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Musterstadt des Bauhaus Musterstadt des Bauhaus: Wie in Magdeburg die klassische Moderne umgesetzt wurde

Von Kai Agthe 14.12.2019, 13:00
Die Beims-Siedlung (1925-1931) ist ein Paradebeispiel sozialen Wohnungsbaus und nach dem damaligen Oberbürgermeister Hermann Beims benannt.
Die Beims-Siedlung (1925-1931) ist ein Paradebeispiel sozialen Wohnungsbaus und nach dem damaligen Oberbürgermeister Hermann Beims benannt. Andreas Lander

Magdeburg - Das Bauhaus war angetreten, mit seinen Siedlungsentwürfen den Menschen, die in den Großstädten vor allem in Mietskasernen hausten, Licht, Luft und Grün zu bringen. Die Siedlung Törten war in der Dessauer Zeit der berühmten Design-Schule der erste und letzte Versuch, zeitgemäße Wohnanlagen nach menschlichem Maß zu schaffen. Was vom Bauhaus nur punktuell umgesetzt werden konnte, das nahm in den 20er und 30er Jahren in Magdeburg erstmals großflächig in Mitteldeutschland Gestalt an.

In einem Zeitraum von kaum mehr als einem Jahrzehnt entstanden in der seit dem späten 19. Jahrhundert rasant wachsenden Stadt der Schwerindustrie allein 17 Siedlungen, die den riesigen Bedarf an erschwinglichen Wohnraum decken sollten, fehlten doch allein im Jahr 1922 rund 9000 Wohnungen in der Elbestadt. Ein auf zehn Jahre angelegtes Wohnungsbauprogramm wurde beschlossen, in dessen Folge bis 1933 insgesamt 10.000 Wohnungen für 42.000 Menschen geschaffen wurden, vor allem in Siedlungen.

Kulturhauptstadt-Bewerbung rückt Bauhaus-Siedlungen in den Fokus

Im Zuge des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums und im Vorfeld der Bewerbung Magdeburgs als Kulturhauptstadt Europa für das Jahr 2025 ist der reiche Bestand an Wohnsiedlungen in der Elbestadt in den Fokus gerückt. Sie sind wesentliche „Bausteine der Magdeburger Moderne“, wie der Titel eines Bildtextbandes lautet, den der Architekt Eckart W. Peters und der Journalist Karl-Heinz Kaiser herausgegeben haben. In diesem werden sechs Siedlungen vorgestellt, die vor allem in den gesellschaftspolitisch und wirtschaftlich nicht einfachen Jahren der Weimarer Republik entstanden.

Die früheste Wohnanlage war die heutige Gartenstadt-Kolonie Reform, deren erste Wohnungen bereits 1912 gebaut wurden. Die Siedlung Cracau war das letzte Siedlungsprojekt in der Elbestadt, wo bis 1938 allein mehr als 2000 Wohnungen entstanden. Dazwischen wurden in rascher Folge großangelegte Siedlungen errichtet, die deutschlandweit vorbildhaft für den Wohnungsbau der Zeit waren.

Tausende Wohnungen entstanden in Magdeburg nach Bauhaus-Vorbild

Allen voran die Hermann-Beims-Siedlung im Südwesten der Stadt, die 1931, im Jahr seines Ausscheidens aus dem Amt, nach dem Magdeburger Oberbürgermeister benannt wurde, der in zwölf Dienstjahren mit großer Weitsicht die städtischen Siedlungsprojekte vorangetrieben hatte. Unter Beims’ Ägide und Federführung des Stadtbaurats Bruno Taut wurde Magdeburg zur „Stadt des neuen Bauwillens“.

Eckart W. Peters/Karl-Heinz Kaiser (Hg.): „Bausteine der Magdeburger Moderne - Eine Stadt blüht auf“, Ost-Nordost-Verlag, 320 Seiten, 29,80 Euro

Auch der Beims-Siedlung lag jenes Maß zugrunde, welches das Bauhaus anlegte: der Mensch und seine Wünsche an eine zeitgemäße Unterkunft. Die bis heute als Wohndomizil beliebte Anlage mit ihrem geradlinig und rechteckig verlaufenden Straßensystem wird aus überwiegend dreigeschossigen, kubischen Baublöcken mit Flachdach sowie großen und begrünten Innenhöfen gebildet. Die Häuser bieten Ein- bis Vier-Raum-Wohnungen, zum überwiegenden Teil jedoch Drei-Raum-Wohnungen, ferner auch einige Fünf- und Sechs-Raum-Wohnungen, wobei sämtliche größere Wohneinheiten - ein unerhörter Luxus vor 100 Jahren - bereits mit Bad und WC ausgestattet waren.

Bauhaus-Design in Magdeburg: Moderne Wohnungen ihrer Zeit

Das Bauhaus dürfte seine helle Freude an dieser Siedlung gehabt haben. Apropos hell: Wie man sich die farbliche Gestaltung der Räume zur Zeit des Erstbezugs vorzustellen hat, ist in einer Museumswohnung am Beims-Platz zu erleben. Eine Musterwohnung wiederum zeigt, was potenzielle Mieter in der Siedlung erwartet, die heute unter Denkmalschutz steht und damit eines der ausgedehntesten Flächendenkmale Europas ist. Alles zusammen sorgte dafür, dass, wie Kaiser schreibt, die Beims-Siedlung „heute als eines der bedeutendsten Projekte des sozialen Wohnungsbaus und Mustersiedlung in der Formensprache des Neuen Bauens bezeichnet wird“.

Auch Filmteams finden hier ideale Bedingungen. Schon mehrfach wurden in der Beims-Siedlung Außen- und Innenaufnahmen für den Magdeburger „Polizeiruf 110“ gedreht. Für eine Folge der ARD-Krimi-Serie wurden leerstehende Gewerberäume zur Kulisse einer Wäscherei. Wie berichtet wird, wirkte die Szenerie so echt, dass Passanten fragten, wann sie ihre Wäsche vorbeibringen könnten.

1920er und 30er als Hochzeit der Bauhaus-Architektur

Ein weiteres Hauptwerk des neuen Bauwillens in Magdeburg war die nach Plänen von Stadtbaurat Johannes Göderitz und Wilhelm Deffke, der an der Kunstgewerbeschule lehrte, als Klinkerbau 1926/27 errichtete Stadthalle am Rotehornpark. Zeitgleich entstand in direkter Nachbarschaft der heute nach seinem Architekten Albinmüller - auch er war damals Lehrer an der Kunstgewerbeschule - benannte expressive Aussichtsturm, der neben dem Dom als ein Wahrzeichen der Elbestadt gilt.

„Diese Ganzheitlichkeit des Städtebaus ist das Gedankengut für uns, um Städte auch heute noch in menschlichen Dimensionen lebendig zu gestalten“, erklärt Peters.

Wer die klassische Moderne im Allgemeinen und den sozialreformerischen Wohnungsbau der 20er Jahre im Besonderen studieren will, ist also in Magdeburg genau richtig. (mz)

Klassische Moderne aus der Drohnen-Perspektive: die Magdeburger Stadthalle und der Albinmüller-Turm im Rotehornpark
Klassische Moderne aus der Drohnen-Perspektive: die Magdeburger Stadthalle und der Albinmüller-Turm im Rotehornpark
Andreas Lander