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Freiheit statt Knast Verurteilung und Haftbefehl: Knapp 1.300 Straftäter profitieren in Sachsen-Anhalt von Personalmangel bei Polizei

Von Jan Schumann 05.08.2019, 05:25
Mit Stacheldraht ist ein Tor der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Burg (Kreis Jerichower Land) gesichert.
Mit Stacheldraht ist ein Tor der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Burg (Kreis Jerichower Land) gesichert. ZB

Magdeburg - 1.984 Haftbefehle sind im Land noch nicht vollstreckt, sie richten sich gegen fast 1.300 Personen. Gegen Hunderte Verurteilte in Freiheit liegen demnach mehrere Haftbefehle vor. Die Zahlen teilte das Innenministerium auf MZ-Anfrage mit.

Fast alle offenen Haftbefehle resultieren aus Gerichtsurteilen - bei rund 270 handelte es sich mit Stand Dezember indes um Untersuchungshaftbefehle gegen Tatverdächtige.

Anzahl unvollstreckter Haftbefehle steigt

Nicht nur landes-, sondern auch bundesweit steigt die Anzahl unvollstreckter Haftbefehle. Einige Innenpolitiker sehen die Entwicklung mit Sorge. Ein Grund ist laut Ministerium, dass sich Täter bewusst der Haft entziehen. Ein zweiter ist die hohe Arbeitsbelastung der Polizei und die knappe Personaldecke.

Teilweise leben Verurteilte in Sachsen-Anhalt jahrelang mit Hafturteilen, ohne dass sie durchgesetzt werden. Rund 300 Haftbefehle  sind älter als drei Jahre, so das Ministerium. 520 bestehen länger als zwei Jahre, 900 immerhin über ein Jahr. Das Ministerium unter Holger Stahlknecht (CDU) betont indes, dass allein 2018 gut 10.700 Haftbefehle vollstreckt worden seien.

Die Zahl unerledigter Fälle stieg zuletzt im Bundesland an. Seit Anfang 2017 gibt es einen Anstieg um neun Prozent. Das entspricht dem bundesweiten Anstieg in den vergangenen fünf Jahren, wie eine Anfrage im Bundestag durch die Grünen-Abgeordnete und Polizistin Irene Mihalic ergab.

Die höchsten Quoten offener Fälle bestehen demnach in Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Der bundesweite Anstieg auf fast 186.000 Fälle mache ihr Sorgen, schätzte Mihalic die Auskunft auf ihre parlamentarische Anfrage ein. Die Polizei brauche eine Strategie, den Berg unerledigter Fälle abzubauen – mit Priorität auf besonders gefährliche Personen.

Sachsen-Anhalts Innenministerium versucht es bereits mit einer entsprechenden Prioritätensetzung. „Intensität und der Umfang der Fahndungsmaßnahmen“ nach gesuchten Personen richten sich „nach der Höhe der zu erwartenden Freiheitsstrafe, der Schwere des Deliktes, der Anzahl der Fahndungsnotierungen für eine Person oder eine hohe kriminelle Energie und die Gefährlichkeit des Gesuchten“, so das Ressort.

Schwerpunktkontrolltage in Sachsen-Anhalt

Zudem gebe es Schwerpunktkontrolltage, an denen „gezielt großangelegte Maßnahmen zur Vollstreckung durchgeführt werden“. Laut Stahlknechts Ministerium handelt es sich bei dem Großteil der Gesuchten aber nicht um Schwerverbrecher.

„Der weit überwiegende Teil der ausgeschriebenen Haftbefehle richtet sich gegen Personen, die in irgendeiner Form offene Geldbeträge nicht gezahlt haben“, so das Ministerium. „Hierzu zählt das nicht entrichtete Bußgeld bei einer Ordnungswidrigkeit, aber auch das Nichtbegleichen eines Strafbefehls oder einer Geldstrafe.“

Allerdings stehen auch Personen auf der Haftliste, denen erhebliches kriminelles Potenzial zugeschrieben wird. Stand März lagen in Sachsen-Anhalt Haftbefehle gegen 18 Rechtsradikale oder -extremisten vor. Bundesweit waren es zum gleichen Zeitpunkt etwa 600 Personen. Das Bundeskriminalamt ermittelt diese Zahlen turnusmäßig zweimal im Jahr.

Laut Innenministerium in Magdeburg schwanken die Werte permanent. Zum Jahreswechsel lag die Zahl offener Haftbefehle gar bei 2.200. Jeder Polizist sei angehalten, bei Personenkontrollen und -überprüfungen im täglichen Dienst etwaige Haftbefehle zu prüfen. (mz)