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Fall Adolf Eichmann Fall Adolf Eichmann: Michael Maor half bei der Verhaftung des SS-Mörders

Von Julius Lukas 22.10.2017, 10:00
Vor Polizeischülern hat der in Halberstadt geborene Michael Maor über seine Vergangenheit beim Mossad gesprochen.
Vor Polizeischülern hat der in Halberstadt geborene Michael Maor über seine Vergangenheit beim Mossad gesprochen. Chris Wohlfeld

Halberstadt - Warum er in das Büro des hessischen Generalstaatsanwalts eindringen soll, weiß Michael Maor in dieser Frühjahrsnacht 1960 nicht. „Mir wurde das vorher nicht gesagt“, erzählt der Mann, der damals für den Mossad, den israelischen Nachrichtendienst, arbeitete. Maor, mit einem Schlüssel ausgestattet, bahnt sich zielstrebig den Weg in das Frankfurter Justizzentrum. Im Büro schlägt ihm Zigarrengeruch entgegen. „Ich bin zu dem Eichentisch gegangen, da lagen die zwei Akten, die ich fotografieren sollte - das war mein Auftrag.“ Er schlägt sie auf, sieht Hakenkreuze und die Unterschriften prominenter Nazis. Und dann ein Bild und einen Name: „Adolf Eichmann“. Der Organisator des Holocaust.

Michael Maor half bei der Verhaftung des SS-Mörders Adolf Eichmann

Michael Maor steht, als er über diese Nacht im Frühjahr 1960 spricht, am Pult eines Konferenzraumes im Hotel Villa Heine in Halberstadt (Harz). Es ist Freitagvormittag, ein Führungskräfte-Seminar für Polizei, Justiz und Verfassungsschutz. Veranstaltet von der Landeszentrale für politische Bildung. Etwa 60 Zuhörer sind da, viele in Uniform.

Bei der Veranstaltung geht es um Michael Maor, das Leben des 84-Jährigen und seine Verbindung zu Adolf Eichmann. Der SS-Obersturmbannführer war Leiter des „Judenreferats“ im Reichsicherheitshauptamt, zuständig für die Enteignung und Deportation von Millionen Juden. Der Disponent des Massenmordes. Eine Aufgabe, die Eichmann mit erschreckendem Eifer erfüllte. Nach dem Krieg floh er nach Argentinien, wo er erst 1960 vom Mossad gefasst und nach Israel gebracht werden konnte. Dass es dazu kam, war auch ein Verdienst von Michael Maor.

Für Michael Maor ist Vortrag in Halberstadt eine Rückkehr zum Ort, in dem er zur Welt kam

Für den alten Mann im Maßanzug ist der Vortrag auch eine Rückkehr zum Ort, in dem er zur Welt kam. 1933 wurde Maor in Halberstadt als Michael Sternschein geboren. „Nur einer meiner vielen Namen“, wie der Ex-Agent meint. Allerdings lebte er nur wenige Monate dort. „Ich war ein Baby und habe keinerlei Erinnerungen an die Stadt.“

Maor wuchs erst in Bonn auf, bei seinen Großeltern. Vater und Mutter mussten vor den Nazis fliehen. Doch die Familie kam wieder zusammen. In Jugoslawien allerdings, wo die Eltern mit den Partisanen kämpften, kamen beide ums Leben. Als Waisenkind schaffte es Maor nach Palästina und wurde dort adoptiert. Mit 18 Jahren ging er zum Militär, wurde Fallschirmjäger und schließlich vom Mossad angeworben. Von seiner Zeit beim Geheimdienst hatten seine Frau und seine Kinder bis zu seiner Pensionierung 1990 nichts gewusst. „Ich sagte dieser fantastischen Frau immer: ,Stell bitte keine Fragen, damit du keine Lügen als Antwort bekommst.’“

Michael Maor hatte als Agent oft Probleme mit seinen vielen Identitäten

Seine Geschichte erzählt der Mann, der schon leicht gebückt läuft und von Altersflecken gezeichnet ist, mit rauer Stimme, aber trotzdem lebendig und mit einer Art fröhlichem Ernst: „Ihr wollt ja nicht nur hören, wie ich gelitten, gehungert und geweint habe, bis keine Träne mehr kam“, sagt er zum Publikum.

Eine Szene, in der er als Kind in Jugoslawien vor Verfolgern flieht und deren Kugeln knapp an ihm vorbei gehen, kommentiert Maor lapidar: „Ja, auch sowas kommt vor.“ Mit 18 Jahren, in Palästina, habe er mit seiner Adoptivfamilie in ärmlichen Verhältnissen gelebt. „Ich hatte nicht mal das Geld, um einem Mädchen ein Glas Soda zu kaufen.“ Und als Agent habe er oft Probleme mit seinen vielen Identitäten gehabt. „Man musste immer gut aufpassen, dass man den richtigen Pass aus der Tasche zog.“

Michael Maor spricht über die Nacht, in der Adolf Eichmann verhaftet wurde

Dann kommt Maor zu eben jener Nacht, die ihn zum Teil der Weltgeschichte macht. „Es war wie bei James Bond, nur ohne die Musik“, sagt der Ex-Agent. Im Büro von Generalstaatsanwalt Fritz Bauer habe er sofort mit dem Fotografieren der Akten begonnen. Dann, plötzlich, Licht im Flur, Schritte. „Ich dachte: Jetzt wird es lustig“, erzählt Maor. Er macht sich auf alles gefasst. Doch die Schritte stoppen vor der Tür. Niemand kommt herein.

„Später stellte sich heraus, dass es die Putzfrau war“, erzählt Maor. Zum Glück sei es eine faule Putzfrau gewesen, witzelt er und wird dann ernst. Oft habe man ihn gefragt, was er gemacht hätte, wenn sie hereingekommen wäre. Maor antwortet: „Wenn man solche wichtigen Dokumente über einen der größten Verbrecher fotografiert, dann ist das Leben einer Putzfrau nicht so wichtig.“

Es bleiben weiterhin Ungewissheiten im Fall von Adolf Eichmann

Die Fotos der Akten helfen dem Mossad, Eichmann in Argentinien zu lokalisieren. Am 11. Mai 1960 wird er aufgegriffen. Mittlerweile ist bekannt, dass der Aufenthaltsort des Verbrechers mindestens dem Bundesnachrichtendienst (BND) bereits viel früher bekannt gewesen war. Ein Hinweis findet sich auf einer Karteikarte von 1952, die zu Eichmanns BND-Akte gehört, jedoch erst 2011 entdeckt wurde. Die gesamte Akte ist bis heute nur geschwärzt zugänglich. Die Klage eines „Bild“-Journalisten auf unzensierte Herausgabe wurde 2013 vom Bundesverwaltungsgericht mit Hinweis auf das Geheimhaltungsinteressen der Bundesrepublik Deutschland abgewiesen.

So bleiben weiterhin Ungewissheiten im Fall Eichmann. Dazu gehört auch, woher der Schlüssel kam, der Michael Maor einen so einfachen Zutritt zum Büro des Oberstaatsanwaltes Fritz Bauer ermöglichte. Und warum die Akten dort schon bereit lagen. Die naheliegendste Erklärung ist, dass Bauer selbst sie dort platzierte und den Schlüssel weitergab. Bekannt ist, dass er sehr an der Verfolgung und Ergreifung von Eichmann interessiert war. „Im Justizsystem damals war Fritz Bauer aber von Alt-Nazis umzingelt“, sagt Michael Maor. Er hätte die Akten niemals dem Mossad übergeben können. Deswegen musste es ein Agent tun.

Michael Maor nimmt am Eichmann Prozess nicht teil: „Ich konnte mir das nicht antun“

In Israel beginnt am 11. April 1961 der Prozess gegen Adolf Eichmann. Dabei wird deutlich, wir bürokratisch der Referatsleiter den Massenmord organisierte. Eichmann disponierte die Menschen, als wären sie eine Ware. Nach 121 Sitzungstagen wird das Urteil gesprochen. Das Gericht befindet den SS-Mann in allen 15 Anklagepunkten für schuldig. Eichmann wird als erster und bisher einziger Mensch von der israelischen Justiz zum Tode verurteilt und 1962 gehängt.

Michael Maor nimmt am Eichmann Prozess nicht teil. „Ich konnte mir das nicht antun“, sagt er. Für ihn ist das Urteil bis heute das einzig richtige. „Und ich bin froh, dass ich etwas dazu beitragen konnte.“ (mz)