"Schlag Dich fit" in Halle "Schlag Dich fit" in Halle: Zu Besuch im ersten Wutraum Europas

Halle (Saale) - Als der Vorschlaghammer in meiner Hand den Bildschirm des Röhrenfernsehers trifft, hallt ein dumpfer Donner durch den Raum. Ich schaue mir mein Machwerk an. Die Scheibe des Fernsehers ist demoliert, die Bildröhre implodiert. Wie einfach, denke ich zuerst. Ich bin ein kleines bisschen stolz, aber irgendwie auch erschrocken. Vielleicht hätte den Fernseher noch jemand gebraucht.
„Na los, weiter“, ruft Marcel Braun in meine Überlegungen hinein. Er steht im Türrahmen des Wutraums, in dem ich mich gerade befinde. Ich befolge seine Anweisungen, wuchte den Vorschlaghammer wieder in die Luft und traktiere den Fernseher weiter. Die Plastikverkleidung splittert, die Scheibe bricht unter den Schlägen zusammen.
Alltagsstress abbauen
„Gut so“, bestätigt mich Braun von der Seite. Langsam verspüre ich eine leichte Freude am Demolieren. Wer braucht in Flachbildzeiten schon eine Röhre? Schlag um Schlag wird aus dem antiken Gerät ein Brei aus Glas und PVC. Nachdem der Fernseher zerlegt ist, mache ich eine kurze Pause. Zerstören strengt an. „Es dauert immer ein paar Schläge, bis man so richtig drin ist“, sagt Braun. Er weiß, wovon er spricht. Immerhin hat er schon viele Leute im Wutraum wüten sehen.
Zusammen mit seinem Geschäftspartner Ronny Rühmland hat Braun das Label „Schlag Dich fit“ im August vergangenen Jahres gegründet. Unter diesem Namen betreiben sie den Wutraum in Halle. „Hier kann man seine ganze angestaute Aggression und den Alltags-Stress abbauen“, erklärt Rühmland das Konzept. Die beiden richten dazu zwei Zimmer in einem Hinterhaus mit ausgedienten Möbeln ein. Hinzu kommen alte Fernseher und anderer Elektroschrott. Bis zu drei Personen dürfen einen Raum ramponieren. Eine Belehrung, Schutzkleidung an - schon geht es los. Die Idee zum Wutraum stammt aus den Vereinigten Staaten. Dort heißen die Zertrümmer-Zimmer „Anger Room“. Der erste wurde Ende 2011 in Dallas eröffnet. „Ich bin beim Surfen im Internet darauf gestoßen“, erzählt Braun. Er sei gleich begeistert gewesen, sagt der 32-Jährige, der als Kundenbetreuer bei einer Speditionsfirma arbeitet. „Ich wollte den Wutraum nach Deutschland holen.“ Und dazu brauchte es nicht viel.
Wo der Nachschub an Möbeln herkommt und wie viel 30 Minuten Wutabbau kosten, lesen Sie auf Seite 2.
Um den Nachschub an Möbeln zum Vermöbeln kümmert sich Rühmland. Der 35-Jährige ist selbstständiger Handwerker und kennt ein paar Firmen, die Wohnungen entrümpeln. Er bietet auch selber Haushaltsauflösungen an. Das alte Mobiliar landet dann nicht gleich auf der Deponie, sondern erst im Wutraum-Depot. „Derzeit ist unser Lager bis oben gefüllt“, sagt Rühmland. Die passenden Räumlichkeiten fanden die beiden Jungunternehmer in Halles Osten, unweit des Hauptbahnhofs. Das Haus ist nur sporadisch saniert. In der Wohnung, die die beiden angemietet haben, sind die Wände unverputzt und das Licht kommt aus Baustrahlern. Dafür sind die Sofas sehr gemütlich.
Während ich auf einem sitze, läuft im Fernseher an der Wand eine Dauerschleife mit Videobeobachtungen von Wutraumwüterichen. Zwei Frauen verausgaben sich minutenlang an einem Metallgestell. Ich denke, dass es auch für mich wieder Zeit wird. Immerhin ist mein Aufenthalt in der Aggressionsabbau-Arena begrenzt.
Eine halbe Stunde lang darf ich das Inventar auf Feuerholzgröße bringen. Diese 30 Minuten kosten 89 Euro. „Aber der Preis wird bald erhöht“, sagt Rühmland. Der Aufwand für die Miete und darüber hinaus die Beschaffung und Entsorgung der Möbel sei doch höher als anfangs kalkuliert.
Bevor ich aber zurückgehe, wähle ich noch ein neues Werkzeug. An der Wand vor dem Eingang hängen neben Vorschlaghämmern auch zig Baseballschläger, eine Eisenstange und sogar eine Axt. Ich nehme einen Baseballschläger. Dessen erstes Opfer wird eine Glasvase, die ich mit einem Wisch vom Tisch fege. Es folgen Teller und Tassen - nur Kleinkram. Dann wende ich mich der Schrankwand zu. Eigentlich sieht sie stabil aus. Doch schon mit dem ersten Hieb erkenne ich die Macht meines Werkzeugs. Ich reiße Löcher in das Pressholz. Wände und Decken brechen, Türscharniere zerbersten. Ich bin in einem kleinen Rausch. Da sind nur noch die Schrankwand und ich. Und ich werde gewinnen.
Was für Menschen, sich im Wutraum abreagieren und warum nur wenige die 30 Minuten durchhalten, lesen Sie auf Seite 3.
Und das geht nicht nur mir so. In manchen Wochen toben jeden Abend erwachsene Menschen in den beiden Zimmern. Ärzte und Manager sind darunter, aber auch Studenten und Kindererzieher. Sie kommen von weit her, aus Hamburg oder Mönchengladbach. Sogar aus Österreich. Fast noch größer ist die mediale Aufmerksamkeit. Bei Braun und Rühmland haben schon zig TV-Sender gedreht - vom Frühstücksfernsehen bis zur Immobilienmakler-Serie. In Zeitungen, Zeitschriften und im Internet wurde über sie berichtet. Event-Anbieter und Gutscheinverkäufer wollen sie in ihr Programm aufnehmen.
Die Kraft schwindet
„Im Wutraum kann man halt ausleben, was man sonst nicht machen darf“, versucht Braun den Zulauf zu erklären. Den Reiz des Destruktiven merke auch ich, als ich nach einer Viertelstunde die Schrankwand auf Brikettgröße geschlagen habe. Ich würde weitermachen - Tisch, Sessel und Kommode warten noch. Aber die Kraft ist weg. „Ganze 30 Minuten halten die wenigsten durch“, sagt Rühmland tröstend.
Zurück auf dem Sofa, mit einem Glas Wasser in der Hand, wird ausgewertet. Witzig war es. Doch die Freude scheint mir auch ein bisschen naiv. Was ist das für eine Gesellschaft, die nur um der Zerstörung willen zerstört? Sind wir alle primitive Wut(raum)bürger?
Ein bisschen vielleicht. Allerdings scheint mir die Lust am Kaputtmachen auch menschlich zu sein. Und ist es nicht besser, sie in einem extra dafür geschaffenen Raum rauszulassen als an anderer Stelle? Braun und Rühmland wollen ihren Wutraum gar nicht in diese Richtung psychologisieren. Sie sehen die beiden Zertrümmer-Zimmer als ein Freizeitangebot. „Ein Event wie Bowling spielen oder GoKart fahren“, sagt Braun. Und damit wollen sie jetzt sogar expandieren und Großstädte erobern. Ein Franchise-Konzept wird gerade erarbeitet. Erste Interessenten gibt es schon. Vielleicht breitet sich bald schon in Wuträumen in Berlin, Frankfurt oder München der dumpfe Donner eines implodierenden Röhrenfernsehers aus.

