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Bekannt aus Hollywood Bekannt aus Hollywood: Mit dieser Waffe schießen Sachsen-Anhalts Polizisten bald

14.02.2019, 09:00
Auf dem Polizeischießstand in Schönebeck testet Kommissarin Luisa Brock die neue Dienstpistole.
Auf dem Polizeischießstand in Schönebeck testet Kommissarin Luisa Brock die neue Dienstpistole. Andreas Stedtler

Halle (Saale) - Waffe durchladen, dann dicht vor dem Körper nach oben ziehen, in Kopfhöhe Richtung Ziel schieben, anvisieren. Durchatmen. Jetzt müsste der Schuss fallen - doch die Polizistin mit dem blonden Haar steht da und starrt weiter über Kimme und Korn.

Die schwarze Pistole in ihrer Hand zittert leicht. Sekunden verrinnen - dann endlich dröhnt ein Schuss durch den tunnelartigen Schießstand. Auf der Zielscheibe zeigt sich ein kleines Loch im achten Ring, leicht oberhalb der Mitte. Erneut anvisieren, ein weiterer Schuss hallt - und sitzt mitten in der 10: volle Punktzahl.

Polizeikommissarin Luisa Brock testet zum ersten Mal die neue Dienstpistole, die die Landespolizei von diesem Jahr an ausgeben wird. Es ist eine Glock 46, hergestellt in Österreich. 18 Jahre lang waren Sachsen-Anhalts Polizisten mit der P 6 des Herstellers SIG Sauer unterwegs, jetzt werden alle Waffen ausgetauscht.

Erste Polizisten loben die neuen Dienstwaffen

„Die liegt gut in der Hand“, sagt Brock nach ihrem ersten Testschießen. Durch austauschbare Griffschalen gibt es die Glock in drei verschiedenen Größen. Stets soll die Fingerspitze den Abzug ohne Anstrengung erreichen.

Auf dem Schießstand der Polizei in Schönebeck (Salzlandkreis) sind die Wände pockennarbig. Fehlschüsse aus Jahrzehnten haben den Putz zersiebt, schon die Volkspolizei der DDR trainierte hier. Zehn Schüsse feuert die Kommissarin ab. Möglich wären sogar 15, denn die neue Dienstwaffe hat ein größeres Magazin.

Zusammen mit dem Ersatzmagazin kann künftig jeder Polizist 30 Schüsse abgeben. Mit der bisher genutzten Pistole sind es nur 16 - aus Sicht des Innenministeriums war das nicht mehr ausreichend. Die Terrorgefahr erfordere einen Wechsel der Bewaffnung, heißt es aus dem Haus von Holger Stahlknecht (CDU).

Glock hat größeres Magazin und ist leichter aus die P6

„Die Täter, die wir gegebenenfalls bekämpfen müssen, bereiten sich gut vor“, sagt Steffen Richter, Chef der zum Schießstand gehörenden Waffenwerkstatt. „Wenn die zuschlagen, haben die ausreichend Munition. Dafür müssen unsere Kollegen gewappnet sein.“

Was Experten an der Glock schätzen, ist ihr geringes Gewicht. Das Griffstück ist aus Kunststoff statt aus Stahl gefertigt. „Die Waffe ist mit 15 Schuss im Magazin noch 60 Gramm leichter als die P 6 mit nur acht Schuss“, sagt Richter. Sachsen-Anhalt ist das erste deutsche Bundesland, das die Glock zur Standardwaffe seiner Polizei macht.

Weltweit ist die Firma Marktführer bei der Ausrüstung von Militär und Polizeibehörden. In den waffenvernarrten USA hat die Glock gar Kultstatus. Gangster-Rapper posieren mit ihr, in hunderten Hollywoodfilmen taucht sie auf, von „Stirb langsam“ bis zu den „Mission Impossible“-Streifen.

Der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik schoss mit einer Glock um sich, ebenso der Amokläufer am Münchner Olympia-Einkaufszentrum. Besorgt hatte er sie sich bei einem Händler im Darknet. Jetzt ziehen die Ordnungshüter in Sachsen-Anhalt bei der Waffenwahl nach.

Polizisten sind unzufrieden mit der P6 als Dienstwaffe

Auf die bisherige Dienstpistole P 6 blickt die Waffenwerkstatt seit langem mit Skepsis. „Die sind einfach verschlissen“, sagt Richter und zeigt auf die Nut, in der der Verschluss bei jedem Schuss nach vorn und zurück gleitet. „Da bilden sich Risse, die kann man weder schweißen noch anders reparieren.“ Ohnehin sei die Technik überholt: Das Modell P 6 stammt bereits aus dem Jahr 1978.

Um ein Nachfolgemodell auszuwählen, hat das Land im vergangenen Jahr 100 Polizisten aus allen Regionen zum Probeschießen eingeladen. Rechtshänder und Linkshänder waren dabei, Frauen und Männer, mit und ohne Brille. Neben der Glock standen zwei deutsche Pistolen bereit, die Walther PPQ M3 und die SFP 9 von Heckler & Koch. Der bisherige Ausrüster SIG Sauer hatte sich um den Auftrag nicht beworben.

Beim Praxistest schnitten die drei Modelle ähnlich gut ab. Den Ausschlag gaben der Preis - und ein technisches Detail: Die Glock besteht aus lediglich 41 Teilen und lässt sich dadurch schneller zerlegen. Die Konkurrenten kommen auf 60 bis 70 Bauteile.

Polizeiwaffen werden nur selten auf Menschen gerichtet

Dass Polizisten im Dienst die Waffe ziehen, kommt häufiger vor, als man denkt. Allerdings sind nur in den seltensten Fällen Menschen des Ziel. 510 Mal griffen Polizisten im vergangenen Jahr zur Schusswaffe. 507 Mal ging es dabei um das Töten verletzter, kranker oder gefährlicher Tiere. Am Montag erst erschossen Beamte in Schönebeck (Salzlandkreis) bei einem Einsatz im Rockermilieu einen aggressiven Hund; weitaus häufiger geben sie angefahrenen Rehen und Wildschweinen den Gnadenschuss.

Nur zweimal im vergangenen Jahr richtete sich die Pistole gegen Personen, ein Schuss fiel dabei nicht. Einmal feuerten Polizisten gegen „sonstige Sachen“. In diese Kategorie fällt etwa ein verriegeltes Türschloss.

Einen Menschen zu töten ist das, was viele Polizisten am meisten fürchten. Zuletzt passierte das im Juli 2017, als Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) in Weddersleben (Harz) einen 28-Jährigen erschossen. Der Mann hatte aus einer Kalaschnikow auf sie gefeuert und einen Polizisten schwer verletzt. Ausgelöst wurde der Einsatz durch einen Familienstreit. Wie sich später zeigte, war der Mann bis an die Zähne bewaffnet: Sieben Gewehre, drei Pistolen, mehrere Hieb- und Stichwaffen sowie Zutaten für Sprengstoff wurden gefunden.

Nur selten setzen Polizisten zum tödlichen Schuss an

Ein bewaffneter junger Mann war auch der Anlass für den tödlichen SEK-Einsatz von Groß Rosenburg (Salzlandkreis). Im Sommer 2016 eskalierte ein Streit in einer Jägerfamilie. Als ein 31-Jähriger seinen Revolver auf die angerückten Polizisten richtete, wurde er von diesen getötet. Auch 2015 gab es einen tödlichen Schuss. In einer Naumburger Spielhalle hatte zuvor ein 27-Jähriger vier Menschen mit einem Messer verletzt, darunter zwei Polizisten.

Die am meisten diskutierte Schießerei ereignete sich im August 2016 in Reuden (Burgenlandkreis) - und ist juristisch noch immer nicht aufgearbeitet. Bei der Zwangsräumung eines Grundstück bedrohte dessen Besitzer, der frühere „Mister Germany“ Adrian Ursache, die angerückten Polizisten mit einem Revolver.

Ein illegal veröffentlichtes Polizeivideo zeigt, wie hektisch ein Polizeieinsatz unter Lebensgefahr verläuft: Zu sehen sind schreiende und rennende Menschen, hochgerüstete Polizisten, irgendwann fallen Schüsse. Die Beweisaufnahme vor dem Landgericht Halle zeigte, dass es ein SEK-Mann war, der als erstes abdrückte. Bis heute können die Sachverständigen wichtige Details wie die Flugbahn der Projektile nicht erklären.

Polizei-Ausrüstung wird seit 2017 modernisiert

Sachsen-Anhalts neue Polizeipistolen sind nur ein Baustein für das, was Innenminister Stahlknecht „Ausrüstungsoffensive“ nennt. 2017 schaffte er einen 1,1 Millionen Euro teuren Wasserwerfer an, der 10.000 Liter Wasser verschießen kann. Ein zweites Fahrzeug soll folgen. Im vergangenen Jahr bestellte das Ministerium für elf Millionen Euro einen neuen Polizeihubschrauber, samt Wärmebildkamera, Nachtsichttechnik und Abseilvorrichtungen. Ein baugleiches Fluggerät war bereits im Vorjahr geliefert worden. Beide lösen die rund 25 Jahre alten Vorgänger ab.

Neu ist auch ein Panzerfahrzeug, die dem Spezialeinsatzkommando das Vorrücken auch in explosiven Situationen ermöglicht. Der Panzer kann brennende Barrikaden wegräumen und hält selbst Sprengladungen stand.

Kostenpunkt für die neuen Waffen: fast neun Millionen Euro

8600 Dienstpistolen hat das Land jetzt geordert, eine für jeden der 6 400 Polizeibeamten und zusätzliche als Reserve und für Trainingszwecke. Jedes Exemplar bekommt den Schriftzug DE für Deutschland und LSA für Sachsen-Anhalt ins Metall gelasert und wird von der Waffenwerkstatt „angeschossen“, also auf Treffsicherheit getestet.

Einschließlich Zubehör und einer Umrüstung der Waffenwerkstatt lässt sich das Land die Modernisierung des Schießgeräts 8,6 Millionen Euro kosten. Die Polizeianwärter und die Bereitschaftspolizisten werden als erste ausgestattet, die restlichen Dienststellen folgen. Bis zum Jahresende 2021 soll der Umtausch abgeschlossen sein.

Was mit den ausrangierten P 6 passiert, steht noch nicht fest. Der Hersteller SIG Sauer im schleswig-holsteinischen Eckernförde bestätigt, dass man mit dem Land im Gespräch über einen Rückkauf sei. Dass die Waffen verschlissen seien, kann sich das Unternehmen nicht vorstellen.

10.000 Schuss könne eine Pistole ohne Probleme abfeuern, sagt Firmenchef Franz von Stauffenberg - das erreiche eine Polizeipistole kaum. „Möglicherweise eignen sie sich ja noch für Sportschützen oder Sammler.“

Andernfalls steht den Waffen ein gewaltsames Ende bevor: Sie werden zersägt und landen im Hochofen. (mz)