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Post aus dem Knast Post aus dem Knast: Warum eine Frau einem Häftling Briefe schreibt

Von Jessica Hanack 20.05.2018, 08:00
Briefe aus der Justizvollzugsanstalt sind eine Brücke zur Außenwelt
Briefe aus der Justizvollzugsanstalt sind eine Brücke zur Außenwelt dpa

Halle (Saale) - Sie leben in anderen Welten. Der eine hinter den hohen Mauern der Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg, die andere in einer hessischen Kleinstadt.

Mehr als 450 Kilometer liegen zwischen ihnen. Sie sind sich noch nie begegnet, aber es gibt etwas, das die beiden verbindet: Briefe.

Im Gefängnis funktioniert nur die Post per Brief

Während deutschlandweit die analoge Post zunehmend durch E-Mails, WhatsApp oder Facebook ersetzt wird und die Zahl der zugestellten Briefe pro Werktag kontinuierlich sinkt, bleiben sie im Gefängnis einer der wenigen Wege über die Mauer nach draußen. Internet haben die Häftlinge nicht.

David H. und Tamara G. schreiben sich seit mehreren Monaten wöchentlich, mal nur einige Absätze, mal bis zu vier Seiten.

Kontakt kam über Website Jailmail

Sie haben sich über Jailmail (dt. Gefängnispost) kennengelernt. Eine Website, auf der Inhaftierte Anzeigen schalten können, um Brieffreunde draußen zu finden.

David H. sitzt auf dem Sofa eines Besucherraums der JVA, als er von seiner Brieffreundschaft erzählt. Seine Haare sind wenige Millimeter kurz, Arme, Hals und Gesicht sind tätowiert. Ein sportlicher Typ in blauem Pullover, Jogginghose, Turnschuhen.

Erstaunlich viele Menschen schreiben Briefe ins Gefängnis

Von Jailmail spricht er mit Begeisterung, aber auch Erstaunen. Darüber, wie viele ihm geschrieben haben. „30 Anfragen waren es bestimmt“, sagt er und betont, dass die nicht nur von Tätowierten wie ihm gekommen seien.

Es hätten Familien, Menschen aus Bayern oder der Schweiz geschrieben - und Tamara G.

Die surfte mit einer Freundin im Internet, als sie auf Jailmail stieß. Sie war neugierig, scrollte durch die Anzeigen von Männern in ihrem Alter und fand David H. „Der hat mich angesprochen“, sagt die Hessin.

Häftling will dem tristen Alltag entkommen

In seinem Steckbrief schrieb der Gefangene, er suche eine Fluchthelferin, um seinem tristen Alltag zu entkommen. Das Foto dazu zeigte ihn in einem ärmellosen Shirt, die Tattoos gut sichtbar.

„Da habe ich gedacht, ich probiere das“, sagt Tamara G. „Ich wusste gar nicht, dass man Kontakt mit Gefangenen haben darf.“

Keine Partnervermittlung sondern Briefkontakt

Jailmail, heißt es auf der Website, soll keine Partnervermittlung sein, sondern lediglich Briefkontakte herstellen. Hunderte Gefangene aus Deutschland, aber auch den USA inserieren dort.

Manche sind über 60, der jüngste ist gerade 18 Jahre alt. Warum jemand inhaftiert ist, ist dort nicht zu erfahren. Kontakt kann über ein Online-Formular aufgenommen werden, das von der Gründerin der Website ausgedruckt und per Post an den Gefangenen weitergeleitet wird.

Skepsis draußen - ist das echt?

So vergingen zwei Wochen, bis eine Antwort in Tamara G.s Briefkasten landete. Sie war aufgeregt, lief mit dem Brief direkt zu einer Freundin.

Zuerst sei sie skeptisch gewesen, sagt Tamara G., ob das Ganze keine Fälschung sei. Weil sie immer noch nicht glauben konnte, dass es so leicht ist, Kontakt zu einem fremden Gefangenen aufzunehmen. „Aber von Brief zu Brief habe ich mehr gemerkt: Das ist echt.“

Briefeschreiber erzählen sich von ihrem Alltag

Die beiden erzählen sich von ihrem Alltag, ihren Hobbys, ihren Plänen für die Zukunft. Tamara G. schreibt von ihrer Arbeit in einer Psychiatrie, David H. vom Leben im Gefängnis.

Die fehlende Vorstellung davon, wie ein Tag in einer JVA abläuft, sei für viele ein Grund, Gefangenen zu schreiben, meint David H. „Manche denken, wir liegen im Kerker, andere denken, wir können den ganzen Tag im Internet surfen.“

Wichtige Frage: Warum sitzt du im Gefängnis?

In einem ihrer ersten Briefe stellte Tamara G. auch die Frage, die sich wohl jeder im Laufe einer solchen Brieffreundschaft stellen würde: Warum sitzt du eigentlich im Gefängnis?

Er habe sofort ehrlich geantwortet, sagt die Hessin. David H. wurde wegen Betrugs verurteilt. Seit drei Jahren sitzt er in der JVA Burg, zwei Jahre hat er noch vor sich. Macht insgesamt fünf Jahre - das entspricht der Höchststrafe bei einem einfachen Betrug.

Im Falle eines schweren Betrugs können die Täter zu Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren verurteilt werden.

Freunde warnen - nutzt der Häftling die Frau aus?

Tamara G. sagt, erschrocken habe es sie nicht, von der Straftat zu erfahren - ihr sei klar gewesen, dass er nicht wegen eines Kaugummi-Diebstahls inhaftiert sei. Und seit sie Bescheid wisse, sei das Verbrechen nie wieder ein Thema gewesen.

Tamara G. plaudert offen über ihren Briefkontakt, der sei schließlich „nichts Schlimmes“. Ihre Freunde hingegen haben nicht alle so gelassen reagiert.

„Natürlich sagen manche: sei vorsichtig, erzähl’ nicht gleich alles, lass’ dich nicht ausnutzen“, sagt Tamara G. Dass solche Fälle wirklich vorkommen, berichtet ein anderer Insasse aus Burg.

Er habe Männer erlebt, die ihre Brieffreundinnen wieder und wieder um teure Geschenke angebettelt haben - zum Teil mit Erfolg. Auch er rät Frauen daher zu Vorsicht.

Reiz, neue Menschen kennenzulernen

Tamara G. hatte von Beginn an kaum Bedenken. Wegen der Entfernung zwischen Burg und ihrem Wohnort. Und weil sie den Kontakt jederzeit abbrechen könnte. Für sie überwiegt der Reiz, jemanden kennenzulernen, dem sie sonst wohl nie begegnet wäre.

Und das auf eine besondere Art. „Über das Schreiben ist es irgendwie intensiver“, findet die Hessin. „Briefe aus dem Gefängnis können auch sehr sinnlich sein.“

Briefe sind Abwechslung im Gefängnisalltag

Für David H. sind die Briefe anfangs vor allem Abwechslung in seinen immer gleichen Tagesabläufen: Er steht auf, isst, arbeitet als Hausarbeiter im medizinischen Bereich, isst, macht Sport, isst. Ab 21 Uhr müssen die Gefangenen in ihren Zellen sein.

„Da ist es schön, sich hinzusetzen, die Musik anzumachen und einen Brief zu schreiben“, sagt der 34-Jährige. „Hier drinnen merkt man erst, wie wichtig ein paar Zeilen sein können.“

Die Briefe hat er alle ordentlich abgeheftet. So kann er sie immer wieder lesen.

Inzwischen hat Tamara G. ihrem Brieffreund auch ihre Handynummer geschickt. Beim ersten Telefonat hätten beide kaum ein Wort herausgebracht.

Briefe sind für David H. eine Chance

Tamara G. kann sich vorstellen, David H. einmal in Burg zu besuchen. Der denkt bereits an die Zukunft. In seinem Blick spürt man die Hoffnung, die er in die Brieffreundin steckt.

Längst geht es nicht mehr nur um die Abwechslung. Kontakt zu seiner Familie habe er nicht mehr. Die Briefe, die sonst so stark an Bedeutung verlieren, sind seine Chance, sich ein neues Umfeld aufzubauen. Und so hoffentlich den angestrebten Neustart nach der Entlassung zu schaffen. (mz)

Statt E-Mails werden in der JVA Briefe geschrieben - oft per Hand.
Statt E-Mails werden in der JVA Briefe geschrieben - oft per Hand.
dpa