Hasenjagd ohne Flinte Hasenjagd ohne Flinte: Warum die Jäger statt Gewehren eine Strichliste dabei haben

Halle (Saale) - Plötzlich hoppelt etwas ins Scheinwerferlicht. „Ist da einer“, fragt Ulrich Thomas nach links. Dort sitzt Jägerkumpan Jörg Transchel am Steuer. Er stoppt den Wagen. Sein prüfender Blick geht aus dem Beifahrerfenster. Dort liegt das kahle Rapsfeld in der Dunkelheit. Nur das Scheinwerferlicht von Thomas’ Lampe wirft einen hellen Punkt auf den Acker. Und in diesem Punkt, da bewegt sich tatsächlich etwas. „Ja, das ist einer“, meint Transchel. Stift und Papier werden gezückt und dann notiert: Hase - 1.
Es ist der erste Sichtungserfolg für Transchel und Ulrich an diesem Dienstagabend kurz vor Ostern. Der erste Treffer, könnte man auch sagen. Die beiden in Camouflage gekleideten Männer sind auf Hasenjagd. Ihr Revier sind die Wiesen und Felder rund um Molau im Burgenlandkreis, südlich von Naumburg, an der Grenze zu Thüringen. Statt Flinten haben die Hobby-Jäger allerdings eine Strichliste dabei. Sie sind in wissenschaftlicher Mission unterwegs. „Wir erschießen die Hasen nicht, sondern zählen sie“, erklärt Transchel - eine für den Artenschutz wertvolle Aufgabe.
Um den Feldhasen steht es schlecht in Deutschland
Denn um den Feldhasen steht es schlecht in Deutschland. Und besonders schlecht im Osten, wo Meister Lampe langsam das Licht ausgeht. Sechs der nachtaktiven Wildtiere sind hier auf einem Quadratkilometer Feld und Wiese zu Hause. Im bundesweiten Durchschnitt sind es fast doppelt so viele. Dass man das weiß, liegt auch an ehrenamtlichen Helfern wie Ulrich Thomas und Jörg Transchel. „Wir sind seit 2003 bei der Hasenzählung dabei“, erzählen die beiden. Im Frühling und im Herbst fahren sie durch ihr Revier. Die Strecke ist immer die gleiche. 20 Kilometer vorbei an Wiesen und Feldern. Und das in schnellerer Schrittgeschwindigkeit. Dabei leuchten sie mit einem Strahler die Äcker ab - und zählen. Hauptsächlich Hasen, aber auch alles andere, was sich bewegt.
„Ich will schon wissen, was hier draußen los ist - oder eben nicht“, erklärt Jörg Transchel seine nächtliche Einsatzbereitschaft. Nur so könne man auf Entwicklungen frühzeitig reagieren. Welche Entwicklungen das sein könnten, macht Ulrich Thomas deutlich: „Andere Arten, die im gleichen Lebensraum wie der Hase zu Hause sind, sieht man nur noch sehr selten“, sagt der 55-Jährige. Rebhuhn, Feldhamster, Bekassine - Fehlanzeige.
Lebensraum für Hasen: „Es fehlen Hecken und Sträucher als Versteck“
Und Hasen? Das erste Exemplar auf dem Rapsacker begegnete den beiden schon kurz nachdem sie ihre Jagd mit Zettel und Stift begonnen haben. Dann herrscht erst einmal Langohr-Ebbe. „Hasen finden hier nicht viel geeigneten Unterschlupf“, erklärt Thomas und zeigt auf das Feld neben dem Auto. 200 Hektar Fläche, auf der der Winterweizen bis zum Horizont abgeraspelt ist. Ein bisschen erinnert der Acker an eine Mondlandschaft. „Es fehlen Hecken und Sträucher als Versteck“, sagt Thomas. Und Jörg Transchel meint: „Ein Hase brauch über 50 verschiedene Kräuter, damit er leben kann.“ Mit Blick auf die monokulturelle Ödnis rundherum fragt der 58-Jährige: „Wo soll ein Hase die hier finden?“
Es habe mal Zeiten gegeben, als auch im Molauer Land der Hasenbestand üppig war. Jörg Transchel erzählt von seinem Großvater, ebenfalls ein Jäger. „Wenn der am Sonntagmorgen losgegangen ist, kam er zum Mittag mit 70 geschossenen Hasen zurück.“ Heute sei er froh, wenn er mal einen oder zwei beobachten könne. Sicher, solche Erzählungen von früher sind seit jeher auch mit Jägerlatein aufgepeppt. Doch die Realität ist mitunter der beste Zeuge. Und im Licht von Ulrich Thomas’ Lampe ist eine Dreiviertelstunde nach dem ersten Treffer nichts Zählbares mehr aufgetaucht.
Lichter? Jäger bezeichnen so die angestrahlten Augen von Tieren
Dafür glüht es plötzlich im Kegel des Scheinwerfers. Im trüben Dunkel erkennt man zwei bläulich schimmernde Lichter und daneben noch zwei weitere. Lichter? Jäger bezeichnen so die angestrahlten Augen von Tieren. Hasen haben orange-gelbe Lichter. Füchse rote und die blauen gehören zum Rehwild. Die beiden Tiere auf dem Luzerne-Acker lassen sich aber von ihren Beobachtern nicht stören. Sie schauen unerschrocken Richtung Wagen, als würden sie sich im Scheinwerferlicht sonnen. „Die wissen, dass sie von uns nichts zu befürchten haben“, sagt Transchel. Jäger schießen ja nicht aus Autos.
Die Rehe sind notiert und die Fahrt geht weiter. Erfolge der jüngsten Vergangenheit werden besprochen. Zuletzt machte die örtliche Jägerschaft, die etwa 1.200 Hektar Molauer Land gepachtet hat, fette Beute. „Ein Kollege hatte da den richtigen Riecher und zur Wildschwein-Jagd geblasen“, erzählt Transchel. Die Strecke: sechs Schwarzkittel. Schon ein ordentlicher Fang in dieser eher baumarmen Gegend. „Bei uns kann man vom Anfang des Waldes das Ende schon sehen“, meint Transchel.
Windräder sind bei Naturschützern eher unbeliebt
Der nächste Feldweg ist erreicht und Ulrich Thomas verkündet: „Jetzt beginnt die Disco.“ Ein Blick nach draußen erklärt, was er meint. Auf dem Acker zur rechten Seite schrauben sich unzählige Windräder in den Himmel. In der Nacht sind sie an den roten Signalleuchten zu erkennen, deren taktvolles Blinken einer stummen Musik zu folgen scheint.
Die „Windmühlen“, wie Transchel und Ulrich sie nennen, sind bei Naturschützern eher unbeliebt, da sie für Vögel und Fledermäuse tödliche Hindernisse darstellen. „Für unsere Hasen sind die allerdings gar nicht schlecht“, sagt Jörg Transchel. Zum einen würden sie Greifvögel von den Äckern fernhalten. „Und zu jeder Windmühle führt auch ein Weg, an dessen Rändern Gräser, Büsche und Sträucher wachsen.“ Und die wiederum bieten Nahrung und Schutz für die Hasen.
Noch besser als für die Hasen wäre eine Grube aber für Wildkaninchen
Was dem einen Tier schadet, nutzt vielleicht einem anderen. So ist es wohl auch bei der Kiesgrube, die etwa 500 Meter von der Route der Hasenjäger entfernt entstehen soll. „Natürlich bedeutet die erst einmal Dreck, Lärm und Verkehr“, sagt Jörg Transchel. Aber es keimen auch kleinere Hoffnungen: Vielleicht entstehen Aufschüttungen, die von Gräsern und Kräutern überwuchert werden. „In Abbaugebieten bilden sich oft auch kleine Teiche und Seen, die eine gute Wasserquelle sind.“
Noch besser als für die Hasen wäre eine Grube aber für Wildkaninchen, die dort gut buddeln könnten. „Aber Wildkaninchen haben wir hier schon lange nicht mehr“, sagt Ulrich Thomas.
Der große Fang, denn Hasen mögen Hopfen
Die Strichliste der beiden Jäger füllt sich auf ihrer nächtlichen Tour nur schleppend. Blaue Lichter sehen sie am häufigsten im aufleuchten. Elf Rehe werden nach den 20 Kilometern auf dem Zettel stehen. Dazu noch ein Fuchs und eine Katze. Bei den Hasen sieht es lange so aus, als könnten lediglich drei Exemplare vermerkt werden - weniger hatten sie noch nie nach einer Runde.
Dann allerdings gelingt doch noch der große Fang. Wieder ein Rapsfeld. Und diesmal gleich fünf Hasen auf einmal. „Die Stelle ist beliebt bei denen, weil in der Nähe Hopfen wächst“, erklärt Jörg Transchel. Der Langohr-Haufen verbessert die Endabrechnung erheblich: acht Hasen nach gut drei Stunden Jagd. „Umgerechnet auf die abgefahrene Fläche bedeutet das trotzdem nur etwa drei Tiere pro Quadratkilometer“, sagt Transchel. Die Molauer Ecke liegt damit deutlich unter Landesschnitt.
Damit es nicht noch weniger werden, legt die Jägerschaft der Region schon lange ihre Flinten nicht mehr auf die hoppelnden Tiere an. „Die paar Exemplare, die wir haben, wollen wir nicht auch noch abschießen“, sagt Transchel. Bei ihnen stehe fest: Gejagt werden Hasen nur mit der Lampe. (mz)
