Politische Kriminalität Querdenker und militante Impfgegner: 207 Straftaten in Sachsen-Anhalt
Magdeburg/MZ - Sie drohen Politikern, attackieren Polizisten auf Demos und fordern Ärzte auf, Corona-Impfungen zu verweigern: Radikale Querdenker und Gegner der Pandemiepolitik haben Sachsen-Anhalts Strafverfolger seit 2020 intensiv beschäftigt. Nun hat das Innenministerium in Magdeburg auf Anfrage der Linksfraktion im Landtag erstmals eine vollständige Kriminalitätsbilanz der Impfgegner und Querdenker vorgelegt: 207 politisch motivierte Straftaten gehen seit Ausbruch des Virus auf das Konto der Szene, darunter 24 Gewaltdelikte und Bedrohungen.
Der Befund der Sicherheitsexperten: Im Verhältnis zur sonstigen Kriminalität stellten radikale Querdenker zwar ein geringes, aber doch „sichtbares Gefahrenpotenzial“ dar.
So attestiert die Polizei der Szene nicht nur eine „radikal-aggressive Sprache und verbale Anfeindungen insbesondere in den sozialen Medien“.
Mehr noch: „Direkt und indirekt rufen sie auch zu Störungen des öffentlichen Lebens auf, um so Eskalationen zu provozieren.“ Der Großteil der Delikte seien Beleidigungen (86) und Sachbeschädigungen (34), hinzu kämen Propaganda-Taten wie das Zeigen verbotener Nazi-Symbole (28) und Volksverhetzung (zehn).
Auch Bedrohungen und Übergriffe
Besonders große Sorgen machen der Polizei aber die Drohungen und Übergriffe aus der Szene: Acht Körperverletzungen listet das Ministerium auf, vor allem auf Corona-Demos. Hinzu kamen sechs Bedrohungsdelikte gegen Demonstranten, zwei Politiker und einen Schuldirektor im Kreis Stendal. Vor allem gegen die Masken- und Testpflicht in Schulen waren Kritiker Sturm gelaufen.
Noch radikaler: Die Polizei registrierte sechs Fälle, in denen öffentlich zu Straftaten gegen Politiker oder Mediziner aufgerufen wurde. Aktenkundig sind zudem zwei gefährliche Körperverletzungen aus dem militanten Impfgegner-Milieu heraus: ein Fall betraf eine Attacke auf ein Impfteam im Saalekreis. Hinzu kamen zwei Angriffe auf Polizisten.
Auch wegen solcher Übergriffe hat der Verfassungsschutz die Querdenken-Szene im Visier - bundesweit. Im neuen Jahresbericht 2020 für Sachsen-Anhalt dokumentiert der Inlandsgeheimdienst, dass es auch Querdenken-Verbindungen ins Bundesland gibt. Der Landesverfassungsschutz in Magdeburg arbeitet dem Bundesamt fortlaufend neue Szene-Erkenntnisse zu.
Ranghohe Landespolitiker betroffen
Auch ranghohe Landespolitiker waren vom Hass der Impfgegner betroffen. Bereits im August hatte die MZ berichtet, dass sich das Landeskriminalamt nach Drohungen gegen Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) eingeschaltet hatte. Hintergrund war der Text eines Ex-AfD-Politikers auf dem Netzwerk Telegram: Der Impfgegner lancierte eine „Liste der Verbrecher“, auf der die deutschen Gesundheitsminister standen, und beschimpfte sie als „Schergen der Diktatur in Nordkorea 2.0“. Dazu die Drohung: „17 Verbrecher. Der Tag der Abrechnung kommt auch für dieses Gesindel.“ Die Polizei kontaktierte Grimm-Benne präventiv.
Ermittlungen gab es im April auch in Gernrode im Harz - wegen eines alarmierenden Graffitis an einer Schulwand. Grammatikalisch fragwürdig hieß es dort: „Schulleitung töte“, und: „Hier werden Kinder mit Tests krank gemacht.“ Eine Anzeige der Direktorin blieb laut Polizei erfolglos - eine Spur zum Täter fehlte.
Ist die Deliktzahl noch höher?
Linken-Innenpolitikerin Henriette Quade nannte die nun vorgelegte Bilanz „erschreckend“. Die Abgeordnete hatte die Zahlen erfragt. „Man muss das als Mindestmaß der Taten verstehen: Das Ministerium betont ja selbst, dass es nur vorläufige Zahlen sind.“ Quade warnt: „Die Angriffe auf Impfteams bis hin zu Fällen wie in Idar-Oberstein zeigen, dass Drohungen ernstzunehmen sind.“ Im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein hatte ein 49-Jähriger einen 20-jährigen Tankstellenkassierer erschossen - zuvor hatte der Verkäufer auf die Maskenpflicht hingewiesen.
Das Innenministerium legt dar, dass das Land eng mit Impfstellen und Betroffenen zusammenarbeite - zur Prävention. Auch Ärzte gerieten ins Visier der Impfgegner: Laut Kassenärztlicher Vereinigung hätten „viele“ Praxen Schreiben erhalten, „mit denen sie aufgefordert worden sind, die Impfungen einzustellen“, so das Ministerium.