Online-Shopping Temu: EU will Billig-Shopping-Apps eindämmen - Wie es jetzt weiter geht
Mit absurd günstigen Preisen ist die Shopping-App Temu aus China in Deutschland sehr erfolgreich. Doch die Kritik daran wird lauter. Worauf man beim Einkaufen über die Billigplattform unbedingt achten sollte und was die EU plant.
Magdeburg/ Halle (Saale). - Mit Minipreisen, Rabatten von bis zu 90 Prozent und teils eher skurrilen Produkten sorgt der chinesische Online-Marktplatz Temu zurzeit für Aufsehen im deutschen Online-Handel.
Fakt ist, Temu tut viel, um Verbraucher zum Kaufen zu drängen. Der Bundesverband der Verbraucherzentrale drohte mit einer Klage. Da das Unternehmen mit Sitz in China sich nun aber verpflichtet habe, die beanstandeten Verstöße abzustellen, kann ein Gerichtsprozess laut der Vorständin des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes (VZBV), Ramona Pop, vermieden werden.
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Zudem gibt es Pläne der EU, um den massenhaften Import von Billigartikeln einzudämmen. Eine Zollreform soll dies laut eines Berichts des Spiegels versprechen. Demnach sind Einfuhren im Wert von bis zu 150 Euro zurzeit von Zöllen befreit, sodass Billiganbieter ihre Waren günstig in Europa verkaufen können. Die EU plant, dies bis 2028 zu ändern.
Nach Medienberichten unterstützt auch das deutsche Bundesfinanzministerium eine solche Reform. Ob Temu, AliExpress, Shein und Co. dann weiter noch Waren so günstig anbieten können, bleibt abzuwarten.
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Derzeit ist Temu eine der am häufigsten heruntergeladene Gratis-Apps in Deutschland und zählt im Google Play Store und im Apple-Store zu den beliebtesten Apps. Dabei ist Temu nicht unumstritten. Die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt warnt davor, "dass die niedrigen Preise mit einer geringeren Produktqualität und -sicherheit einhergehen können."
Erfahrungen mit der Shopping-App Temu
Auf Bewertungsportalen berichten Kunden und Kundinnen zum Beispiel von schlechter Qualität der Waren sowie nicht erhaltenen Sendungen und einem schlecht erreichbaren Kundenservice. Der WDR stieß bei Testkäufen auf zum Teil gefährliche Mängel bei technischen Geräten. Temu äußerte sich auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur zunächst nicht zu den Vorwürfen.
Auch bei der Verbraucherzentrale-Sachsen-Anhalt habe es in den letzten Wochen drei Beschwerden über Temu gegeben, meldet der Verein Mitte Oktober 2023 auf Nachfrage. In allen Fällen soll es sich um Beschwerden zu Retouren und Rückzahlungen gehandelt haben.
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Rückzahlungen würden demnach nur als Gutschrift auf das Kundenkonto des Nutzers erfolgen. Es sei jedoch behauptet worden, dass die Retouren nicht vollständig angekommen sind. Gutschriften seien entsprechend gekürzt worden.
Schlechte Bewertungen: Temu sieht sich nicht in der Verantwortung
Temu selbst fühlt sich scheinbar nicht verantwortlich. Das Unternehmen tritt nicht als Verkäufer auf, sondern stellt den Händlern nur seinen Marktplatz als Plattform zur Verfügung. In den Temu-Nutzungsbedingungen heißt es ausdrücklich: „Wir haben keine Kontrolle über und garantieren keine Existenz, Qualität, Sicherheit, Eignung oder Rechtmäßigkeit der Produkte“.
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Auch für Wahrhaftigkeit, Genauigkeit oder Rechtmäßigkeit von den in den Produktauflistungen enthaltenen Informationen fühlt sich der Marktplatz nicht zuständig.
Wer steckt hinter Temu?
Dabei ist Temu alles andere als eine kleine Klitsche. Hinter Temu steht das in Shanghai ansässige Unternehmen PDD Holdings. Es ist in China bekannt für die beliebte App Pinduoduo, eine der am schnellsten wachsenden E-Commerce-Plattformen des Landes. Ähnlich wie Temu setzt Pinduoduo auf hohe Rabatte, um Kunden zu locken. Nach eigenen Angaben hat die Plattform mehr als 900 Millionen Nutzer in der Volksrepublik.
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Warum ist Temu so billig?
Allerdings gab es auch immer wieder Kritik an dem Angebot. So geriet Pinduoduo bereits vor Jahren in die Schlagzeilen, weil Nutzer dem Unternehmen vorwarfen, minderwertige oder gar gefälschte Waren anzubieten. Auch wegen angeblich sehr hoher Arbeitsbelastung bei Pinduoduo geriet das Unternehmen unter Druck.
Seit dem vergangenen Jahr treibt PDD gezielt die Expansion ins Ausland voran. Im September 2022 startete Temu in den USA und wurde dort schnell zur meist heruntergeladenen App. Doch genauso schnell geriet das chinesische Unternehmen ins Visier der US-Politik.
So warf ein Bericht eines Kongressausschusses sowohl Temu als auch der ebenfalls chinesischen App Shein kürzlich vor, Produkte anzubieten, die mit Zwangsarbeit in der westchinesischen Region Xinjiang hergestellt wurden. Es bestehe ein „extrem hohes Risiko“, dass die Lieferketten durch Zwangsarbeit kontaminiert seien, warnte der Bericht.
Kann man Temu vertrauen? - Dazu rät die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt
Die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt weist Kunden bei der Nutzung von Temu darauf hin, einige wichtige Punkte zu beachten. Denn: "Wie bei jedem Online-Shop aus dem Ausland lauern auch hier bestimmte Fallstricke und Risiken", heißt es von dem Verein.
- Kunden sollten sich über die geltenden Zollbestimmungen informieren, wenn sie bei Händlern außerhalb der EU bestellen.
- Des weiteren sollten Kunden nach Möglichkeit nicht in Vorkasse gehen, sondern erst zahlen, wenn sie die Ware erhalten haben und zufrieden sind.
- Wer eine Zahlungsaufforderung erhält, bevor die Ware eingetroffen ist, sollte diese nicht ignorieren, sondern sich beim Online-Kundenservice melden und erklären, dass die Ware noch nicht angekommen ist.
- Kommt Ware von Händlern in Fernost, kann es zu langen Lieferzeiten kommen.
- Bei elektronischen Geräten sollte auf zugelassene CE-Zeichen geachtet werden.
- Insgesamt ist es wichtig, kritisch zu sein und sich vor dem Kauf gut zu informieren. Die Bewertungen anderer Kunden zu überprüfen, ist hilfreich.
- Es besteht das Problem der Nachhaltigkeit. Weit gelieferte (und eventuell zurückgeschickte) Produkte aus China belasten die Umwelt. Die Mentalität "Billig-Produkte neu kaufen" anstatt sie wiederzuverwenden, zu reparieren oder Secondhand zu kaufen, geht zu Lasten der endlichen Ressourcen der Erde.
Wie seriös ist Temu?
Temu macht keinen Hehl daraus, an personenbezogenen Daten interessiert zu sein und diese auch für kommerzielle Zwecke zu nutzen. Wer die Plattform datensparsam nutzen möchte, sollte darauf achten, etwa dass das Standorttracking in den Einstellungen des Smartphones deaktiviert ist.
Außerdem rät die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt generell von Single-Sign-On ab. Auch der Zugriff auf Kontakte, Werbe-ID, Fotos und Mikrofon kann verweigert werden.
Auch wer sich durch ständige Werbeansprache gestört fühlt, sollte in der App oder in den Einstellungen des Smartphones Push-Benachrichtigungen ausschalten, vom E-Mail-Newsletter wieder abmelden oder auf eine Werbe-SMS mit STOP antworten (laut Temu-Nutzungsbedingungen vom 8. Juli 2023).
Zukunftsaussichten für Temu - Wird der Online-Marktplatz in Deutschland erfolgreich bleiben?
Was die Zukunftsaussichten von Temu in Deutschland angeht sind sich die Branchenbeobachter uneins. Der Softwareunternehmer und Branchenkenner Alexander Graf meinte kürzlich: „Temu ist keine Eintagsfliege.“ Das Unternehmen biete echte Innovationen in Sachen Lieferkette, Warenmanagement und Logistik.
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Deutlich skeptischer ist Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH). „Vieles spricht dafür, dass Plattformen wie Wish oder Temu trotz des jüngsten Hypes am Ende Nischenanbieter bleiben werden“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur.
„Temu lockt mit Niedrigpreisen, mit Gewinnspielen, riesigen Rabatten und mit künstlicher Verknappung des Angebots. Die Plattform will gezielt zu Spontankäufen inspirieren, die man gar nicht geplant hatte“, beschrieb Hudetz das Geschäftsmodell. Für eine gewisse Zielgruppe sei so eine Gamification des Einkaufs natürlich spannend. Doch spreche wenig dafür, dass die Strategie langfristig Erfolg haben werde. Auch die Pläne der EU, eine neue Zollreform zu verabschieden, drückt die Erfolgsaussichten Temus.
Aktuell sind Einfuhren im Wert von bis zu 150 Euro von Zöllen befreit, sodass Billiganbieter ihre Waren günstig in Europa verkaufen können. Die EU plant, dies bis 2028 zu ändern.
Zukunft von Temu in Deutschland: Vorbehalte gegenüber asiatischen Marktplätzen
„Die Menschen suchen hierzulande in der Regel nicht den allerniedrigsten Preis, sondern ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis“, sagte Hudetz. Außerdem seien sie verwöhnt, was Liefergeschwindigkeit und Retourenabwicklung angehe. Hier stünden Temu und Co. vor beträchtlichen Herausforderungen.
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„Die meisten Konsumentinnen und Konsumenten denken schon bei der Bestellung das Thema Retouren mit - und es gibt in diesem Bereich erhebliche Vorbehalte gegenüber asiatischen Marktplätzen, zumal auch oft Zollgebühren hinzukommen können“, sagte Hudetz.
Und bei der Liefergeschwindigkeit könnten Temu und Co. ohnehin nicht mit etablierten Anbietern wie Amazon oder Otto mithalten. Außerdem spreche das wachsende Nachhaltigkeitsbewusstsein der Menschen gegen einen dauerhaften Erfolg derartiger Modelle.
Ähnlich urteilt der E-Commerce-Experte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Temu sei „Ultra-Fast-Fashion mit Turbolader“, meint der Branchenkenner. Allerdings zeige die Entwicklung in den USA, dass ultraschnell bei solchen Anbietern oft auch für die Lebensdauer der Geschäftsmodelle gelte. „Denn ihre Halbwertzeit ist offensichtlich auch ultrakurz.“
Anbieter Otto wirft Temu Betrug vor
Temu steht bereits seit längerem in der Kritik. Nun meldet sich auch die Konkurrenz zu Wort: „Wir scheuen nicht den Wettbewerb, aber die Rahmenbedingungen sind unfair. Was sich diese Anbieter leisten, ist systematischer Betrug“, wird der Chef der Otto Austria Group, Harald Gutschi, von krone.at zitiert.
Laut Gutschi seien knapp 65 Prozent der Pakete aus China falsch deklariert. Temu benutze angeblich Tricks beim Versandt der Pakete. Diese seien entweder mehr wert, als angegeben oder die Bestellung werde in Einzelsendungen verpackt, damit keine Zollgebühr bezahlt werden muss.
Des Weiteren prangert Gutschi an, dass in der aktuellen Form kein Wettbewerb möglich sei: „Die multiplen Krisen haben im Handel voll zugeschlagen wie seit Jahrzehnten nicht. Das Geld im Börserl fehlt“, sagt er. Unter anderem soll dies ein Grund sein, weswegen der Umsatz der Otto Austria Group im vergangenen Jahr um 3,8 Prozent sank. Der Chef von Otto Österreich kritisiert weiterhin, dass gegen Temu erst im Jahr 2028 vorgegangen werden soll. Bis dahin sollen jährlich zwischen zwei und vier Milliarden Pakete in die EU geschickt werden.
Verbraucherschützer werfen Temu mehrere Verstöße vor und mahnen ab
Die Verbraucherzentrale prüft seit Ende März rechtliche Schritte gegen Temu. Wegen mehrerer Verstöße sei Temu abgemahnt worden, wie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)mitteilte. Die Plattform verunsichere und übervorteile Verbraucher und Verbraucherinnen mit willkürlich erscheinenden Rabatten, fragwürdigen Bewertungen und manipulativen Designs. Das müsse aufhören, sagte vzbv-Chefin Ramona Pop. Verbraucher müssten vor derartigen Geschäftspraktiken geschützt werden.
Was Temu von den Verbraucherschützern konkret vorgeworfen wird
Der Verband wirft Temu unter anderem vor, Verbraucher im Unklaren zu lassen, wie die ausgewiesenen hohen Rabatte zustande kommen. Die Online-Plattform werbe zudem damit, dass sich der CO₂-Fußabdruck verringere, wenn die bestellten Waren nicht nach Hause, sondern zu einer Abholstelle geliefert werden. Dabei hätten die Produkte bis zur Zustellung bereits lange Wegstrecken zurückgelegt.
Darüber hinaus kritisiert der Verband, dass Verbraucher während des Bestellens unter Druck gesetzt würden - mit eingeblendeten Hinweisen wie „Beeile dich! Über 126 Personen haben diesen Artikel in ihrem Warenkorb“ und „Mehr als 54 Nutzer haben wiederholt gekauft! Warum nicht 2 auf einmal …“. Die Verbraucherzentrale sieht darin ein manipulatives Design, sogenannte Dark Patterns.
Dabei sei dies von der EU mit dem im Februar verabschiedeten Digital Services Act verboten worden.