Karneval und Fasching in Sachsen-Anhalt Tanzen für den Karneval – Damit „Menschen ihre Sorgen für zwei Stunden vergessen können“
Sachsen-Anhalt ohne fünfte Jahreszeit? Undenkbar! Doch, um das bunte Treiben in Karnevalshochburgen wie Köthen und Dessau zu ermöglichen, braucht es viele engagierte Menschen. Eine von ihnen ist Tinka Rathmann.

Dessau-Roßlau/Köthen/MZ. - Die Musik setzt ein. Im Takt marschierend und die Knie hebend betritt eine Handvoll junger Frauen die Bühne. Eine kurze Drehung zum Publikum. Alle Augen sind auf sie gerichtet. Dann stemmen die Tänzerinnen die Hände in die Hüften, springen und drehen sich, schwingen ihre Beine in beeindruckender Gelenkigkeit in alle Richtungen. Es werden Räder geschlagen, Spagate ausgeführt. Ein neuer Schwung Frauen sortiert sich nahtlos zwischen den bereits Tanzenden ein. Alle von ihnen tragen die gleiche Uniform: weiße Tanzstiefel, weißer Rock, rotes Oberteil und schwarze Weste. Auf dem Kopf blonde Perücke und Dreispitz. Doch nicht nur im Kostüm gleicht eine der anderen. Auch die Bewegungen sind synchron und exakt wie ein Uhrwerk.
Eine der Tänzerinnen ist Tinka Rathmann. Sie ist Mitglied der Ersten großen Dessauer Karnevalsgesellschaft Gelb-Rot, tanzt dort unter anderem in der Prinzengarde. „Teil der Prinzengarde zu sein, war immer das große Ziel.“ Noch heute erinnert sie sich daran, wie stolz sie sich gefühlt habe, als sie die Uniform vor Jahren schließlich das erste Mal selbst tragen durfte. Über Auftritt wie diesen, auf denen der sogenannte Garde- oder Marschtanz vorgeführt wird, sagt sie: „Das Schwierigste ist es, das Ganze leicht aussehen zu lassen und dabei zu lächeln.“ Denn auch wenn es nicht den Anschein mache: Ein solcher Auftritt koste viel Kraft und erfordere eine Menge Kondition.
Tanzen im Karnevalsverein - Mehr als nur ein Hobby
Bereits seit 18 Jahren wirft sie sich zur Karnevalszeit in schillernde Kostüme, schwingt auf Bühnen professionell die Beine bis an die Nase und läuft tanzend auf Straßenumzügen mit. Und auch dieses Mal ist sie wieder mit von der Partie, tauscht den Laborkittel vom Job beim Blutspendedienst des Deutschen Roten Kreuzes gegen die Uniform ein und sorgt mit den Showeinlagen ihrer Tanzgruppen – unter anderem in Dessau und Köthen – für ausgelassene Stimmung und strahlende Gesichter. Mit ihrem Engagement gehört die 25-Jährige zu den Menschen, die die bunte Karnevalstradition der Region pflegen und mit Leben füllen.
Angefangen hat ihre Tanzlaufbahn im zarten Alter von drei Jahren. Die Dessauerin lernt Ballett, wechselt später zum Turnen. Beides habe den Grundstein dafür gelegt, Körperspannung und -gefühl zu entwickeln. Über Freunde kommt sie schließlich in einen Karnevalsverein. Und obwohl die junge Frau zu Schulzeiten verschiedenen Hobbys nachgeht, Chor und Theatergruppe besucht, ist es das Tanzen im Verein, dem sie bis heute treu geblieben ist. „Ich hatte von Kindheit an einen hohen Bewegungsdrang. Und es ist noch immer so, dass ich nicht still sitzen kann“, erklärt die selbstbewusste Frau diese Beständigkeit.
Garde- und Marschtanz in der Prinzengarde: Trainieren für die Narrenzeit
Das Spannende am Karneval und den dazugehörigen Tänzen sei, dass immer wieder neue Programme und Choreografien einstudiert werden müssen, so Rathmann. Mit ihrer Gruppe trainiert die 25-Jährige einmal die Woche, noch vor Beginn der fünften Jahreszeit kommen dann zusätzliche Übungseinheiten an den Wochenenden dazu. Erst im Trainingsraum vor dem Spiegel, später auf der Bühne, um Positionen und Abläufe präzise zu verinnerlichen. „Wir sind alle Zahnräder, die ineinandergreifen müssen.“ Bei 19 Tänzerinnen auf der Bühne sei der Platz begrenzt. Daher müsse jeder Schritt sitzen. Bis zur Routine brauche es daher zahllose Wiederholungen. „Würde ich sagen, dass das keinen Stress bedeutet, dann wäre das gelogen.“ Doch dieser Stress sei positiv. Und der Applaus des Publikums sei das größte Kompliment und zeige, dass sich die harte Arbeit auch lohnt. „Sonst würden wir das nicht jedes Jahr aufs Neue machen“, meint Tinka Rathmann nicht ohne Stolz.

Doch eines bleibe ihr trotz langjähriger Erfahrung nicht erspart: das Lampenfieber kurz vor den Auftritten. In diesen Momenten schlage ihr das Herz bis zum Hals. Und Fragen ploppen auf. Wie war noch gleich der erste Schritt? Wo muss ich hin? Wann geht’s los? „Doch sobald die Musik angeht, ist das vorbei und alles läuft wie von selbst.“ Einmal, erinnert sich die die 25-Jährige, sei die Musik mitten in der Vorführung unerwartet ausgefallen. Was nun, haben sie und ihr Tanzpartner dann innerhalb von Sekunden überlegen müssen – und einfach weitergetanzt. Das ebenfalls überrumpelte Publikum sei dann unterstützend im Takt klatschend eingesprungen.
Karneval in Sachsen-Anhalt: Den Anschlag von Magdeburg immer im Hinterkopf
Doch Karneval ist für Tinka Rathmann nicht nur Tanz und ausgelassene Stimmung. Karneval assoziiert sie auch mit Familie. Nicht nur, weil Eltern und Großeltern ebenfalls im Verein aktiv sind, sondern auch weil sie mit vielen Mitgliedern des Vereins gemeinsam erwachsen geworden ist, wie sie sagt. Darum will sie das Kulturgut pflegen und – modern verpackt – an die nächste Generation weitergeben. Nachwuchsprobleme? Damit habe ihr Verein nicht zu kämpfen. Ganz im Gegenteil. Nur bei der Freizeittanzgruppe des sogenannten Männerballetts, deren Trainingsleitung sie vor fünf Jahren gemeinsam mit ihrer Schwester übernommen hat, würde es derzeit an Teilnehmern fehlen. Besonders tragisch: Der Truppe fehlt nur ein Tänzer, um wieder an Meisterschaften teilnehmen zu können. Dabei stehen die Chancen auf Erfolg nicht schlecht. 2023 wurde das Team der 25-Jährigen Vizelandesmeister, 2024 holte es den Publikumspreis.
Dass die sonst übliche Strecke des Karnevalsumzugs in Dessau aus Sicherheitsgründen dieses Jahr verkürzt wurde und Straßenumzüge andernorts aus Terrorangst sogar abgesagt wurden, hinterlässt bei Tinka Rathmann ein mulmiges Gefühl. Auch ihr sei der Anschlag von Magdeburg noch immer im Hinterkopf präsent. Daher könne sie die Angst der Leute gut verstehen. Andererseits sei der Karneval gerade dafür da: „Damit die Menschen ihre Sorgen und den Alltag für zwei Stunden vergessen können“, erklärt die Tänzerin. Das dürfe man sich nicht nehmen lassen.