Der Dior der DDR Der Dior der DDR: Wie aus einer kleinen Näherei die wichtigste Modefirma im Osten wurde
Schönebeck - Heinz Bormann war Modemacher. Buchstäblich: Er hat unter den schwierigen Bedingungen der DDR ansprechende Mode für Damen möglich gemacht, die nach französischem Vorbild und in zeitlos-schlichter Eleganz gestaltet war. Die Kreationen des 1918 in Erfurt geborenen und vor genau 30 Jahren in Schönebeck gestorbenen Unternehmers verfehlten ihre Wirkung bei der Kundschaft in der DDR so wenig wie in Westdeutschland, wo die Bormann-Konfektion bei Neckermann und Otto im Angebot war.
„Bormann war die einzige große Modefirma, die die DDR je hatte“, sagt Jens Bormann (55), der jüngste von vier Söhnen des Modemanagers, der als Optiker und Akustiker in Schönebeck zu Hause ist. „In ihren besten Zeiten waren fast 400 Angestellte für Bormann-Moden tätig“, sagt Jens Bormann. Die besten Zeiten, das waren die 60er Jahre, in denen das halbstaatliche Unternehmen in Magdeburg und Salzwedel 140.000 Konfektionsstücke pro Jahr produzierte.
Die Anfänge eines der erfolgreichsten Unternehmen der DDR waren klein
Das Leben von Heinz Bormann ist die Geschichte eines Mannes, der quasi aus Nichts Bonbons machte. Nach dem Zweiten Weltkrieg, den der Thüringer als Panzeroffizier in Polen und Russland erlebt hatte, kam er 1945 nach Magdeburg. Dort gründete er mit Ehefrau Johanna, die bis Mitte der 60er Jahre das Rückgrat der Firma war, auf Basis von 20 organisierten Nähmaschinen einen Kleinbetrieb, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst Uniformen und Kleidung der Roten Armee ausbesserte. „Mein Vater kannte den Magdeburger Stadtkommandanten und kam so an die Aufträge“, so Sohn Jens. Die wurden im kaum zerstörten Schönebeck ausgeführt, wohin die Bormanns bald übersiedelten.
In den 50er Jahren verlegte man sich auf praktische Damenmode, die in der jungen DDR rar war. Der Betrieb expandierte aufgrund der großen Nachfrage derart, dass Bormann-Moden 1956 nach Magdeburg übersiedelte, wo das Unternehmen in der Großen Diesdorfer Straße 249 ein Gebäude bezog. Um die Firma am Laufen zu halten, wurden nach dem Ortswechsel Sonderzüge eingesetzt, die die rund 100 Näherinnen täglich von Schönebeck nach Magdeburg und zurück brachten.
Die Geschäfte liefen glänzend, in Ost wie West. Doch nicht nur für westdeutsche Versandhäuser wurde Damenbekleidung hergestellt, die Kreationen aus dem Haus Bormann konnte ihr Namensgeber in ganz Europa, Afrika und Skandinavien präsentieren. Auch Teile der DDR-Prominenz kleidete Bormann ein. Frauen von DDR-Ministern zählten ebenso dazu wie die Gattin von Karl-Eduard Schnitzler oder die Sängerin Dagmar Frederic. Selbst die eher als bieder geltende Lotte Ulbricht, Frau des 1971 von Erich Honecker gestürzten DDR-Staatschefs Walter Ulbricht, fand Gefallen an Bormanns Kreationen. Die Polit- und Künstler-Persönlichkeiten kamen in das Privat-Atelier, das sich in der Villa der Familie Bormann in der Magdeburger Sternstraße befand. „Nur für Lotte Ulbricht musste mein Vater eigens nach Berlin fahren“, erinnert sich Jens Bormann.
Heinz Bormann war mit seinen Kreationen auch im Westen erfolgreich
Heinz Bormann war aber nicht der einzige kreative Kopf hinter den Entwürfen: Er arbeitete stets mit einem Team aus drei bis vier Schneidermeisterinnen. Dennoch war er der Macher, der pragmatisch dachte und auch wunderbar organisieren konnte, wie sich Sohn Jens erinnert. Und, nicht unwichtig: „Er konnte mit Menschen umgehen.“
Vorbildhaft für Bormann-Moden war die französische Haute Couture, die Heinz Bormann auf den Pariser Modemessen sah und deren Entwürfe eine wichtige Grundlage für die Kreationen seines Magdeburger Modehauses waren.
Der Erfolg im westlichen Ausland brachte ihm den Beinamen „der rote Dior“ ein. Was heute abwertend klingen mag, verstand Heinz Bormann als Lob: „Er fand diese Bezeichnung toll“, erinnert sich Jens Bormann. „Dior war der damals wichtigste Modeschöpfer, und dass mein Vater aus der DDR kam, war faktisch ja richtig.“ Mit seiner Mode spülte Bormann viele Millionen D-Mark in die stets klamme Valuta-Kasse der DDR. Den Teil, den Heinz Bormann vom Staat in Devisen ausbezahlt bekam, investierte er gern in Westautos. „Erst fuhr mein Vater einen Opel Kapitän, dann einen Opel Diplomat und zuletzt einen Mercedes“, sagt Sohn Jens. „Den Mercedes, Baujahr 1970, gibt es immer noch. Er steht, aufwendig restauriert, in meiner Garage und wird nur bei Sonnenschein gefahren.“
Die Verstaatlichung in der DDR ruinierte Bormanns Modeimperium
Doch mit all der Herrlichkeit war es bereits 1972 vorbei. Im Zuge der vom neuen DDR-Staatschef Erich Honecker forcierten Verstaatlichung wurde auch das Unternehmen Bormann, das seit den 50er Jahren als Kommanditgesellschaft halbstaatlich war, zu 100 Prozent in Staatseigentum überführt. Heinz Bormann zog sich 1974 aus dem Unternehmen zurück. Der VEB Damenmode Magdeburg, wie der Betrieb danach hieß, rutschte binnen zweier Jahre in die roten Zahlen, erinnert sich Jens Bormann.
Die Enteignung dürfte Heinz Bormann sehr verletzt, aber nicht gebrochen haben, der für seine Firmen-Anteile 200.000 DDR-Mark erhielt. „Mein Vater war nicht der Typ, der sich selbst bemitleidet hat“, sagt Jens Bormann. „Er hat nach 1974 aber mit dem Kapitel Mode abgeschlossen.“ Dennoch bedauert es sein Sohn, dass sein im Februar 1989 gestorbener Vater die deutsche Einheit nicht mehr erleben konnte. Der Modemacher hätte mit Genugtuung feststellen können, dass man sich seiner und seiner Kreationen wieder lebhaft erinnert. Die 15 Lebensjahre, die nach seinem erzwungenen Ausscheiden aus dem Unternehmen noch blieben, lebte Bormann, der Mitte der 70er Jahre an Krebs erkrankte, zurückgezogen in Schönebeck. Seine Leidenschaft blieb allein das Reisen. „Als Reiseleiter war er zweimal jährlich in der Sowjetunion unterwegs“, so Jens Bormann.
››Am 21. Juni findet um 18 Uhr im Indus-triemuseum Schönebeck, Ernst-Thälmann-Straße 5a, die 5. Bormann-Modenschau statt. Neben Konfektionen, die das Magdeburger Unternehmen kreierte, werden auch aktuelle Modetrends gezeigt. (mz)