Herr über Schicksale Bamf-Außenstelle in Halberstadt: Dieser Mann entscheidet, ob Flüchtlinge bleiben dürfen

Es ist noch nicht lange her, da hatte das Chaos in Deutschland aus Sicht vieler einen Namen mit vier Buchstaben: Bamf. Das Kürzel steht für „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ - jene Behörde, die darüber entscheidet, ob Migranten in der Bundesrepublik Asyl bekommen.
Kaum jemand kannte das Bamf, bis im Sommer 2015 Flüchtlinge zu Hunderttausenden ins Land kamen. Binnen weniger Monate stellte das Amt tausende neue Mitarbeiter ein. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 2.500 auf 10.000, mittlerweile liegt sie wieder bei 7.500.
Die Zahl der Flüchtlinge ist gesunken, der Berg der Asyl-Anträge schrumpft langsam. Doch eine andere Zahl ist gestiegen: Immer mehr Flüchtlinge wehren sich per Klage gegen Bescheide des Bundesamtes. Die Verwaltungsgerichte sind überlastet. Und wieder gerät das Bamf in die Kritik. Migranten-Organisationen und Verbände erheben den Vorwurf schlampiger Arbeit; viele Entscheider seien unzureichend qualifiziert.
54 Asyl-Entscheidern in Außenstelle Halberstadt des Bundesamtes tätig
Es ist ein Vorwurf, der Thomas Raudszus ins Mark treffen müsste. Ist aber nicht so. Er sei geschult worden und habe Weiterbildungen belegt, das ist seine knappe Antwort darauf. Er ist ein Ich-mach-hier-bloß-meinen-Job-Typ, freundlich, ruhig, entspannt, mit einem dicken Fell.
Weißes Hemd, schwarze Hose, strenge Brille - Raudszus, 33, wirkt so nüchtern wie das Büro, in dem er sitzt. Auf den vielleicht 15 Quadratmetern des Zimmers F 118 stehen ein Schreibtisch, ein Tisch für Asyl-Antragsteller und Dolmetscher, vier Stühle, Aktenschränke. Auf dem Schreibtisch zwei Bildschirme, ein Drucker, ein paar Akten. Keine Grünpflanzen, nichts Persönliches. Thomas Raudszus sagt, das sei halt sein Büro, nicht sein Zuhause.
Er ist einer von 54 Asyl-Entscheidern in der Außenstelle Halberstadt des Bundesamtes. Flüchtlinge, die nach ihrer Ankunft in Deutschland nach Sachsen-Anhalt geschickt werden, sitzen irgendwann womöglich vor seinem Schreibtisch.
So wie an diesem sonnigen Wintertag ein Mann aus einem Land in Westafrika. Raudszus stellt sich vor, begrüßt ihn freundlich und erklärt ihm den Ablauf der nun folgenden Anhörung. In den nächsten eineinhalb Stunden wird er den Mann nach seiner persönlichen Situation fragen, seinem Heimatland, seiner Familie, den Gründen für die Flucht.
„Die Geschichten, die ich manchmal zu hören bekomme, sind nicht schön“
Ein Dolmetscher wird Fragen und Antworten übersetzen. Raudszus wird ab und an nachhaken, ruhig aber bestimmt, die Antworten wird er gleich in den Rechner tippen, fürs Protokoll. Am Ende wird er erfahren haben, dass der Mann wegen eines Familienstreits aus seiner Heimat geflüchtet ist, wo er mit dem Tod bedroht wird.
Als die Anhörung beendet ist, verlassen der Asylbewerber und der Dolmetscher Zimmer F 118. Raudszus klappt die Akte des Antragstellers zu. Wird der Mann in Deutschland bleiben dürfen? Darüber wird Raudszus am Tag darauf entscheiden. „Meist schlafe ich noch eine Nacht drüber“, sagt er. Und dass dieser Fall einer der leichten gewesen sei.
Hauptsächlich hat er mit Flüchtlingen aus Somalia zu tun. In dem vom Bürgerkrieg zerrissenen Land treibt die Terror-Miliz Al-Shabaab ihr Unwesen. Raudszus mag nicht ins Detail gehen, er sagt nur: „Die Geschichten, die ich manchmal zu hören bekomme, sind nicht schön.“ Dennoch gelingt es ihm, diese Geschichten im Büro zu lassen, wenn er nach Dienstschluss nach Hause fährt. Manchmal bespricht er sich mit Kollegen. Wenn er es wollte, könnte er auch mit einem Psychologen reden. Diese Möglichkeit steht allen Entscheidern offen.
Entscheidung über das Schicksal von Menschen
Es klingt banal, aber vielleicht muss man noch einmal daran erinnern: Thomas Raudszus und seine Kollegen entscheiden nicht über Fördermittel für den Bau von Feuerwehrhäusern, sondern über das Schicksal von Menschen, die sie nie zuvor gesehen haben. In deren Heimatländern sie vermutlich nie waren. Von denen sie hören über Krieg, Tod und Terror, Not und Armut.
Wieviel Mitleid darf ein Asyl-Entscheider haben? „Natürlich berühren mich die Schilderungen der Antragsteller“, sagt Raudszus, „aber bei meiner Entscheidung darf das keine Rolle spielen.“ Menschlich könne er nachvollziehen, dass Menschen so viel Leid erfahren haben, dass sie in der Flucht aus ihrer Heimat den einzigen Ausweg sehen. „Wenn sich Minderjährige allein auf den Weg nach Europa machen, ohne ihre Eltern, muss schon viel passiert sein.“ Dennoch: Stelle sich heraus, dass sie aus einem als sicher geltenden Herkunftsland stammten, dann habe sich der Fall erledigt.
Die Arbeit von Thomas Raudszus ist eine ständige Gratwanderung zwischen Menschlichkeit und Recht. „Wir haben die Gesetze umzusetzen“, sagt er. Das bedeute nicht, jemandem etwas zu verweigern. „Wer des Schutzes bedarf, bekommt ihn auch.“ Den Kreis der Berechtigen zu definieren, sei aber Sache der Politik.
Dennoch haben die Entscheider Spielraum, bei dem was Juristen „Glaubhaftmachung“ nennen. „Politische Verfolgte genießen Asylrecht“ - so steht es in Artikel 16a des Grundgesetzes. Aber was bedeutet das, politisch verfolgt zu sein? Raudszus sagt, in der Anhörung müsse für ihn deutlich werden, wie groß die Bedrohung für denjenigen, der vor ihm sitzt, tatsächlich sei. Das müsse der Antragsteller glaubhaft machen.
Wie aber findet man heraus, ob jemand die Unwahrheit sagt oder etwas verschweigt?
In der Anhörung fragt Thomas Raudszus den Mann aus Westafrika nach dem Namen des Staatspräsidenten, nach dem Nationalfeiertag, nach der Hauptstadt. Solche Fragen sind Standard. Sie helfen dabei herauszufinden, ob ein Flüchtling tatsächlich aus dem Land stammt, das er angibt. Die Zuordnung ist nicht immer einfach. Die Sprache Mandinka, die auch der Mann vor Raudszus’ Schreibtisch spricht, wird in mehreren westafrikanischen Ländern gesprochen. Auch in sicheren Herkunftsländern, für deren Bewohner die Chance auf Asyl bei Null liegt. Wenn Widersprüche oder Ungereimtheiten auftreten, dann am ehesten hier.
Flüchtlinge werden registriert, ihre Papiere geprüft und sie können Asylantrag stellen
Zimmer F 118, das Büro von Thomas Raudszus, befindet sich in einem Container, einem von Dutzenden der Bamf-Außenstelle in Halberstadt, direkt neben der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber des Landes. Das ist das sogenannte „Ankunftszentrum“.
Flüchtlinge werden hier registriert, ihre Papiere werden geprüft, sie können ihren Asylantrag stellen. Der Weg zu den Containern führt über einen matschigen Platz voller Pfützen. Es musste schnell gehen damals, im Frühjahr 2016. Die Behörde musste irgendwie fertig werden mit der großen Zahl an Migranten, die täglich ins Land kamen. Nicht nur Räume mussten rasch her, auch Personal.
So kam auch Thomas Raudszus zum Bundesamt. „Ich habe mich beworben und bin genommen worden“, sagt er. Seit Februar 2016 ist er dabei. Am Anfang bekam er eine Schnellbesohlung, fünf Wochen, „sehr intensiv“, sagt er. Später kam eine längere Schulung dazu. Den Rest besorgte die Praxis: „Ich habe schnell Erfahrungen gesammelt.“ Das sei Gold wert. „Je länger ich ein bestimmtes Land bearbeite, desto besser kenne ich mich aus.“
Wie lange eine Anhörung dauert, das hängt vom jeweiligen Fall ab. Oft sind es nur eineinhalb bis zwei Stunden, bei komplizierten Fällen auch sechs oder acht. Was zum Job gehört: Ständig auf dem Laufenden sein. Thomas Raudszus, der in Magdeburg Politik und Soziologie studiert hat, liest, was er in die Finger bekommt - eigene Materialien seiner Behörde, Dossiers anderer Staaten, aber auch von Nichtregierungsorganisationen.
„Ich fühle mich gut qualifiziert“, sagt er. Mittlerweile ist er selbst Trainer für angehende Entscheider. (mz)