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Prüfung nötig Prüfung nötig: Werden in Sachsen-Anhalt bald Heuschrecken als Lebensmittel gezüchtet?

Von Ralf Böhme 16.07.2018, 08:00
Eine ägyptische Wanderheuschrecke vor der Untersuchung auf gefährliche Keime.
Eine ägyptische Wanderheuschrecke vor der Untersuchung auf gefährliche Keime. Pülicher

Bernburg - Einer nimmt es als Delikatesse. Anderen dreht sich schon bei dem Gedanken an ein Insekten-Frühstück fast der Magen um. Neugierige sehen darin wenigstens eine klitzekleine Bestätigung ihres großen Mutes: Heuschrecke à la carte als Überraschungsmenü.

Gedacht ist zunächst an einen Test der Geschmacksnerven. So etwas geht bekanntlich am besten mit geschlossenen Augen. Der erste Bissen, nun ja - irgendwie passiert erst einmal gar nichts. Aber dann: so etwas wie ein milder Nussgeschmack, unvergleichbar. Und das ist erst der Anfang.

Es geht nämlich auch noch anders. Wenn das Ganze nicht nur frisch frittiert, sondern nach Lust und Laune gewürzt ist - Salz, Pfeffer, Paprika.... Das Ergebnis fällt dann schon unter die Rubrik knackiger Genuss. Wie frische Chips, vielleicht sogar besser - auch als Beilage für Kinoabende denkbar. Aber jetzt Augen auf! Man kann es drehen und wenden, wie man will: Auf dem Tellerchen liegen Heuschrecken.

Doch vielleicht ist genau das schon bald ein neuer Verkaufsschlager aus dem südlichen Sachsen-Anhalt. Immerhin gelten Heuschrecken als ungewöhnlich eiweißreich. Manche Wissenschaftler sehen darin das Nahrungsmittel der Zukunft.

Einen Züchter gibt es jedenfalls schon. Es ist ein Landwirt aus dem Städtedreieck Halle-Bernburg-Köthen. Ihm fehlt allerdings noch das unverzichtbare Gütesiegel der Europäischen Union. Ohne das läuft gar nichts.

Erhältlich ist es aber wohl erst am Ende des Pilotprojektes. Fünf Jahre stehen dafür zur Verfügung. In diesem Zeitraum müssen wissenschaftlich gesicherte Antworten vor allem auf zwei Fragen gefunden werden. Erstens: Sind die Heuschrecken hierzulande verkäuflich? Zweitens: Ist der Verzehr der Insekten tatsächlich unbedenklich?

Heuschrecken als Ernährungstrend: Spurensuche wie im Krimi

Letzteres klärt sich gerade in einem neuen Labor der Hochschule Anhalt in Bernburg-Strenzfeld. Ohne extra Belehrung und Desinfektion kommt dort niemand hinein. Mobiltelefone sind nicht erlaubt. Spezialaggregate sorgen für Luftreinheit.

Das ist der Wirkungskreis von Christiana Cordes, Professorin für Angewandt Biowissenschaften und Prozesstechnik. Auf ihrem Arbeitsplatz steht eine flache, runde, durchsichtige Schale mit übergreifendem Deckel. Drei Heuschrecken liegen darin. Zwei Exemplare sind etwas größer. Das sind die Weibchen, so die Forscherin.

Dem Trio inklusive schmalbrüstigem Männchen steht jedoch ein gemeinsames Schicksal bevor. Im Dienste der Wissenschaft werden die Körper zerkleinert, regelrecht zermahlen wie Bohnen in einer Kaffeemühle. So entsteht ein Pulver, dass man dann mit einer bestimmten Flüssigkeit versetzt. Cordes: „Insektenforensik, von nun an ist Geduld gefragt.“

Es vergehen zwei Tage, bis das Ergebnis vorliegt. Solange brauchen eventuelle Keime für die Entwicklung, die sie als rote Blättchen sichtbar macht. Proben, die farblos und nahezu durchsichtig bleiben, gelten als keimfrei.

Cordes hält eine erfreuliche Zwischenbilanz parat: „Keimfrei, das war bislang bei allen zuvor frittierten Exemplaren der Fall.“ Ist das eine Überraschung? Eigentlich nicht, denn Hitze tötet Krankheitserreger ab. Andererseits kann schon nach wenigen Versuchsreihen davon ausgegangen werden: Mikroorganismen finden sich zuweilen bei den eingefrorenen und dann nicht weiter behandelten Heuschrecken. Merke: Es ist also nicht empfehlenswert, Heuschrecken im rohen Zustand zu essen.

Neben soviel Gewissheit bleibt aber trotzdem noch eine Unklarheit, um welche Bakterien es sich im Fall des Falles denn handelt? Erst dieses Wissen erlaubt eine verlässliche Abschätzung von Risiken.

Genau in dieser Problematik sieht Master-Student Erik Smykalla jene spannende Herausforderung, die er sich als junger Forscher wünscht. Den künftige Biotechnologen fasziniert die Aussicht, dass Heuschrecken als besonders hochwertiges und eiweißreiches Nahrungsmittel, in absehbarer Zeit die deutschen Speisezettel bereichern können.

Innerhalb seiner Forschungstätigkeit bedient er eine Versuchsapparatur wie es sie in Sachsen-Anhalt nicht noch einmal gibt. Bei dem Massenspektrometer, dessen Tower nicht einmal ein Meter hoch ist, handelt es sich nach seinen Worten um modernste Technik. Der Wert des vom Land finanzierten Geräts lässt einiges erwarten. Es kostet gut 200.000 Euro.

Kurz gefasst, läuft es so ab. Zuerst würden Laserstrahlen, so erklärt der 27-Jährige, auf die Proben mit den Bakterien gerichtet. Die Folge: Es kommt zu einer blitzartigen Erhitzung im Vakuum. Smykalla: „Das Material löst sich dabei praktisch auf, wird ionisiert.“

Zwei Parameter zählen ab diesem Zeitpunkt: Masse und Geschwindigkeit. Kleinere Teile würden sich schneller bewegen und ihre Flugbahn weiter reichen, größere wären deutlich langsamer. Alle Messdaten würden computergestützt erfasst und automatisch zu verschiedenfarbigen Diagrammen zusammengeführt. Danach erfolge ein Abgleich mit Datenbanken.

Stimmen Angaben aus den dokumentierten Verlaufskurven vorhandenen Daten überein, lässt sich der Erreger ziemlich genau einkreisen.“ Nach bisherigem Stand finden sich in den Heuschrecken häufig verschiedene Darmbakterien, dagegen aber keinerlei Salmonellen. Eigentlich ist das ein gutes Zeichen, so Smykalla

Letzte Gewissheit bringt jedoch erst eine molekular-genetische Untersuchung, bei der Cordes und Co. die DNA der jeweiligen Heuschrecken identifizieren.

Allerdings fangen sie damit nicht bei Null an. Die ägyptische Wanderheuschrecke, deren unbedenklicher Verzehr im Mittelpunkt des Projektes steht, ist längst keine Unbekannte mehr . Wie Cordes erforschen Wissenschaftler weltweit alternative Nahrungsangebote. Dabei müssen sie sich auch mit der Frage beschäftigen, ob und wie dabei Allergien ausgelöst werden können? Entsprechende Testreihen würde man in Bernburg-Strenzfeld gegenwärtig vorbereiten, so Professorin Cordes.

Derjenige, der das Ende der Untersuchung besonders rasch herbeisehnt, ist Züchter Thorsten Breitschuh. Der Landwirt und Ortsbürgermeister von Werdershausen im Landkreis Anhalt-Bitterfeld ist aktuell Herr über rund 3.000 Heuschrecken. Die ungewöhnliche Haustiere haben ihren Platz unter dem Dach eines alten Stalls gefunden und leben verteilt in 30 großen Behältern.

Es sind diverse Generationen, ihnen gemeinsam ist eine Eigenschaft: Sie fressen Gras und Kräuter, allesamt ziemlich hart und so wenig attraktiv beispielsweise für Kühe. Dreimal am Tag ist dann die Zeit für Nachschub. Zwei, drei Gramm Nahrung je Heuschrecke - das genügt vollkommen aus.

Die Zucht als Hobby zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Nachdem Breitschuh auch selbst auf den Geschmack gekommen ist, sieht er die Heuschreckenzucht nun sogar als aussichtsreichen Ertragszweig. Zwar müsste man schon 250 Heuschrecken verzehren, um ein ordentliches Steak zu ersetzen. Doch Ernährungsgewohnheiten ändern sich, glaubt Breitschuh.

Heuschrecken als neues Essen: Kochschule auf dem Bauernhof

Wenn alle Zulassungen vorliegen, sämtliche gesetzlichen Hürden genommen sind, will er seine Vision vom neuen Essen mit einer eigenen Kochschule auf seinem Bauernhof unterstützen. Das wird auch höchste Zeit, denn der Buchmarkt im Internet hält bereits erste Rezeptbücher bereit. In drei Jahren könnte es dann, so schätzt es Breitschuh ein, soweit sein.

Seine Überzeugung: „Als Vorspeise eignet sich diese robusten Insekt allemal.“ Die Tiere wie bisher nur als Futter an Exotenzüchter zu verkaufen, dafür seien sie ihm einfach viel zu schade. Bei ihm kostet eine ausgewachsene Heuschrecke, die fünf bis sieben Zentimeter lang und 1,5 Gramm leicht ist, gegenwärtig 30 Cent. (mz)

Links: Die großen Exemplare sind die Weibchen. Rechts: Diese Proben haben keine rote Verfärbung, gelten als keimfrei.
Links: Die großen Exemplare sind die Weibchen. Rechts: Diese Proben haben keine rote Verfärbung, gelten als keimfrei.
Pülicher