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Sangerhausen Sangerhausen: Fahrschule für Rollatoren gibt Starthilfe

Von Ralf Böhme 02.10.2014, 05:51
Übungsstunde in der Altstadt: Gudrun Beyer lässt sich von Roland Bollmann noch einmal das Bremssystem erklären.
Übungsstunde in der Altstadt: Gudrun Beyer lässt sich von Roland Bollmann noch einmal das Bremssystem erklären. Andreas Stedtler Lizenz

sangerhausen - Ruck-Zuck läuft gar nichts mehr. Geschäfte, Amtsstuben, Freunde und Bekannte - alles beinahe unerreichbar. „Mit dem Stock komme ich nicht weit.“ Ärger mit den Bandscheiben machen Gudrun Beyer jeden Schritt zur Qual. Ohne Rollator wäre die Frau aus Sangerhausen (Mansfeld-Südharz) aufgeschmissen. Mit der Gehhilfe auf vier Rädern sei das anders, so die 75-Jährige. „Da bin ich wieder frei, viel mobiler.“ Ein ganz neues Lebensgefühl sei das. „Mir fällt die Decke zu Hause nicht mehr auf den Kopf.“

Freilich ist die Rentnerin noch eine Fahranfängerin. Erst seit kurzem schiebt sie ihren Rollator durch die Altstadt - bekommen hat sie ihn auf Rezept. Einfach sei es nicht, meint sie, mit so einem Gefährt klar zu kommen. Dass es inzwischen leidlich klappt, verdankt Gudrun Beyer der kostenlosen Rollator-Fahrschule. Dafür verantwortlich: Roland Bollmann.

Dass es mit der Auslieferung eines Rollators nicht getan ist, liegt für den Inhaber des gleichnamigen Sanitätshauses auf der Hand. Schließlich müsse der Nutzer das Gerät in jeder Situation beherrschen, nicht umgekehrt. „Auch ein Rollator kann, wenn er außer Kontrolle gerät, eine Unfallquelle sein.“ Deshalb nimmt sich der Orthopädiemeister bei Bedürftigen, die das wünschen, viel Zeit für Theorie und Praxis inklusive Testfahrt. So wie einem fast 80 Jahre alten Mann in Magdeburg, der vor einiger Zeit mit seinem Rollator in einem Gleisbett stecken blieb und so ein Verkehrschaos auslöste, soll es keinem seiner Kunden ergehen.

Seit Anfang der 90er Jahre gibt es den Gehwagen in Deutschland. Mittlerweile haben sogar Discounter den Markt entdeckt. Die günstigsten Angebote kosten weniger als 100 Euro. Das Premium-Segment reicht bis 1 000 Euro und darüber hinaus. Vor allem hochpreisige Produkte sind leicht zu handhaben. So lassen sie sich einfach zusammenklappen. Fachleute nennen diese Rollatoren dann „Längsfalter“. Anbieter geben als mittleren Preis laut Stiftung Warentest mit 290 bis 390 Euro an.

An der Weiterentwicklung des Gefährts wird gearbeitet. Siemens beispielsweise setzt innerhalb eines EU-Projektes auf Sensoren, die Rollatorfahrer vor Hindernissen warnen. Andere Entwickler erproben Hilfsantriebe, die an Steigungen zugeschaltet werden können. Die Höchstgeschwindigkeit soll bei 2,5 Kilometer pro Stunde liegen. Der Elektromotor übernimmt beim Abwärtsgehen auch das Bremsen. Im Gespräch ist ein Rollator mit USB-Anschluss. Mehr Informationen

Im Mittelpunkt der ersten Lektion steht nicht das Fahren, sondern das Bremsen. Beidseitig und dosiert soll es erfolgen, möglichst frühzeitig vor einem Hindernis - egal ob Passant, Auto oder Papierkorb. Das ist einfach gesagt. Nicht jeder behält im Trubel die Übersicht. Erst recht, wenn ohnehin die Kräfte nachlassen. Fahrlehrer Bollmann macht vor, was passiert, wenn nur eine Bremse wirkt. Dann dreht sich das Gefährt nämlich um die eigene Achse, fährt im Kreis. Gerade hier auf der hochfrequentierten Göpenstraße, dem Boulevard in Sangerhausen, wäre ein Crash fast unvermeidlich. Deshalb lautet das Motto: Üben, üben und nochmals üben.

Wie Gudrun Beyer sind immer mehr Menschen auf einen Rollator angewiesen. Es ist der demografische Wandel, der den Herstellern einen Absatz-Boom beschert. Zwei Millionen dieser Gehhilfen sind im Einsatz, 500 000 kommen Schätzungen zufolge in nächster Zeit dazu. Bei den 70- bis 79-Jährigen registriert die Krankenkasse DAK seit 2009 eine Zunahme um 75 Prozent. Die AOK als größte Krankenkasse in Sachsen-Anhalt bringt jährlich 12 000 Stück an den Mann und an die Frau. Gesamtkosten im Jahr 2013: 1,2 Millionen Euro. Allein Meister Bollmann verteilt pro Jahr 300 Exemplare - im Umkreis von 50 Kilometern, bis hinauf in den Harz.

Auf der nächsten Seite: Welches Modell ist das Richtige?

Gleich zu Beginn der Rollator-Fahrschule stellt sich die Frage nach dem passenden Modell. Ist beispielsweise eine kleine mechanische Anfahrhilfe auf dem flachen Land vielleicht noch verzichtbar, in den Bergen gilt sie als unerlässlich. Dass Gudrun Beyer sich für ein knapp 100 Euro teures Kassenmodell entscheidet, ist ihrer Sparsamkeit geschuldet. Zwar muss sie nur die gesetzlich vorgeschriebene Zuzahlung von zehn Prozent aufbringen. Bei der AOK sind das 9,36 Euro. Jedoch bedeutet das dann auch nur Standard und wenig Komfort.

Seit Anfang der 90er Jahre gibt es den Gehwagen in Deutschland. Mittlerweile haben sogar Discounter den Markt entdeckt. Die günstigsten Angebote kosten weniger als 100 Euro. Das Premium-Segment reicht bis 1 000 Euro und darüber hinaus. Vor allem hochpreisige Produkte sind leicht zu handhaben. So lassen sie sich einfach zusammenklappen. Fachleute nennen diese Rollatoren dann „Längsfalter“. Anbieter geben als mittleren Preis laut Stiftung Warentest mit 290 bis 390 Euro an.

An der Weiterentwicklung des Gefährts wird gearbeitet. Siemens beispielsweise setzt innerhalb eines EU-Projektes auf Sensoren, die Rollatorfahrer vor Hindernissen warnen. Andere Entwickler erproben Hilfsantriebe, die an Steigungen zugeschaltet werden können. Die Höchstgeschwindigkeit soll bei 2,5 Kilometer pro Stunde liegen. Der Elektromotor übernimmt beim Abwärtsgehen auch das Bremsen. Im Gespräch ist ein Rollator mit USB-Anschluss. Mehr Informationen

So etwas bleibt in ihrem Fall nicht ohne Folgen. Weil ihre Hände nicht optimal die Griffe fassen, klagt Gudrun Beyer nach Ausflügen mit dem Rollator oft über Schmerzen in den Unterarmen. Dagegen hält sie fehlende Extras wie Stock- und Schirmhalter, LED-Leuchten, Hupen, Rückspiegel oder Frosthandschuhe für verzichtbar. An hochpreisigen Exemplaren gehören solche Dinge längst zur üblichen Ausstattung. Was die zierliche Frau jedoch am meisten stört: Der Rollator ist aus Stahl gebaut und damit relativ schwer - etwa zwölf Kilogramm. Auf glatten Wegen rollt es gut. Unebenheiten hingegen, zum Beispiel Altstadt-Pflaster, würden durch die harte Federung nicht mehr ausgeglichen.

Oft erweisen sich Stufen als unüberwindbare Hürden. Da fehlt ihr einfach die Kraft zum Anheben. Mit ihrem Fahrlehrer übt Gudrun Beyer jedoch, wie man niedrige Kanten wenigstens rückwärts rollend überwinden kann. Weil das recht aufwendig ist, tüftelt Beyer nun meistens vorab an einer günstigen Wegstrecke - inklusive Plätzen zum Pausieren. Ihr Rollator ist mit einer kleinen Sitzbank ausgestattet. Jedoch, so schärft Fahrlehrer Bollmann allen Klienten ein, muss zuvor immer erst die Feststellbremse greifen. Das ist ein Hebel, der einrasten muss, um den Rollator dauerhaft zu stoppen.

Busfahren bleibt trotzdem eine Herausforderung. Ein- und Aussteigen mit Rollator ist ohne Hilfe kaum möglich. Solche Erlebnisse lassen selbst verlockende Angebote in weite Ferne rücken, zum Beispiel eine Einladung des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverbandes zum Projekt „Rollator-Tanz. Agil im Alter“. Sogar lateinamerikanische Tänze sollen mit einem Rollator möglich sein.