1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. Keine Sterne im Land: Sterne-Restaurant in Sachsen-Anhalt: Warum Gault&Millau und Michelin keine Sterne vergeben

Keine Sterne im Land Sterne-Restaurant in Sachsen-Anhalt: Warum Gault&Millau und Michelin keine Sterne vergeben

Von Iris Stein 05.12.2016, 07:00
Für eine feine Küche in Halle sorgt Sebastian Mohr - hier mit Service-Mitarbeiterin Friederike Guminski - im Restaurant „Immergrün“.
Für eine feine Küche in Halle sorgt Sebastian Mohr - hier mit Service-Mitarbeiterin Friederike Guminski - im Restaurant „Immergrün“. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Gegrillte Winterbirne mit Sake und Jasmin eingelegt, Gelbflossen-Thunfisch mit Lauch-Marmelade, Tabasco-Austern, Hokkaido in der Cocosglut gegart - das ist nur eine kleine Auswahl der Offerten des Zwei-Sterne-Restaurants „Falco“. Am Herd steht dort Peter Maria Schnurr, Koch des Jahres 2016. Wer bei ihm speisen möchte, muss nach Leipzig fahren. Michelin-Sterne gibt es nicht zwischen Altmark und Burgenlandkreis. Seit mehreren Jahren schon.

Wer sich dann sagt, es muss ja nicht unbedingt Sterneküche sein, kreative Kochkunst mit guten Produkten sei auch ein kulinarisches Erlebnis, dem bleibt die Suche ebensowenig erspart. Woran liegt es, dass in Sachsen-Anhalt kein Stern leuchtet und Essen, das über den üblichen Standard hinaus geht, nur selten zu finden ist?

„Forellenstube“ in Ilsenburg verliert Stern

Zehn Restaurants in Deutschland schmücken sich derzeit mit drei Sternen des Restaurantführers Guide Michelin, alle in den alten Bundesländern. Zwei Sterne für ein Restaurant leuchten im Osten - Berlin ausgenommen - nur über Leipzig. In Sachsen-Anhalt schmückte sich bis 2013 die „Forellenstube“ in Ilsenburg mit einem Stern, in diesem Jahr gab es für Küchenchef Thomas Barth nur 13 von 20 möglichen Punkten des Restaurantführers Gault&Millau.

Maximal wurden in der aktuellen Saison 15 Punkte in Sachsen-Anhalt vergeben: für die „Bauernstub’n“ in Dahlenwarsleben bei Magdeburg, den „Vogelherd“ in Zerbst und die „Bohlenstube“ in Wernigerode. Auffällig: Alle genannten und auch weitere sieben mit Punkten bedachte Restaurants des Landes liegen im Norden - nur zwei Köche des südlichen Landesteils finden sich auf der Liste. Jeweils 13 erhielten das „Pächterhaus“ in Dessau und „Ritters Weinstuben“ in Merseburg. Dort steht Steffen Warias am Herd und überzeugt seit Jahren mit Qualität.

„Poularde? Die meisten Gäste kennen nur Hühnerbrust!“

Das sei nicht leicht, lässt er wissen. Was das gastronomische Niveau betrifft, gebe es in Sachsen-Anhalt noch Luft nach oben. Die Gründe? Der Koch glaubt, dass es nicht am Können liegt, sondern am Zusammenspiel von Gästen und Restaurant. Er weiß zum Beispiel, dass schon die Bezeichnung „Poularde“ auf der Karte mitunter für Misstrauen sorgt: „Viele Gäste kennen nur Hühnerbrust.“

Es dauere seine Zeit, meint der 49-Jährige, bis sich Gewohnheiten bezüglich des Essens änderten. „Junge Leute kommen nach ihrer Ausbildung und dem Sammeln erster Erfahrungen zurück nach Sachsen-Anhalt und machen neue Angebote“, ist er von den Qualitäten des Nachwuchses im gastronomischen Bereich überzeugt. „Damit wachsen zugleich die Ansprüche der Gäste.“

Sachsen-Anhalt hat nach der Wende kulinarisch quasi bei Null begonnen

Auch Patricia Bröhm, Chefredakteurin des Gault&Millau, hält zählebige Traditionen für eine Ursache der kargen Punkteausbeute. Historisch sei Sachsen-Anhalt eine Region, in der Ernst und Bescheidenheit statt Sinnlichkeit Tugenden waren. Puritanische Lebensweise galt als Wert. „Man darf auch nicht vergessen: Als nach der Wende kulinarisch quasi bei Null begonnen wurde, konnte Sachsen-Anhalt nicht auf einer ausgeprägten Regionalküche von Niveau aufbauen, wie es sie in Baden oder Bayern gab und gibt“, sagt die Expertin.

Der zurückhaltenden Einschätzung des Gault&Millau was Sachsen-Anhalts Süden betrifft, können Simona Buchholz und Sebastian Mohr nicht folgen. Das Paar betreibt seit sechs Jahren das Restaurant „Immergrün“ in Halle, das die Spitze der Gastronomie in der Saalestadt bestimmt. Der Guide Michelin sprach mehrfach eine Empfehlung für das kleine Lokal aus, im Gault&Millau ist es nicht vertreten.

Chefs des Restaurants „Immergrün“ sehen Tester in der Verantwortung

Beide Gastronomen nennen für Halle mehrere Restaurants, die ihrer Meinung nach Angebote auf sehr gutem Niveau bieten, darunter der „Speiseberg“ oder die „Grüne Remise“. Zudem warnt Sebastian Mohr vor einer Überbetonung der Punkte. „Ich möchte, dass es meinen Gästen gut geht“, macht der 37-Jährige deutlich, die Bewertung nach Punkten sei dafür nicht entscheidend. Zudem weist er den Restaurantführern eine Mitverantwortung zu.

Ihre Empfehlung sei maßgeblich dafür, dass Auswärtige und Touristen als Gäste kämen, also gelte es, sehr sorgfältig zu prüfen und genau hinzuschauen bei der Bewertung und schon der Auswahl der Restaurants, die getestet werden sollen. „Da werden mitunter Standards gefordert, die erfüllt sein sollen, die mit der Realität bei uns nicht viel zu tun haben“, bekräftigt Simona Buchholz.

Wer Spitzengastronomie in der näheren Umgebung sucht, wird auf jeden Fall auch wirtschaftliche Gründe dafür finden, dass sie so selten ist. Und das gilt nicht nur für Sachsen-Anhalt, sondern für alle Regionen gleichermaßen. Denn Geld ist mit Sterneküche nicht unbedingt zu verdienen.

Cornelia Poletto musste Sternerestaurant 2010 wieder schließen

Von den mit einem oder mehreren Sternen und hohen Punktzahlen geehrten Restaurants besteht die Mehrheit nicht als eigenständige Einrichtung. Es ließen sich zwar Beispiele nennen, doch meist gibt es ein Hotel im Hintergrund oder es existieren weitere Standbeine der Restauration wie beispielsweise ein Catering Service. Für manche gehobene Küche gibt es sogar Sponsoren.

Es ist kein Geheimnis, dass für das Drei-Sterne-Restaurant „La Vie“ in Osnabrück ein deutscher Milliardär die jährlich vermutlich sechsstelligen Verluste trägt - weil er will, dass sein Lieblingslokal am kulinarischen Sternenhimmel glänzt. Bei Fernseh- und Sterneköchin Cornelia Poletto leistete einst der Vater eine sechsstellige Anschubfinanzierung - ihr Gourmettempel in Hamburg schloss bereits 2010 wieder.

Trüffel oder Kaviar kosten vierstellige Summen per Kilo

Wareneinsatz, Anzahl der Mitarbeiter, Miete, hochwertige Küchentechnik, Produktionskosten - das sind die Kriterien, die über den Erfolg eines Spitzenrestaurants ebenso entscheiden wie die Kunst der Köche. Außergewöhnliche Zutaten wie etwa Trüffel oder Kaviar kosten vierstellige Summen per Kilo, von Weinen ganz zu schweigen. Was als Lagerbestand im Keller liegt, ist bei der gehobenen Gastronomie - auch in guten Lokalen Sachsen-Anhalts - eine fünfstellige Summe. Im Sternebereich kann getrost von sechsstelligen Zahlen ausgegangen werden.

Und beim Personalschlüssel und damit verbundenen Kosten lässt sich noch eine gehörige Schippe drauflegen. Im Hamburger Zwei-Sterne-Restaurant „Seven Seas“ von Karlheinz Hauser lautet er „Zwei zu Eins“, sprich für zwei Gäste ein Angestellter. Zu diesen zählen Köche, Küchenpersonal und Service. Bei in Spitzenrestaurationen üblichen 20 bis 30 Plätzen, die an den Abenden nur ein einziges Mal belegt werden können - mehr ist auch mit höchstem Einsatz nicht möglich -, sind diese Kosten nur sehr schwer zu erwirtschaften. Pro großem Menü - bis acht Gänge - werden in Deutschland im 3-Sterne-Bereich ab 200 Euro pro Person fällig. In Frankreich kommt man locker auf bis zu 80 Prozent mehr. Ohne, dass die Gäste protestieren oder stets gut betucht sind. Es ist eine Frage der Lebensart.

Mindestlohn macht auch vor den Kleinen der Restaurantbranche nicht halt

Was die Großen der Branche beklagen, gilt auch für die Kleinen. So macht der Mindestlohn dem halleschen „Immergrün“ das Leben nicht leichter. „Von einem Gut-Bezahler wurden wir zu einem Mindest-Bezahler“, sagt Sebastian Mohr. Erneut voranzugehen mit höheren Löhnen - „das müssten wir an die Gäste weitergeben“, sagt Sebastian Mohr. „Dann gilt man schnell als überteuert, obwohl das Gegenteil der Fall ist.“

Steffen Warias von „Ritters Weinstuben“ weiß, dass er von den umliegenden Firmen des Chemiestandortes in der Region profitiert. „Da gibt es schon öfter mal ein Geschäftsessen mit zehn Leuten“, sagt er. Und stellt zugleich klar: „Es ist genauso wichtig, auch die Merseburger mitzunehmen auf dem Weg zu guter Gastronomie. Wir würden bei uns gern mehr Gäste aus der eigenen Stadt begrüßen.“

„Deutsche zahlen mehr für ein Bundesligaspiel als für ein gutes Essen“

Für gutes Essen Geld auszugeben, ist nicht selbstverständlich in Deutschland. „Mehr als 100 Euro für ein Menü empfindet der Deutsche schon als maßlos. Für Franzosen oder Italiener ist das ganz normal. Der Deutsche zahlt viel Geld für ein Bundesligaspiel, ganz zu schweigen von einem neuen Auto. Erst dann kommt der Genuss“, erklärte Patricia Bröhm in einem Interview für den „Focus“.

Dabei muss es gar nicht so viel sein. In den hiesigen am besten bewerteten Restaurants kosten mehrgängige Menüs weit weniger als 100 Euro. Und gute Qualität ist schließlich kein Privileg gehobener Lokale. Diese wünscht man sich als Gast viel öfter im Alltag. Angebote wie „Zehn Gerichte für 9,90 Euro“ sind inakzeptabel, denn dann kann nur Vorgefertigtes mit Hilfe der Mikrowelle auf den Tisch kommen. Das sollten Gäste bedenken und nicht gleich alles, was bei Hauptgerichten auch nur leicht jenseits der 15 Euro liegt, rundweg ablehnen.

Und noch ein Problem hat Sachsen-Anhalt mit allen Bundesländern gemeinsam: „Es gibt zu viele Köche, die es mit einer Allerweltsküche jedem Gast recht machen wollen - und damit nicht bewirken, dass sie mit einem persönlichen Stil auf sich aufmerksam machen und die kulinarische Szene beleben“, sagt Patricia Bröhm. (mz)