Keine Notfallmedizin in Kita Keine Notfallmedizin in Kita: AOK warnt Erzieherinnen vor unterlassener Hilfeleistung
Halle (Saale) - Für einen plötzlichen Tod im Kindergarten braucht es nicht viel: eine leere Tüte Erdnussflips, die irgendwo herumliegt, oder der Stich einer Biene können im Extremfall ausreichen – wenn das Kind allergisch ist.
Um Notfallmedikamente, die in solchen Fällen das Ersticken verhindern, ist nun heftiger Streit ausgebrochen: Die Stadt Landsberg (Saalekreis) hat ihren Erzieherinnen untersagt, lebensrettende Arznei zu geben. Das Kita-Personal sei schließlich nicht medizinisch, sondern pädagogisch geschult, argumentiert das Rathaus.
AOK rät zu Ungehorsam
Die AOK, Sachsen-Anhalts größte Krankenkasse, zeigt sich entsetzt über den Fall. „Stirbt ein Kind, wäre das schrecklich“, sagt Sprecherin Anna-Kristina Mahler. Die Gesundheit und das Wohlergehen der Kinder müsse stets an erster Stelle stehen.
Die Kasse fordert Kita-Mitarbeiter daher offen zu zivilem Ungehorsam auf. Erzieherinnen sollten lebensrettende Medikamente „auf jeden Fall“ verabreichen, fordert die AOK - selbst wenn der Arbeitgeber das untersagt hat. „Möglicherweise verletzen sie dabei zwar eine Dienstanweisung, doch eine unterlassene Hilfeleistung wiegt viel schwerer. Das ist eine Straftat“, argumentiert AOK-Sprecherin Mahler.
Drei Familien gehen gegen Beschluss der Stadt vor
In Landsberg selbst wehren sich Eltern gegen die Entscheidung aus dem Rathaus. Drei Familien, die um das Leben ihrer Kinder fürchten, vertritt der hallesche Rechtsanwalt Jens Stiehler. Im Fall eines fünfjährigen Mädchens mit Erdnussallergie hat er bereits einen Erfolg erzielt: Durch einen Beschluss des Verwaltungsgerichts Halle ist die Kita „Wirbelwind“ im Ortsteil Gütz verpflichtet, die Medizin im Notfall zu geben. Die Stadt muss nun entscheiden, ob sie einlenkt oder ob es zur Klage kommt.
Der Anwalt hält die Position der Stadt für unhaltbar. „Es gibt einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kita-Platz“, sagt Stiehler. „Dann müssen die Kommunen auch sicherstellen, dass Kinder mit Beeinträchtigung die Kita besuchen können.“
Sozialministerium unentschlossen
Das für Kitas zuständige Sozialministerium unter Petra Grimm-Benne (SPD) will derzeit nicht entscheiden, wer recht hat - Eltern oder die Stadt. Eine Bewertung sei noch nicht möglich, sagt eine Sprecherin. Der Fall sei bis zur Berichterstattung durch die MZ nicht bekanntgewesen. Mittlerweile habe das Ministerium einen Bericht angefordert – der werde aber voraussichtlich nicht in dieser Woche vorliegen.
Eine früher veröffentlichte „Handreichung“ des Sozialministeriums und der Unfallkasse jedenfalls bleibt im Ungefähren. „Eine Kindertagesstätte, die ihren Versorgungs- und Betreuungsauftrag und auch die Interessen der Eltern ernst nimmt, wird sich der Gabe von Medikamenten nicht grundsätzlich verweigern können“, heißt es da. Aber: Einen allgemeinen Anspruch hätten Eltern nicht. Ob das noch gilt, lässt das Ministerium vorerst offen.
„Jeder Mensch ist zur Nothilfe verpflichtet“
Eine klare Haltung hat der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte. „Jeder Mensch ist zur Nothilfe verpflichtet“, sagt Landesvorsitzender Dr. Roland Achtzehn. Bei lebensbedrohlichen Zuständen dürften Kita-Mitarbeiter das Medikament keinesfalls verweigern, mahnt der Arzt.
Die meisten Kitas haben klare Regeln. In Dessau-Roßlau dürfen eigens unterwiesene Kita-Mitarbeiter Medikamente geben, wenn das „medizinisch unvermeidlich und organisatorisch nicht anderweitig lösbar ist“ - wenn also ein Notfall eintritt und die Kita nicht warten kann, bis ein Rettungswagen eintrifft. So halten es viele Kommunen.
Die Diakonie als Dachverband von 135 evangelischen Kitas im Land empfiehlt zudem, eine Einverständniserklärung der Eltern und eine Verordnung des Arztes einzuholen. „Dadurch können sich Träger absichern“, sagt Diakonie-Mitarbeiterin Nancy Wellenreich.
Klare Regeln an Sachsen-Anhalts Schulen
Klar geregelt ist auch die Lage in Sachsen-Anhalts Schulen. Ist es unvermeidlich, dürfen Lehrer ihren Schülern Medikamente verabreichen. Dafür müssen die Eltern genaue Anweisungen des Arztes und dessen Telefonnummer vorlegen, dazu eine Entbindung von der Schweigepflicht.
Das Landsberger Rathaus wollte sich am Donnerstag nicht äußern. Beim Verwaltungsgericht Halle ist indes ein weiterer Antrag eingegangen. Es geht um Notfall-Hilfe für ein knapp zweijähriges Mädchen mit Erdnuss-Allergie. (mz)