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Jung gegen jung, neu gegen alt SPD-Spitzenkandidatur für Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Stöcker oder Pähle?

20.06.2020, 09:04
Die Fraktionsvorsitzende Katja Pähle und der Politikwissenschaftler Roger Stöcker wollen die SPD beide als Spitzenkandidaten in die Landtagswahl 2021 führen.
Die Fraktionsvorsitzende Katja Pähle und der Politikwissenschaftler Roger Stöcker wollen die SPD beide als Spitzenkandidaten in die Landtagswahl 2021 führen. dpa

Magdeburg - Fünfmal standen sie sich gegenüber, nun muss die Basis entscheiden: Fraktionschefin Katja Pähle will ihre Partei als Spitzenkandidatin in die Landtagswahl 2021 führen - der Politologe Roger Stöcker auch.

Wie schon die Bundesvorsitzenden und die Landesvorsitzenden soll die SPD-Basis per Urabstimmung entscheiden, wer den Posten bekommt. Rund 260 Genossen machten sich auf den fünf Regionalkonferenzen vor Ort ein Bild von den beiden, rund doppelt so viele dürften die Fragerunden online verfolgt haben.

Während Pähle den Mitgliedern seit Jahren bekannt ist, ist Stöcker ein politischer Newcomer, der sich erst einen Namen machen muss.

Stöcker setzt auf Jugend und Unverbrauchtheit

Reden, das machte der 35-Jährige mit seinen Auftritten klar, kann er. Stöcker spricht frei und unbeirrt, läuft dabei lässig und selbstbewusst die Bühne auf und ab, den Blick in die Menge gerichtet. Er präsentiert seine politischen Ideen wie Apple ein neues iPhone.

Die Botschaft ist klar: Ich bin nicht nur jung, ich bin auch neu und unverbraucht. Ein Mann von Welt und aus der Provinz, der vor Harvard-Absolventen über die ganz großen Fragen spricht und vor dem Stadtrat in Hecklingen über die vermeintlich kleinen, die ihm aber nicht weniger wichtig sind.

Sein Werdegang ist eine sozialdemokratische Bilderbuchgeschichte: Als Arbeiterkind aus einer strukturschwachen Gegend arbeitete er sich hoch in die Welt der Wissenschaft, arbeitet heute als Politologe. In seiner Heimatstadt Hecklingen zog er 2014 als „Ein-Mann-Fraktion“ in den Stadtrat ein, als es dort nicht mal einen SPD-Ortsverein gab.

Stöcker zeigt sich als sozialdemokratischer Missionar

Ein sozialdemokratischer Missionar gewissermaßen, der weiß, was die vielen Kommunalpolitiker, die bei den Regionalkonferenzen im Publikum saßen, bewegt. Er spricht den Sozialdemokraten aus den Herzen, wenn er sagt, man müsse die Partei aus dem „Tal der Tränen“ hinausführen.

Seine Außenseiterrolle sieht er nicht unbedingt als Nachteil. Die Regionalkonferenzen seien ein Novum, ihr Ausgang überhaupt nicht absehbar. Wie der DFB-Pokal im Fußball, wo die vermeintlich Kleinen oft die Großen ärgern, habe ein solches Verfahren eigene Gesetze.

Außerdem sei er nicht vorbelastet durch die Politik der vergangenen Jahre. „Ich bin kein Bestandteil dieser Koalition und war davor auch kein Bestandteil der Großen Koalition“, sagt Stöcker. „Dementsprechend kann ich offen sagen, was mir gefällt und was mir nicht gefällt.“

Duell in der SPD: Stöcker und Pähle loben sich gegenseitig

Warum zum Beispiel nicht mal Menschen aus der Praxis in Schulen unterrichten lassen? Warum soll ein Lehrer die Funktionsweise eines Motors erklären und kein Kfz-Mechaniker? Out of the box denken, heißt so etwas im modernen Wirtschaftsjargon - alte Denkmuster mal komplett über Bord werfen und völlig neue Ideen entwickeln.

Eine Qualität, die auch seine Kontrahentin ausdrücklich an ihm schätzt. Er denke an vielen Stellen über das, was vielleicht machbar oder gesetzlich geregelt ist, hinaus. Das könne die Partei gerade im Wahlkampf sehr gut gebrauchen, sagt Pähle.

Dieses Konzept kann funktionieren. Gerade in einer Partei, die seit Jahren immer wieder neidvoll auf die Grünen schaut und ihre jungen, coolen Kandidaten. Gerade in einer Partei, die oft alt und ideenlos wirkt. Besser würde das Konzept aber aufgehen, wenn sich Stöckers Frischer-Wind-Kampagne gegen einen alten, grauhaarigen Mann richten würde.

Katja Pähle gehört zur SPD-Führungsriege in Sachsen-Anhalt

Doch sein Gegenüber ist weder grau noch ein Mann, Katja Pähle ist gerade einmal sieben Jahre älter als Stöcker und gehört mit ihren 42 Jahren noch zu den jüngeren im Landtag von Sachsen-Anhalt.

Im politischen Maßstab also eine Entscheidung zwischen jung und jung - aber auch eine zwischen neu und alt. Denn Pähle ist Fraktionschefin und somit die Kandidatin des sozialdemokratischen Establishments. Doch dafür muss sie sich nicht verstecken.

Nach dem Wahldebakel 2016, als die Sozialdemokraten antraten, die nächste Regierungschefin zu stellen, am Ende aber ihren Stimmenanteil halbierten und nur viertstärkste Kraft wurden, übernahm die damals 38-Jährige Verantwortung.

Pähle hält SPD in Kenia-Koalition zusammen

Sie löste die zurückgetretene Katrin Budde zunächst kommissarisch an der Parteispitze ab, übernahm dauerhaft die Leitung der Landtagsfraktion und führt sie seitdem recht geräuschlos. Die Fraktion ist klein, aber stabil. Während in der CDU-Fraktion immer wieder öffentlich Abgeordnete nach rechts ausscheren und dabei Partei und Regierung in Schwierigkeiten bringen, hält Pähle ihre elfköpfige Fraktion zumindest nach außen auf Kurs.

Die Kenia-Koalition sei ein „Zwangsbündnis“, das nur wegen der starken AfD zustande gekommen sei, sagt Pähle. Auch deshalb ist die Kampf gegen die AfD eines ihrer Hauptanliegen, überhaupt der Kampf gegen Rechts.

Auch Pähle lässt mit ihrer eigenen Parteigeschichte Sozi-Herzen höher schlagen, wenn sie erzählt, wie sie der Einzug der DVU in den Magdeburger Landtag 1998 zum Eintritt in die SPD bewegte. Doch auch in jedem anderen politischen Gebiet ist Pähle zu Hause. Sie könne sich unwahrscheinlich gut in Themen einarbeiten, lobt Stöcker.

SPD entscheidet bis Juli über Spitzenkandidatur für Landtagswahl

Die Entscheidung, die die 3477 Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt nun treffen müssen, ist keine zwischen zwei Flügeln, wie es etwa bei der Bundespartei im Entscheid um die Vorsitzenden der Fall war. Inhaltlich lassen die beiden kaum Differenzen erkennen, höchstens unterschiedliche Schwerpunkte. Sowohl Pähle als auch Stöcker wollen ihr Gegenüber im Falle eines Sieges in den Wahlkampf mit einbeziehen.

Die Entscheidung ist eher eine kulturelle: Wie will die SPD ihre Wähler zurückholen? Setzen sie auf Pähle, die verlässlich und bekannt arbeitet wie ein Traditionsunternehmen? Oder wagt sie es, das politische Start-up Stöcker zu unterstützen, das Chancen birgt, aber eben auch Risiken?

Bis zum 10. Juli sollen die Genossen per Briefwahl entscheiden. Ob das die richtige Entscheidung war, erfahren sie dann am Abend des 6. Juni 2021, wenn das Wahlergebnis feststeht. (dpa)