Fernfahrer-Stammtisch im Autohof Uhrsleben Fernfahrer-Stammtisch im Autohof Uhrsleben an der A2: "Wir sind doch nicht zu doof zu bremsen"

Autohof Uhrsleben - Ein irres Bild. Zwei schwere Trucks rollen auf eine Baustelle zu, nebeneinander und mit Tempo 80. Schilder signalisieren, dort gibt es nur noch eine Spur. Aber erst kurz vorher schwenkt der Lastzug von der Überholspur nach rechts. Zu spät.
So etwas hatte Peter Förster aus Köthen nicht für möglich gehalten. „Wahnsinn, das wird knapp“, dachte er noch in dem Augenblick, als es ihm passierte. Kein noch so starker Tritt auf die Bremse half. 40 Tonnen Last schoben sein Fahrerhaus auf das Heck des Vordermanns. Unaufhaltsam und unvergesslich, obwohl nur Sekunden vergingen. Dann krachte Blech auf Blech. Die Bergung der beiden Lkw dauerte Stunden. Einer der berüchtigten Mega-Staus bei Halle war die Folge.
Fernfahrer-Stammtisch im Autohof Uhrsleben: Lkw-Fahrer erinnert sich
Das Drama, glücklicherweise ohne Tote, liegt schon Jahre zurück. Vergessen kann es Förster aber nicht. Ungefragt erzählt der Mann von seinem „schrecklichsten Erlebnis“ und mahnt zu gegenseitiger Rücksichtnahme. „Wir wollen doch alle gesund ankommen, oder?“ Das ist sein Beitrag am Fernfahrer-Stammtisch im Autohof Uhrsleben an der A2.
Trucker aus dem ganzen Land treffen sich dort, wo jährlich Tausende von Lkw einen Zwischenhalt einlegen. Gastgeber der Runde ist das Autobahnpolizeirevier Börde. Die gute Absicht bei Kaffee und Bockwurst: Kontrollierte und Kontrolleure reden miteinander Klartext über alles, was sie bewegt im täglichen Überlebenskampf auf der Piste. Ein ungewöhnliches Format - einzigartig in Sachsen-Anhalt, offenkundig bewährt. Interessenten können sich den Termin ganz leicht vormerken. Jeden ersten Mittwoch ist es soweit.
2018 steht bereits die 200. Veranstaltung dieser Art auf dem Plan. Stets mit dabei: ein wuscheliger Teddy mit Dienstmütze und blauer Uniform. Unter Kraftfahrern gilt der noch namenlose Begleiter als begehrtes Maskottchen. Meist bekommt es einen Ehrenplatz, gleich an der Frontscheibe. Günter Bollmann heißt der Beschenkte im November, ein Kilometer-Millionär. Wunschlos und zufrieden ist der Mann, der seit 1990 hinterm Steuer sitzt, damit aber noch lange nicht.
Die Trucker fordern von der Polizei: Kontrolliert endlich mehr!
Bollmanns große Bitte an die Polizei: Kontrolliert endlich mehr! Anders seien die teils chaotischen Verhältnisse auf den Autobahnen nicht mehr in den Griff zu kriegen. Er klagt: „Ich fahre kreuz und quer durch das Land, aber nirgendwo steht ein Polizist.“ Da denke natürlich mancher Fahrer, er könne tun und lassen, was er wolle. Ihn nerve vor allem, wenn Lastzüge viel zu dicht auffahren, sozusagen Heck an Heck. Polen und Slowaken seien da Spezialisten, aber auch viele deutsche Fahrer versuchten es. „Auffahrunfälle sind so programmiert und der Ärger hinterher immer riesengroß.“
Oberkommissar Peter Skudinski, der moderiert, sieht es nicht anders. Sein Problem: Die Börde-Polizei kann nicht zaubern. Ihr Personal ist und bleibt überschaubar. „Schwierig, da den Kontrolldruck weiter zu erhöhen. Das stößt an Grenzen.“ Drei Teams sind ihm zufolge rund um die Uhr mit Lkw-Kontrollen beschäftigt. Drei Besatzungen ermitteln Geschwindigkeiten und Abstände. Hinzu kommen diverse Stationen an Brücken und festen Messpunkten.
Polizisten berichten: Da läuft in der Kabine noch der Porno-Kanal
Was die Polizisten aus ihrem Dienst berichten, lässt aufhorchen. Da werden Lastzüge geblitzt, deren Tachonadel um 120 Kilometer pro Stunde pendelt. Da werden Kleintransporter gestoppt, die statt dreieinhalb Tonnen das Doppelte auf die Waage bringen. Und da werden auch Kraftfahrer vom Bock geholt, da läuft in der Kabine noch der Porno-Kanal. Es gibt nichts, was es nicht gibt, so die Erfahrung der Polizisten.
Die Folgen der Mischung aus Ablenkung und Leichtfertigkeit sind verheerend: 15 Tote und mehr als 500 Verletzte im Revier, allein 2016. Ein Rückgang ist nicht in Sicht, im Gegenteil. Noch mehr trifft diese Einschätzung auf den Landessüden zu, wo momentan die meisten Autobahnbaustellen konzentriert sind. Schreckenspiste Nummer eins in Sachsen-Anhalt ist die A14 im Raum Halle mit bald 500 Crashs seit Januar. Die meisten Opfer fordern Unfälle, bei denen Lkw auf das Stauende krachen.
Verkehrsdichte steigt, es fehlen Parkplätze, überall graue Lärmschutzwände
Das Image der Fernfahrer-Gilde ist angekratzt. An Ratschlägen mangelt es nicht. Uwe Langkammer zum Beispiel, Chef der Landesstraßenbaubehörde, würde Verkehrssünder am liebsten alle noch einmal in die Fahrschule schicken. Darüber können die Berufskraftfahrer nur verbittert lachen. Zwischenruf: „Wir sind doch nicht zu doof zu bremsen, aber der Job ist oft stupide und schlaucht auf langen Strecken.“ Die Verkehrsdichte steige, es fehlten Parkplätze, überall graue Lärmschutzwände ... - die Aufzählung nimmt kein Ende.
Annika, eine Spediteurin aus der Nähe von Magdeburg, bringt einen Fachbegriff ein: Assistenzbremssysteme. Ein Wort und eine neue Debatte bricht los. Die Frau, für die 18 Fahrer unterwegs sind, verlangt die generelle Ausrüstung der Lkw mit diesen elektronischen Helfern. Aber man dürfe sie nicht abschalten können. „Ich glaube, das würde die Autos auf Abstand halten und so manchen Unfall verhindern.“
Altersdurchschnitt in der Brummi-Stube liegt bei 50 plus
Die meisten Fahrer melden indes Zweifel an, gestützt auf Erfahrung. Einer berichtet von grundlosen Notbremsungen. „Einmal wegen eines Wildschweins, das in 50 Meter Entfernung quer über die Fahrbahn rannte.“ Die Sensoren hätten die Situation schlicht verkannt. „Gefährlich wurde es erst mit der Notbremsung.“ Bei dichtem Verkehr wäre das nachfolgende Fahrzeug bestimmt aufgefahren.
Themenwechsel zwischen Streuselkuchen und Gulaschsuppe: die jungen Wilden am Steuer. Darüber wird allerdings in Abwesenheit verhandelt. Der Altersdurchschnitt in der Brummi-Stube liegt bei 50 plus. Was die Alten ihren Nachfolgern in Stammbuch schreiben wollen, ist dies: Auch wenn ihr es eilig habt, nehmt euch Zeit. Und das beginne schon vor der Abfahrt, wirft der ehemalige Fahrlehrer Jörg Baldeweg ein. Ist der Tank voll oder über Nacht von Bösewichtern abgelassen worden? Stimmt der Druck auf den Reifen? Wie ist die Ladung verzurrt? Acht bis zehn Minuten sollte man dafür einplanen. „Wenn die Polizei die Kelle hebt, dann sind schnell ein, zwei Stunden verloren.“ (mz)

