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Unterschiedliche Familienformen Sachsen-Anhalt: Der Koffer gegen Vorurteile - Werbung für mehr Toleranz in Kitas und Grundschulen

Von Jan Schumann 12.04.2018, 04:00
Kerstin Schumann vom Kompetenzzentrum für geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe zeigt den Inhalt des sogenannten Kita-Koffers.
Kerstin Schumann vom Kompetenzzentrum für geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe zeigt den Inhalt des sogenannten Kita-Koffers. dpa

Magdeburg - Was ist denn da im Kindergarten los? Eigentlich hatte sich der kleine Ludwig auf seine neue Erzieherin gefreut. Ihr Name: Bela. Doch als Ludwig am nächsten Morgen die Kita betritt, wundert er sich. Da steht ein bärtiger Mann. Der soll die neue Erzieherin sein? Ist das nicht ein Beruf für Frauen?

So beginnt eines der Bücher, mit dem nun in Sachsen-Anhalts Kitas und Grundschulen für Toleranz geworben wird. „Ludwigs seltsamer Tag“ ist ein Buch für Kinder ab drei Jahren, der Rest des Titels lautet „Unsere Neue ist ein Mann“.

Aktionsplan der Regierung für mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen, Transgendern

Es ist das Buch, mit dem Sarah Brune häufig einsteigt, wenn sie Kita-Erzieherinnen und Lehrern den neuen „Medienkoffer“ erklärt. „Es geht darum, mit den Kindern Vorurteile zu hinterfragen“, sagt Brune. „Vielfalt soll nichts Besonderes sein.“

Geht es nach der Landesregierung, wird Brune nun häufig Kitas und Grundschulen in Sachsen-Anhalt besuchen und immer diesen Koffer dabeihaben. Sie ist Referentin im Kompetenzzentrum für geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe. Der Verein stellte federführend mit dem Justiz- und Gleichstellungsministerium den Koffer zusammen.

Darin stecken rund 20 Kinderbücher, Spiele und Fachmaterial für Pädagogen. Der Koffer ist Teil eines Aktionsplans der Regierung für mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen, Transgendern und anderen Minderheiten.

AfD ereiferte sich über vermeintliche „Frühsexualisierung“

Beschlossen wurde der Plan schon 2015. Und obwohl die Koffer erst jetzt verteilt werden, haben sie bereits eine bewegte Vorgeschichte. Konservative Kräfte, allen voran die AfD, liefen Sturm gegen das Projekt. „Die Diskussion wurde bereits vor dem Konzipieren der Koffer so emotional, dass man kaum noch normal darüber diskutieren konnte“, sagt Kerstin Schumann, Chefin des Kompetenzzentrums.

Die AfD ereiferte sich am Mittwoch erneut über vermeintliche „Frühsexualisierung“, für die Unsummen gezahlt würden. Diese Kritik ist nicht neu. Schon 2016, auf dem Gipfel der Debatte, versuchten die Grünen, sie ad absurdum zu führen: Die Fraktion lud Olivia Jones, Deutschlands bekannteste Transsexuelle, in den Landtag ein, um dort aus ihrem harmlosen Kinderbuch vorzulesen. Auch dieser Titel - „Keine Angst in Andersrum. Eine Geschichte vom anderen Ufer“ - steckt im Koffer.

Will man die Themen dieser ausgewählten Literatur nennen, geht es zum einen um Familienvielfalt: Wie unterscheiden sich traditionelle Familien zu Konstellationen, in denen es zwei Väter oder zwei Mütter gibt? Wie ist es in Patchwork- und Ein-Elternfamilien? „Die Kinder sollen sich in den Geschichten wiederfinden“, so Brune. „Die Bücher sollen vor allem zeigen: Anderssein ist normal.“ Zum anderen beschäftigt sich die Literatur stark mit den Geschlechterrollen: Was ist männlich, was ist weiblich - und wie hängen alte Rollenbilder mit Diskriminierung zusammen?

Nicht dabei: Sex-Aufklärung

„Aus Erfahrungsberichten wissen wir, dass schon Dreijährige die Geschlechterrollen sehr ernst nehmen“, erklärt Schumann. „Sie bekommen schnell mit, was sich angeblich nicht gehört, etwa die Bedeutung von Jungen- und Mädchenfarben.“ So behandeln einige Bücher etwa auch die Frage, wie sich Jungen fühlen, die lieber Mädchen wären.

Dagegen kein Thema in dem Buchmaterial: Sexualpädagogik. „Stattdessen geht es um Offenheit und Toleranz“, so Schumann. „Wenn Vielfalt nicht als Normalität angesehen wird, birgt das die Gefahr der Diskriminierung.“ Auch Justizministerin Anne-Marie Keding (CDU) bekräftigt dies: „Alternative Lebensformen sind heute neben der tradierten Familienform Teil unserer Gesellschaft - allzu oft stoßen sie aber noch auf Vorurteile und Unverständnis.“ Die Landesregierung habe sich verpflichtet, für Toleranz zu werben, aufzuklären und zu informieren. „Das wird auch die Aufgabe der Arbeit mit den Medienkoffern sein.“

Je zwei Koffer stehen ab sofort für Kitas und Grundschulen im Land bereit. Das Kompetenzzentrum verleiht sie für drei bis vier Wochen. „Es ist gut, dass die Ministerin den Plan vorantreibt“, so Brune. Ihr Wunsch ist es, dass künftig ein Koffer pro Landkreis verfügbar ist.

Infos zum Medienkoffer:geschlechtergerechtejugendhilfe.de

(mz)