zwischenfall aus der Zeit der Kuba-Krise des Jahres 1962 eins: „Die ,Völkerfreundschaft‘ war damit zu einem Faktor in einer weltpolitischen Krise geworden.“ Dieses Fazit zieht der Hamburger Autor Wolfgang Klietz, der im jüngst erschienenen Buch „Schutzlos auf See“ militärische und zivile Vorfälle rekonstruiert, die sich gegen Passagier- und Handelsschiffe der DDR richteten.

Passagiere der „Völkerfreundschaft“ ahnten nichts von der Gefahr

Die Menschen an Bord der „Völkerfreundschaft“ hatten zu dem Zeitpunkt, da das DDR-Schiff auf Kuba zusteuerte, keine Ahnung, in welch brenzliger Situation sie sich in diesen Stunden befanden, so der Autor. Die Urlauber aus der DDR, für die seit dem Mauerbau im Jahr zuvor die weite Welt nicht mehr ohne weiteres erreichbar war, freuten sich auf die Ankunft auf der Karibikinsel und deren mehrtägige Erkundung.

Aufgrund der großen politischen Spannungen - die zwischen den USA und der Sowjetunion entstanden waren, nachdem Chruschtschow auf der Insel Atomraketen hatte stationieren lassen - ist der Aufenthalt der „Völkerfreundschaft“ in Havanna von sechs Tagen auf einen Tag verkürzt worden. Dann kehrte das Schiff auf Weisung aus Ost-Berlin nach Rostock zurück.

Seit den Geschehnissen rund um die Kuba-Krise des Jahres 1962, als die Welt nur knapp einem neuerlichen Weltkrieg entging, rätseln Schifffahrtsexperten, was die DDR bewogen haben könnte, die „Völkerfreundschaft“ nicht zurück zu beordern, ehe sie kubanische Hoheitsgewässer erreichte. Klietz hat mehrere Antwortmöglichkeiten anzubieten: So hätte die Reise ein Akt der „demonstrativen Solidarität“ sein können in der Hoffnung, dass das seit 1959 sozialistische Kuba die DDR diplomatisch anerkennen möge.

Vielleicht wollte die DDR-Führung mit der Aktion auch testen, wie hoch die Toleranzschwelle der USA sei. Zu diesen möglichen Gründen, Havanna anzusteuern, kommen noch zwei praktische: Einerseits soll auf der „Völkerfreundschaft“ das Trinkwasser zur Neige gegangen sein, andererseits habe der Kapitän des Urlauberschiffs schlicht und ergreifend „von der Reederei keine neuen Anweisungen erhalten“. Was bedeutete: „Der Fahrplan war weiterhin gültig.“

Ein Anschlag der Südafrikaner?

Diese Reise ging für die „Völkerfreundschaft“ glimpflich aus. Das konnten aber nicht alle DDR-Schiffe von sich behaupten. Wie etwa die „Arendsee“, ein Frachter der Deutschen Seereederei Rostock. Ihr Schicksal wurde 1984 im Hafen von Luanda, der Hauptstadt Angolas, besiegelt. Zwei Haftminen detonierten am Schiffskörper, was zu schweren Schäden an der „Arendsee“ führte. Vermutet wird, dass Agenten des südafrikanischen Apartheid-Regimes den Anschlag ausgeführt haben, weil das DDR-Schiff „Solidaritätsgüter“ an Bord hatte, die für Befreiungsorganisationen in Afrika bestimmt waren, darunter 28 Lastwagen der DDR-Marke W 50 für die Swapo, damals eine marxistische und deshalb auch von der DDR ideell und materiell unterstützte Befreiungsbewegung in Namibia.

In Rostock und Berlin war man, so Wolfgang Klietz, zunächst ratlos, was aus der schwer beschädigten „Arendsee“ werden sollte, deren Maschinenraum überflutet war, wo Seewasser innerhalb von vier Wochen - die ohne eine Entscheidung über deren weiteres Schicksal vergingen - alle Anlagen zerstört hatte. Nachdem ein Kostenvoranschlag zeigte, dass eine Reparatur in einer westlichen Werft bis zu 4,6 Millionen Dollar kosten würde, entschied sich die DDR, den Havaristen aufzugeben und „körperlich zu beseitigen“. Die erst 1978 in Rostock vom Stapel gelaufene „Arendsee“ wurde von einem russischen Schlepper aufs offene Meer gezogen. Nach dem Kappen der Schleppleine versank das Schiff mit dem Heck voran in den Fluten.

Die „Magdeburg“ wird gerammt

Mehr Glück hatte die MS „Halberstadt“ im Jahr 1972. Der Frachter lag im Hafen der vietnamesischen Metropole Haiphong vor Anker. Zwar war der Vietnam-Krieg in vollem Gange, aber die Hafenstadt galt als sicher. Am 16. April jedoch griffen US-Flugzeuge in mehreren Wellen die Stadt an. Obwohl die „Halberstadt“ nicht gezielt attackiert wurde, traf sie eine Rakete, durchschlug den Schiffskörper und explodierte unmittelbar neben diesem, so dass ein zwei Meter hohes und zehn Meter breites Loch in der Schiffswand klaffte. Die Besatzung kam mit dem Schrecken davon.

Dass DDR-Seeleute einen Zuschlag zur Heuer bekamen, wenn sie Krisengebiete befuhren, führte die Staatsreederei aber erst auf Drängen der Crew des Handelsschiffs „Naumburg“ ein, nachdem der Frachter 1969 vor der Küste Vietnams nur knapp Granaten entgangen war, die ein US-Flugzeug auf eine vietnamesische Flak-Stellung gerichtet hatte.

Gerüchte um Untergang der „Magdeburg“ auf der Themse

Die genannten Beispiele sind, wie Wolfgang Klietz zeigen kann, nur die Spitze des Eisberges aus kleinen und großen Vorkommnissen, die in 40 Jahren auf den Weltmeeren zu verzeichnen waren. Ein weiterer Fall, der von Fahrensleuten und Schifffahrthistorikern noch immer eifrig diskutiert wird, ist der Untergang der „Magdeburg“ 1964 auf der Themse. Das DDR-Schiff kollidierte dort mit dem japanischen Frachter „Yamashiro Maru“. Bis heute halten sich Gerüchte, die „Magdeburg“ sei im Auftrag des US-Geheimdienstes CIA gerammt worden, weil das Schiff 42 für Kuba bestimmte Leyland-Busse an Bord hatte.

Die Sanktionsbestimmungen der USA wollten es zwar, dass keine westliche Technologie auf die kommunistisch regierte Karibik-Insel exportiert werden durfte. Dass die CIA aber Drahtzieher der Kollision gewesen sei, gilt als wenig wahrscheinlich. Auch die Ermittlungen des Ministeriums für Staatssicherheit, die erst 1981 eingestellt wurden, enthalten keinen Hinweis auf die Verwicklung eines westlichen Geheimdienstes in das Unglück, so Klietz. Ursächlich für die Katastrophe, die zum Totalverlust von Schiff und Ladung führte, sei wohl ein nautischer Fehler auf der „Yamashiro Maru“ gewesen.

Crew der „Altmark“ rettete Besatzung des japanisch Havaristen 

Man kann es Ironie des Schicksals nennen, dass auch der japanische Frachter ein tragisches Ende fand: In einem Seegefecht im Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und Syrien 1973 wurde das Schiff in Brand geschossen und sank vor der syrischen Stadt Latakia. Es war die Crew des DDR-Schiffs „Altmark“, die der Besatzung des Havaristen half. „Erst versenken wir eines eurer Schiffe, jetzt helft ihr uns“, sagte ein Seemann der „Yamashiro Maru“ zu Clemens Külberg, der zur „Altmark“-Besatzung gehörte.

Attacken hatten aber nicht nur die Handelsschiffe der DDR zu verzeichnen, sondern auch Fischereischiffe. Die „Grete Walter“ und „Magnus Poser“ etwa wurden 1983 vor Mauretanien beschossen, weil sie angeblich widerrechtlich in den Fanggründen unterwegs waren. Und das Fang- und Verarbeitungsschiff „Ludwig Turek“ wurde 1989 von der argentinischen Küstenwache mit Waffengewalt gestoppt, weil es die 200-Meilen-Zone des Landes verletzt haben soll. (mz)

›› Wolfgang Klietz: „Schutzlos auf See - Angriffe auf die zivile Schifffahrt der DDR“, Hinstorff-Verlag, 184 Seiten, 25 Euro

Die Foto-Sequenz zeigt das Frachtschiff „Arendsee“, ..
Die Foto-Sequenz zeigt das Frachtschiff „Arendsee“, ..
Sammlung Neuendorf
.. das 1984 vor Luanda (Angola) von zwei Haftminen so schwer beschädigt wurde, dass ...
.. das 1984 vor Luanda (Angola) von zwei Haftminen so schwer beschädigt wurde, dass ...
Sammlung Neuendorf
..  man es aufs offene Meer zog und dem Untergang preisgab. 
..  man es aufs offene Meer zog und dem Untergang preisgab. 
Sammlung Neuendorf
Die Foto-Sequenz zeigt das Frachtschiff „Arendsee“, das 1984 vor Luanda (Angola) von zwei Haftminen so schwer beschädigt wurde, dass man es aufs offene Meer zog und dem Untergang preisgab. 
Die Foto-Sequenz zeigt das Frachtschiff „Arendsee“, das 1984 vor Luanda (Angola) von zwei Haftminen so schwer beschädigt wurde, dass man es aufs offene Meer zog und dem Untergang preisgab. 
Sammlung Neuendorf