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Busse Fahrstühle Züge Schloß Hoym Stiftung: Geschäftsführer und Vorstand reisen im Rollstuhl per Bus und Bahn

Von Regine Lotzmann 06.12.2018, 08:57
Angekommen in Halberstadt: René Strutzberg, Olf Müller und Hans-Michael Strube im Rollstuhl.
Angekommen in Halberstadt: René Strutzberg, Olf Müller und Hans-Michael Strube im Rollstuhl. Schloß Hoym Stiftung

Hoym - An den Muskelkater danach kann sich René Strutzberg noch gut erinnern. „Meine Hand war richtig geteilt - der Daumen hing so dran, taub und blau“, sagt der Geschäftsführer der Schloß Hoym Stiftung. Doch die Aktion - als Rollstuhlfahrer von Hoym nach Halberstadt zu reisen - habe ihm viel gebracht. Vom Euroschlüssel über eine neue Türöffnung für die Toilettenanlage in der Hoymer Einrichtung bis hin zu einer sensibleren Sichtweise auf alltägliche Dinge.

Doch von vorn: Der 49-Jährige leitet seit 2015 die Geschicke der Stiftung, die mitten in Hoym knapp 400 Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung ein Zuhause gibt und auch ein integratives Altenpflegeheim betreibt.

Da einmal selbst in die Erlebniswelt eines Rollstuhlfahrers einzutauchen, war ein Vorhaben, das er gemeinsam mit Stiftungsvorstand Hans-Michael Strube schon lange auf seiner Agenda hatte.

„Barrierefreiheit ist für uns ein ganz wichtiges Thema"

„Wir haben das nicht gemacht, um uns in Menschen, die im Rollstuhl sitzen, hineinzufühlen“, winkt Strutzberg ab. „Das können wir gar nicht, denn wir sind abends ja wieder aufgestanden, sie können das nicht.“ Für die beiden Männer habe ein anderer Grund den Ausschlag gegeben.

„Wir treffen hier so viele Entscheidungen“, begründet Strube das. „Und Barrierefreiheit ist für uns ein ganz wichtiges Thema hier in der Einrichtung - dafür wollten wir eine besondere Sicht bekommen“, ergänzt Strutzberg.

Deshalb machten sich Geschäftsführer und Stiftungsvorstand in Sportrollstühlen auf den Weg nach Halberstadt und zurück - begleitet von Olf Müller, der tatsächlich von klein auf auf einen Rollstuhl angewiesen ist und in Nachterstedt in einer Außenwohngruppe der Stiftung lebt.

Busreise von Rollstuhlfahrern muss angemeldet werden

Die erste Erfahrung dabei: Busse können zeitgleich nur maximal zwei Rollstuhlfahrer mitnehmen. Und das muss zwei Tage vorher angemeldet werden, damit entsprechende Fahrzeuge mit ausfahrbarer Rampe eingesetzt werden. Also schummelte das Trio ein bisschen und verlegte seinen Start von Hoym nach Nachterstedt.

Dort begegnete ihnen etwas, was sie dann auf der ganzen Tour erlebten: Es gab viele liebe, hilfsbereite Menschen, die ihnen - ohne lange zu zögern - sofort behilflich waren. Mit einer Herzlichkeit, die die Männer berührte. So auch das Zugpersonal, das eine Rampe legte, damit die Rollstühle in den Zug kamen.

Hilfsbereites Personal am Zug

Die dadurch entstandene Verspätung war egal. Das mache nichts, meinte der Lokführer. Hauptsache alle seien gesund und munter reingekommen. „Das sind emotionale Momente“, gibt René Strutzberg zu.

In Halberstadt ging es dann so weiter. In einem kleinen Café wurden von den Gästen Tische zusammengeschoben und Stühle beiseitegeräumt. Auf dem Bahnhof begleitete sie eine nette Frau von der Bahnhofsmission. Türen wurden aufgehalten.

In der Touristinformation kam die Mitarbeiterin sofort hinter dem Tresen hervor, hockte sich hin, um auf Augenhöhe zu sein und schlug interessante Reiserouten vor, die von Menschen mit Handicap gut gemeistert werden können - samt einer Liste mit Standorten von behindertengerechten Toiletten. „Was sehr wichtig ist, wenn man eine knappe Stunde braucht, um aufs WC zu kommen“, sagt Hans-Michael Strube.

Euroschlüssel für behindertengerechten Toiletten

Hier erfuhren sie auch von den sogenannten Euroschlüsseln, die alle behindertengerechten Toiletten öffnen. „Ich habe gleich fünf für das Schloss Hoym bestellt, für die Wohngruppen, wenn mal jemand einen Ausflug macht“, so Strutzberg.

Und er sagt: „Mir ist bewusst geworden, dass das Toilettenthema ganz besonders wichtig ist.“ Deshalb soll es auch im Schlossgebäude eine Veränderung geben: Die Tür der Toilettenanlage dort lasse sich nur mit der Hand öffnen. „Und das geht für Rollstuhlfahrer einfach nicht.“ In seinen fast vier Jahren in Hoym habe er das bisher nie wahrgenommen, gesteht der Geschäftsführer. Und sagt: „Mein Blick ist dafür echt geschärft worden.“

Elektrorollstuhl von Olf Müller wiegt rund 100 Kilogramm

Das weiß auch Olf Müller zu schätzen. Sein Elektrorollstuhl - über 100 Kilogramm schwer - bedeutet für ihn zwar ein Stück Freiheit. Aber an den Türen scheitere auch er immer wieder. Die Ankündigung eines elektronischen Öffners nimmt er deshalb mit einem Lächeln auf.

„Es hat mir gefallen“, sagt der 52-Jährige über den gemeinsamen Ausflug, der weitere Konsequenzen hat. So wird im Hoymer Schloss die Barrierefreiheit ausgebaut. 2019 soll es etwa noch einen Fahrstuhl im Schlosspark-Haus geben, der auch als zweiter Fluchtweg gilt.

Wichtig sind auch andere Dinge. Züge brauchen weiter Personal, denn alleine kommen Rollstuhlfahrer nicht in die Bahn. Fahrstühle an den Bahnsteigen müssen ebenfalls funktionieren, sagen die Rollstuhlfahrer auf Zeit und freuen sich, dass es so viele nette Menschen gibt.

Deshalb haben sie auch einen Dankesbrief an den Oberbürgermeister von Halberstadt geschrieben. „Er kann stolz auf seine Einwohner sein. So viel Hilfsbereitschaft. Es war wirklich ein offenes Tor zum Harz - auch für Rollstuhlfahrer.“ (mz)