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Schmalkalden Schmalkalden: Als sich die Erde auftat

Von KATRIN LÖWE 01.11.2010, 21:20

SCHMALKALDEN/MZ. - Roland Stark kann es noch immer nicht glauben. Mitten in der Nacht hat sich vor den Häusern in der Walter-Rathenau-Straße der riesige Krater aufgetan. 20 000 bis 25 000 Kubikmeter Erde, einfach verschwunden in der Tiefe. Jetzt blicken er und seine Nachbarn auf fünf Garagen, bei zweien hat es schon Wände und Tore weggerissen. Immer wieder ist im Laufe der vergangenen Stunden Erdreich nachgerutscht. Ein Audi hängt nun nahezu in der Luft, auch der daneben stehende Transporter hat keinen Boden mehr unter den Hinterrädern. Ein anderes Auto ist ganz verschwunden - es war vor den Garagen geparkt. 100 Meter Luftlinie weiter stehen die Menschen auf dem Parkdeck eines Einkaufsmarktes und starren schockiert hinüber. Das Loch in der Straße ist von dort aus gar nicht zu sehen, dafür der tiefe Riss in der Mauer eines nahen Reihenhauses.

"So etwas hat hier keiner erwartet", sagt Stark, dessen Garage direkt an dem Erdloch steht, und ringt um Fassung. Seit 20 Jahren wohnt er in der Hangsiedlung in der schmucken Fachwerkstadt im Südwesten des Thüringer Waldes. Viele Häuser hier sind um die Jahrhundertwende gebaut, wurden nach der Wende saniert. Die Straße vor der Garage sei gerade frisch geteert worden, sagt Stark. Noch wissen er und seine Frau nicht, wann sie wieder in ihr Heim zurückkehren können. "Wir haben gedacht, wir sind hier auf dem Hang sicher."

Bislang dachte das auch Schmalkaldens Bürgermeister Thomas Kaminski. Ein Erdfall! Noch am Sonntag hätte er gesagt: "Da muss ich mir keine Gedanken machen, Schmalkalden hat kein Bergbaugebiet", erzählt er.

Als am Montag um 5.30 Uhr sein Telefon klingelt, von einem Loch in der Straße die Rede ist, fragt er noch nichts ahnend, ob das nicht anderthalb Stunden warten könne. Die Information, dass da ein Auto reinpasst, hält er anfangs für übertrieben. Er wird eines Besseren belehrt: Es passen viele Autos rein. Rund eintausend Lastzüge voller Kies sind nötig, um das Loch zumindest an der Oberfläche zu füllen, schätzt der Bürgermeister später.

Dabei, wird bald klar, hatten am Ende alle noch irgendwie Glück im Unglück. Ein Erdrutsch dieses Ausmaßes "zu einer anderen Tageszeit oder 20 Meter weiter links oder rechts", sagt Thüringens Umweltminister Jürgen Reinholz (CDU): Dann hätte es mit Sicherheit Verletzte gegeben. Bis zum späten Nachmittag liegen der Polizei weder Verletzten- noch Vermisstenmeldungen vor. Neun Häuser allerdings sind aus Sicherheitsgründen evakuiert worden, 25 Menschen mussten ihr Heim verlassen.

Ein Teil von ihnen wird um kurz nach drei Uhr von Polizei und Feuerwehr aus dem Bett geklingelt. Für 15 Minuten dürfen sie später unter strenger Absicherung noch einmal zurück, um die wichtigsten persönlichen Dinge aus den Häusern zu holen, erzählt Feuerwehr-Einsatzleiter Michael Pfunfke. Mit Kleidung werden sie von örtlichen Einzelhändlern versorgt. Denen, die nicht bei Bekannten oder Verwandten unterkommen, stellt die Stadt Unterkünfte. Pfunfke ist seit mehr als zwei Jahrzehnten Feuerwehrmann. Erdrutsche haben in seinem bisherigen Dienst keine Rolle gespielt.

Unter Experten hat derweil das große Rätselraten um die Ursache des rund 30 mal 30 Meter großen Lochs begonnen. Mit unterirdischen Luftschutzbunkern, über die Einwohner in der Stadt spekulieren, lasse sich ein derart großer Krater nicht erklären, sagen sie. Geologe Lutz Katzschmann spricht von einem "natürlichen Erdfall", der drei Ursachen haben könne: Wasser hat entweder Steinsalz, Kalziumsulfate oder Kalkstein ausgespült und einen unterirdischen Hohlraum geschaffen, dessen Ausmaß die Fachleute bislang noch nicht einmal erahnen können. Noch in den kommenden Tagen sei mit dem Nachrutschen von Erde zu rechnen, sagt Katzschmann.

"Die Zeit sitzt uns im Nacken. Wir müssen schnellstmöglich Stabilität in den Boden bekommen", betont Bürgermeister Kaminski deshalb. Das Problem dabei: Bislang wissen die Einsatzkräfte nicht, ob und wie sie mit schwerer Technik an den Krater kommen, ohne sich dabei selbst zu gefährden.

Der Umweltminister ist den ganzen Nachmittag dabei, Förderbänder zu organisieren. Ob das klappt, ist unklar. So wie vieles noch unklar ist, Stunden nachdem sich in Schmalkalden die Erde aufgetan hat. Wann und ob überhaupt die Menschen in ihre Häuser zurück kehren: Eine Prognose will jetzt niemand wagen.