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Landesgrenze zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg Kümmernitz: Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg spaltet Dorf

Von Julius Lukas 24.02.2019, 07:00
Der Vize-Ortsbürgermeister von Kümmernitz, Hans-Günther Rose, ist ein Grenzgänger. Mit einem Bein steht der Sachsen-Anhalter in Brandenburg.
Der Vize-Ortsbürgermeister von Kümmernitz, Hans-Günther Rose, ist ein Grenzgänger. Mit einem Bein steht der Sachsen-Anhalter in Brandenburg. J. LuKas

Kümmernitz - Rote Steine sind in das graue Pflaster eingearbeitet. Sie teilen die Straße. „Das ist die Grenze“, sagt Hans-Günther Rose. Er steht auf der rechten Seite der Straße, die zu Kümmernitz gehört. Das Dorf im Landkreis Stendal liegt ganz oben in Sachsen Anhalt, nördlicher noch als Havelberg.

In Kümmernitz ist Rose stellvertretender Ortsbürgermeister, ein Ehrenamt, das er vor zwei Jahren übernommen hat. Würde er jetzt jedoch den halben Schritt über die Grenze aus roten Steinen gehen, dann wäre er nicht mehr zuständig.

„Da drüben ist schon Breddin-Abbau“, erklärt Rose. Und Breddin-Abbau gehört nicht zu Kümmernitz. Und auch nicht zum Landkreis Stendal. Es ist nicht einmal mehr Sachsen-Anhalt. Breddin-Abbau liegt in Brandenburg - und das ist nun ein Problem.

Landesgrenze teilt Dorf und sorgt für Probleme

Die Landesgrenze in der Straßenmitte gibt es nicht erst seit gestern. Sie ist schon etwa 200 Jahre alt. Und bisher hatte man sich damit ganz gut arrangiert.

Die sieben Häuser mit 20 Bewohnern auf der brandenburgischen Seite haben ihre eigene Müllabfuhr. Sie haben auch eigene Postzusteller, unterschiedliche Ämter, Schulen und Wahltermine - alles schon lang eingeübte Praxis.

Und wenn mal gemeinsame Aufgaben anstanden, wie etwa die Sanierung der Straße, dann „haben sich die Brandenburger eben an den Kosten mit beteiligt“, sagt Hans-Günter Rose. Doch diesmal ist es komplizierter.

Nach Kümmernitz soll das Hochgeschwindigkeitsinternet kommen. „Breitband Altmark“ heißt die Initiative, die die ländliche Region im Norden Sachsen-Anhalts mit Glasfaserkabeln an die virtuelle Welt anschließen will.

Allerdings endet dieser Wille an der Landesgrenze - und damit mitten in Kümmernitz. „Stand jetzt bekommen die Häuser in Brandenburg keinen Anschluss“, sagt Rose. Es ist, als würde eine Straße gebaut und die eine Seite zur dreispurigen Autobahn gemacht, während die andere eine Holperpiste bleibt.

„Da wiehert doch der Amtsschimmel“, meint Rose. Er schlendert die Straße mit den roten Markierungssteinen entlang, die in viel Feld endet. Rose trägt eine Oberlippen- und Kinnbart. Damit sieht der fitte 68-Jährige ein wenig wie ein ergrautes Musketier aus. Und ebenso leidenschaftlich wie die französischen Degen-Fechter kämpft auch er für die Internetgerechtigkeit seiner brandenburgischen Nachbarn.

In gewisser Weise entspricht das auch seinem Naturell. Rose ist pensionierter Polizeibeamter. Allerdings war sein Revier nicht der Norden Sachsen-Anhalts, sondern Jever in Friesland (Niedersachsen). Durch die Jagd und Verwandtschaft verschlug es seine Frau und ihn in die Grenzregion zu Brandenburg. Sie kauften ein Haus, das mittlerweile zum Alterswohnsitz geworden ist.

Den Menschen hier fühlt sich Rose mittlerweile verbunden. Deswegen setzt er sich auch für sie ein. „Und die Leute auf der brandenburgischen Seite sind ja auch Kümmernitzer.“

Enklave in Sachsen-Anhalt: Wie es zu der besonderen Situation von Kümmernitz und Breddin-Abbau kam

Was man dazu wissen muss: Die Landesgrenze in Kümmernitz verläuft nicht nur in der Straßenmitte, sondern auch um die sieben Häuser und ihre Grundstücke herum. Breddin-Abbau ist nämlich eine Enklave. Das bedeutet, der Ort ist von Kümmernitz umschlossen. Und damit auch vom Landkreis Stendal. Er ist ein kleines Stück Brandenburg in Sachsen-Anhalt

Etwa einen Hektar ist die Enklave Breddin-Abbau groß. Seit etwa 200 Jahren soll es sie bereits geben. Die Geschichte dazu - eine vage Überlieferung. „Der Landesfürst, dem das Gebiet gehörte, soll ein Glücksspieler gewesen sein“, erzählt Rose. Allerdings habe der Adlige selten gute Karten gehabt. „Irgendwann waren seine Schulden so hoch, dass er das Stück Land abgeben musste.“

Einmal im Kataster eingetragen, blieb der Hektar ein Punkt im fremden Territorium. Als dann das Land Brandenburg geformt wurde, schlug man den kleinen Flicken dem nächstgelegenen Dorf zu: Breddin, das ist zwei Kilometer davon entfernt. Nur der Zusatz „Abbau“ kam damals noch hinzu. „Was das bedeutet, weiß hier keiner“, sagt Heinz-Günter Rose.

In Sachsen-Anhalt gibt es aber noch weitere Enklaven, alle gehören zu Brandenburg und liegen im östlichen Teil der Stadt Möckern (Jerichower Land). Dabei handelt es sich um fünf kleine Stücken Land, die - anders als Breddin-Abbau - unbewohnt sind. Sachsen-Anhalt hat auch Exklaven. Eine liegt auf dem Gemeindegebiet von Ziesar in Brandenburg. Zwei weitere bei Billrode sowie Ziegelroda (beide Thüringen). Auch dort leben keine Menschen.

Im Alltagsleben spielte die historische Besonderheit des Doppelortes für die Bewohner fast keine Rolle. Dann kam das Internet. „Das Problem ist, dass der Breitbandausbau mit Fördergeldern bezahlt wird“, sagt Rose. Und die haben eine wichtige Auflage: Sie sind nur für Sachsen-Anhalt gedacht. Brandenburger dürfen nicht profitieren. „Auch wenn das nur ein paar Meter Kabel sind, die verlegt werden müssten.“

Von sachsen-anhaltischer Seite ist also keine Lösung für das Geschwindigkeits-Problem zu erwarten. Und auch in Brandenburg sieht es derzeit nicht besser aus, wie Rose erzählt. „Dort wird der Breitbandausbau gerade angeschoben - mehrere Millionen stehen im Haushalt dafür bereit.“ Allerdings sieht der Plan vor, dass Breddin frühestens im zweiten Ausbauschritt erschlossen wird. Wann das ist? Unbekannt.

Internet in Breddin-Abbau: Schnell nicht mal im Handynetz

Dass der Ort so weit hinten auf der Prioritätenliste steht, liege auch daran, dass Breddin auf dem Papier schon ziemlich schnell im Netz surft. Per Funk laut Betreiber mit 100 Mbit pro Sekunde. „In Breddin-Abbau kommen die aber keinesfalls an“, sagt Rose.

Zuletzt wurde bei Bewohnern ein Geschwindigkeitstest gemacht - auch ein Vertreter der Gemeinde Neustadt (Dosse), zu der Breddin gehört, war dabei. „Da zeigte sich, das höchstens ein Zehntel davon ankommt - und manchmal gibt es sogar gar kein Netz.“

Roses Hoffnung ist, dass der Test die Brandenburger veranlasst, zu handeln. „Vielleicht gibt es dann ja doch noch einen Weg, sich am jetzigen Ausbau zu beteiligen“, sagt er.

Denn sonst könnte es später dazu kommen, wenn Brandenburg in Breddin Breitband-Internet verlegt, dass ein zwei Kilometer langer Kabelkanal nach Breddin-Abbau gegraben werden muss – obwohl nagelneue Kabel direkt vor der Tür liegen. „Das könnte man dann wirklich keinem mehr erklären“, sagt Rose. (mz)