Heimat Sagen aus Sachsen-Anhalt: So „sagenhaft“ ist das Land
Es gibt unzählige Sagen zwischen Arendsee und Zeitz. Viele Geschichten wurden von Mund zu Mund erzählt. Und in Sagenbüchern veröffentlicht.
Magdeburg - Carsten Kiehne aus dem Harzer Bad Suderode hat mehr als 600 Sagenbücher aus drei Jahrhunderten in seiner Bibliothek stehen. „Ausgangspunkt für meine Liebe zu Sagen war meine Großmutter“, erzählt der 41-Jährige. „Sie hat mir wieder und wieder diese Geschichten aus dem Harz erzählt.“
Dass ihn das jedoch einmal so prägen würde, dass habe er natürlich damals nicht gewusst. Inzwischen ist er einer der profundesten Kenner von Sagen des Mittelgebirges. 30 Bücher mit rund 2500 Sagen hat er inzwischen selbst veröffentlicht. „Gemeinsam mit meiner Partnerin Manuela Petri, meiner Muse und für die Fotos zuständig“, sagt der Sozialpädagoge, Therapeut und Meditationslehrer.
Eigentlich habe er vor Jahren damit begonnen, nach sogenannten Kraftorten, also heiligen und Kultstätten im Harz, zu suchen. „Dabei habe ich festgestellt, dass die meisten sagenumwoben sind. Später habe ich die Sache umgedreht und habe anhand von Sagen nach solchen Orten gesucht – und viele vergessene Plätze abseits der Wanderwege gefunden.“
Kiehne hat anhand des Wortes „Sage“ ein eigenes Erklärmuster entwickelt: S – A – für Ahnung, welche Botschaft wollten uns unsere Vorfahren überbringen? G – für Gefühl. Was bewirkt der spezielle Handlungsort in uns? („Sagen berühren uns auf eine seltsame Art und Weise, zum Teil wirken sie therapeutisch.“) E – wie Essenz des Ortes. „Zum Unterschied zu Märchen oder Legenden sind Sagen lokalisiert. Das macht einen Teil ihres Reizes aus.“
Orte mit sagenhaftem Hintergrund sind Kraftorte, ist sich der Harzer sicher. Und der Therapeut schlägt durch, indem er empfiehlt: „Man kann Kraft aus der Natur schöpfen. An diesen Orten sitzenzubleiben und in sich hineinzuhören, die sogenannten Solozeiten unserer Vorfahren wieder aufleben zu lassen. Aber nicht nur zwei, drei Stunden, sondern drei Tage lang. In unserer Handy- und WLAN-Zeit sicherlich eine Methode, zur inneren Ruhe zu finden.“
Nette Kobolde
Helmut Block aus Kremkau im Landkreis Stendal braucht nicht lange zu überlegen, wenn er nach Sagen aus der Altmark gefragt wird. „Da geht es fast in jedem Dorf um kleine Männchen mit grüner Hose und roter Jacke oder umgekehrt“, beginnt der 68-Jährige zu erzählen.
„Nur Menschen reinen Herzens – also Kinder bis zu einem bestimmten Alter und sehr alte – können diese Kobolde sehen.“
Die „Minis“ seien echte Feinschmecker. „Besonders nach Milchbrötchen, Milch und Honig lecken sie sich den Mund. Stellt man ihnen solchen Gaumenschmaus hin, bleiben sie.“
Für den Spender – zumeist arme Leute, „die ja bekanntlich die freigiebigsten sind“ – zahle sich diese gute Tat aus. „Wohlstand bricht aus. Erbschaft, fleißige Arbeit und kluger Zukauf von Acker tragen reiche Früchte.
Doch die Kinder werden älter, die Alten sterben und die Kobolde suchen vergeblich Milch und Honig.“ Wie sie einst gekommen seien, verschwänden sie dann wieder auf Nimmerwiedersehen.
Diese Sage komme immer gut an, wenn er sie zum Beispiel bei Rentnernachmittagen zum Besten gebe, sagt Block, der sich seit vielen Jahren mit Sagen beschäftigt. Nicht zuletzt zu DDR-Zeiten als Diplombib-liothekar an der Pädagogischen Hochschule Magdeburg.
In den vergangenen Jahren sogar beruflich. Hat der gebürtige Salzwedeler, doch als Verleger des 1989 gegründeten Block-Verlages inzwischen sechs Bände mit Sagen herausgegeben.
Band 6 beschäftigt sich mit „Sagen der Stadt Oebisfelde-Weferlingen“, die Klaus-D. Kagelmann zusammengetragen hat. Darunter auch der Spuk mit dem „Geisterpferd“ von Rätzlingen.
„Bum, bum,... “
„Bum, bum, bumbum“ schallt es vorm Burger Rathaus. Ein Mann in weiß-schwarzer Landsknechthose, einer schwarz-silbernen Jacke und mit einem weißen Hut schlägt seine blaue Trommel. Jeff Lammel vom gleichnamigen „Tourist Event“ in Schönebeck ist für eine Stunde Stadtführung der „Trommler von Burg“.
„Zur Landesgartenschau 2018 haben sich die Stadt und ich zusammengesetzt, um eine Führung mit einer bekannten Figur der Stadt zu planen. Und da sind wir auf den Trommler gekommen.“
Er habe sich mit der Geschichte auseinandergesetzt, eine passende Figur entwickelt und herausgekommen sei eine „gespielte Sage. Ich hangele mich an der Erzählung entlang und verbinde die Sage in der Ichform mit der Neuzeit“, sagt der gelernte Schauspieler.
„Bumm, bumm, bummbumm“, hallt es eine Stunde lang in den Burger Straßen. „Ich bin erstaunt, was sich in der ,Stadt der Türme’ alles verändert hat“, erzählt der 34-Jährige. Der Trommler verbindet die historischen Highlights mit dem Neuen.
Lammel hat ein Faible für die Fabel. „Als Schönebecker habe ich mich natürlich auch mit der ,weißen Frau’, im 19. Jahrhundert auf der Mauer des Gertraudenfriedhofs gesessen haben soll, als ein Mann vorbeikam. Sie nieste dreimal und zweimal rief der Mann „Gott help“ (Gesundheit). Beim dritten Niesen war ihm die Sache zu dumm und er sagte: „Dann hilft dir eben der Teufel.“ Daraufhin antwortete die weiße Frau: „Noch einmal ,Gott help’ und ich wäre erlöst.“
Die sagenhafte Trommler-Führung endet am einstigen Gefängnis Burgs. Dort, wo 1958 bei einem Ausbruch von drei Häftlingen aus Zelle 16 ein 58 Jahre alter Polizeioberwachtmeister ermordet wurde. Doch das ist eine ganz andere Geschichte – eine wahre.