1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Sachsen-Anhalt
  6. >
  7. Grünen-Fraktionschef Hofreiter: Sachsen-Anhalt könnte viel stärker von der Energiewende profitieren

Heftige Kritik an CDU und SPD Grünen-Fraktionschef Hofreiter: Sachsen-Anhalt könnte viel stärker von der Energiewende profitieren

Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter teilt kräftig gegen CDU und SPD aus. Er erklärt, wie Sachsen-Anhalt stärker von der Energiewende profitieren soll.

Aktualisiert: 16.08.2021, 15:00
Solarparks  sind laut Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter  inzwischen die günstigsten Stromerzeuger.
Solarparks sind laut Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter inzwischen die günstigsten Stromerzeuger. Foto: dpa

Halle (Saale)/MZ - Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter besucht auf einer Sommertour durch Ostdeutschland die Firmen, die die Energiewende voranbringen sollen. Doch was bedeuten die ehrgeizigen Klimaschutzpläne der Grünen für Sachsen-Anhalt? Woher soll der ganze Öko-Strom kommen? Im Gespräch mit den MZ-Chefredakteur Hartmut Augustin und den Redakteuren Rainer Wozny und Steffen Höhne erläutert Hofreiter, wie der Ausbau von Wind- und Solarenergie beschleunigt werden soll, warum das E-Auto vor allem auf dem Land praktisch ist und warum Spitzenkandidatin Annalena Baerbock viel besser als ihr derzeitiger Ruf ist.

Herr Hofreiter, Sie sind heute mit dem Auto nach Halle gekommen. Haben Sie ein schlechtes Gewissen?

Anton Hofreiter: Nein, habe ich nicht, im Bahnstreik gab es auch keine Alternative. Und die Leute brauchen auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie Auto fahren. Es kommt darauf an, dass wir die Strukturen verändern und nicht die Verantwortung bei jedem Einzelnen abladen. Wir benötigen eine bessere Bahn und eine verbesserte Ladeinfrastruktur für E-Autos.

Sind sie mit dem E-Auto gekommen?

Nein, mit einem Leihwagen.

So ganz toll ist die Öko-Bilanz der E-Autos auch nicht, wenn man etwa die Gewinnung von Rohstoffen für die Batterien mit einbezieht und im heutigen Strommix die E-Autos mit Kohlestrom fahren.

Daher ist es auch unser Ziel, möglichst schnell auf 100 Prozent erneuerbare Energien zu kommen. Ostdeutschland ist bereits ein Vorreiter bei der Windkraft. Da liegen gigantische Chancen. Ich kann dieser Debatte über elektrische Antriebe übrigens noch etwas anderes Positives abgewinnen: Erstmals diskutieren wir ernsthaft darüber, wo wir unsere Rohstoffe herbekommen. Auch unser Handy ist ja nicht aus nachwachsenden Rohstoffen, das klassische Auto erst recht nicht, und der Kraftstoff dafür kommt zudem aus Ländern, die nicht als Hort von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten bekannt sind. Heute dominiert China bei wichtigen Rohstoffen wie Seltenen Erden den Markt, es gibt hohe Abhängigkeiten - ganz unabhängig von Batterien. Wir brauchen eine andere Rohstoffpolitik - von mehr Standards bei den Lieferketten bis zu geschlossenen Kreisläufen und Recycling.

Bleiben wir mal lieber bei Sachsen-Anhalt. Sie wollen den Kohleausstieg vorziehen. Haben Sie ein Konzept, woher der ganze Strom kommen soll? Wir haben hier Chemiebetriebe, die benötigen so viel Strom wie die Großstadt Halle.

Durch einen stärkeren Ausbau der erneuerbaren Energien können wir den Bedarf decken und das zu einem wirtschaftlich vernünftigen Preis. Ich habe gerade die größte Solaranlage Deutschlands besucht, dort wird die Kilowattstunde Strom für unter vier Cent produziert. Neu gebaute Atom- oder Kohlekraftwerke produzieren den Strom erheblich teurer. Wir müssen die gigantischen technischen Potenziale nur nutzen.

Herr Hofreiter, Sie sind doch Naturwissenschaftler. Aktuell importiert Deutschland gigantische Mengen Erdöl und Erdgas, die eine hohe Energiedichte besitzen. Glauben Sie wirklich, Wind- und Solaranlagen können das bis 2030 ersetzen?

Eine aktuelle Fraunhofer-Studie sieht das Solarpotenzial in Deutschland bei 54 Gigawatt. Windkraftanlagen an Land und im Meer liefern heute bereits sehr große Energiemengen. Natürlich müssen wir außerdem Ökostrom gut speicherbar machen, etwa durch Wasserstoffprojekte. Und ja, wir werden auch in Zukunft Energie importieren. Aber das darf uns nicht davon ablenken, hier zu tun, was möglich ist: Wir müssen das Planungsrecht beschleunigen: Früher hat es sechs bis neun Monate gedauert, bis eine neue Windkraftanlage genehmigt wurde, jetzt dauert es sechs bis neun Jahre. Außerdem fordern wir, dass jedes Bundesland zwei Prozent seiner Landesfläche für den Ausbau von Erneuerbaren zur Verfügung stellt.

In Sachsen-Anhalt kommen Ihre Botschaften bei den Wählern offenbar nicht an, die Grünen blieben bei der Landtagswahl deutlich unter den Erwartungen.

Ich glaube, das lag an ganz anderen Dingen. Direkt vor der Wahl gab es Umfragen, dass CDU und AfD sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Aus Angst, dass die AfD stärkste Fraktion wird, haben viele Menschen dann ihr Kreuz bei der CDU gemacht. In den Städten sind wir auch hier schon relativ stark, in den ländlichen Regionen benötigen wir da noch etwas Zeit. Ich bin aber optimistisch, dass gerade ländliche Regionen stark von der Energiewende profitieren werden. Am eigenen Haus lässt sich relativ einfach eine Ladesäule installieren und das Dach mit Solarmodulen ausstatten. Das E-Auto ist das Transportmittel gerade für den ländlichen Raum.

Wenn die Grünen in Sachsen-Anhalt einige zugespitzte Positionen geräumt hätten, dann hätten sie ja vielleicht die Möglichkeit gehabt, weiterzuregieren und aktiv mitzugestalten.

Die geplante Reserverad-Koalition, bei der die FDP stimmenmäßig von CDU und SPD ja gar nicht gebraucht wird, halte ich für sehr merkwürdig. Und sie gefährdet Zukunft, weil sie jeden verbindlichen Klimaschutz vermissen lässt.

Auch im Bund haben die Grünen an Reputation verloren. Liegt das jetzt an Frau Baerbock oder daran, dass vermehrt Wähler doch den Visionen der Grünen nicht mehr trauen?

Das sehe ich anders. Nach einem Zwischenhoch im Frühling liegen wir konstant bei guten 20 Prozent in den Umfragen. Der Wahlkampf ist diesmal wirklich nichts für schwache Nerven.

Ist Frau Baerbock die richtige Kandidatin?

Natürlich. Sie ist eine Brückenbauerin, bringt Menschen zusammen, hört zu. Und sie weiß, was wichtig ist, bringt viele Impulse für die Zukunft dieses Landes. Dabei kommt Annalena ihr hohes Fachwissen zugute, vor allem bei den Themen Klimakrise und ökologischer Umbau der Gesellschaft.

Marcus Söder (CSU) und Robert Habeck (Grüne) gehören zu den beliebtesten Politikern Deutschlands, die Spitzenkandidaten sind aber Armin Laschet (CDU) und Frau Baerbock. Ist das nicht merkwürdig?

Die Union hat ihre Entscheidung getroffen. Wir haben uns gemeinsam mit Robert für Annalena entschieden und stehen zu 100 Prozent hinter ihr.

Herr Habeck hat zuletzt in einem Interview bedauert, dass nicht er Spitzenkandidat geworden ist.

Robert hat etwas ganz Ehrliches gemacht. Er hat nicht so getan, als ob das alles spurlos an ihm vorüberging. Es heißt immer, wir wollen ehrlichere und modernere Männer. Robert ist so einer. Aber es war klar: Die beiden treffen diese Entscheidung gemeinsam und tragen sie hinterher dann auch gemeinsam. Wir stehen als Team und Partei geschlossen hinter Annalena.

Aus pragmatischen Gründen?

Aus inhaltlichen Gründen, weil wir glauben, sie kann unsere Inhalte am besten umsetzen. Sie hat Chancen, Kanzlerin zu werden.

Inzwischen hat man den Eindruck, dass die Union in vielen Punkten so grün ist wie die Grünen selbst.

Angesichts der dramatischen Klimakrise würde ich es mir wünschen, dass wir echte Verbündete hätten. Doch wenn es darauf ankommt, habe ich leider andere Erfahrungen gemacht. Die politische Konkurrenz redet inzwischen auch vom Klimaschutz, aber wir Grünen sind die einzigen, die einen Plan dafür haben, wie wir das zügig und sozial verträglich umsetzen können.

Inzwischen sieht es so aus, dass CDU und FDP auch im Bund eine „Deutschland“-Koalition mit der SPD anstreben.

Dann hätten wir eine Koalition der Klima-Mogler, das wäre für Deutschland nicht gut. Ich habe Olaf Scholz und Armin Laschet bei den CO2-Preisverhandlungen erlebt. Laschet ist dabei als Klimabremser aufgefallen, doch Scholz war noch härter gegen einen CO2-Preis. Jede Stimme für die Grünen ist daher eine Stimme gegen ein gefährliches Weiter-so.