Facebook, Youtube und Co. Antisemitismus im Netz: Haseloff fordert mehr Kompetenzen für Ermittler
Halle/MZ - Im Kampf gegen Hass und Antisemitismus im Internet fordert Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) bessere digitale Werkzeuge für Strafverfolger. „Wir müssen neben den rechtlichen auch die technischen Möglichkeiten eröffnen, die noch längst nicht erschlossen sind“, sagte der Regierungschef auf einer Tagung zum Thema Antisemitismus am Montagabend in Halle.
Wenn Judenhass in Gewalt münde, sei der Staat zwar in der Lage, Urteile zu fällen. „Davon werden die Opfer aber nicht wieder lebendig, das ist nicht zurückzuholen.“ Der Staat müsse daher technisch aufrüsten.
Die Tagung fand fast exakt zwei Jahre nach dem Anschlag in Halle statt. Am 9. Oktober 2019 hatte ein Neonazi aus Mansfeld-Südharz die Synagoge angegriffen und zwei Menschen in der Stadt erschossen. Der damals 27-jährige Attentäter hatte sich unter dem Radar von Polizei und Geheimdiensten in seinem Kinderzimmer radikalisiert - nur mithilfe seines Computers.
Antisemitische Codes im öffentlichen Internet
Die hallesche Tagung wurde vom Verein Elnet ins Leben gerufen. Die Organisation setzt sich für stärkere Partnerschaft zwischen Israel und den europäischen Staaten ein.
Haseloff betonte mit Blick auf den Halle-Attentäter, das Internet erscheine zwar bisweilen als „diffuser und dunkler Raum“ - es sei andererseits aber auch transparent: Antisemiten verwendeten in öffentlichen Netzwerken erkennbare Codes, um Judenhass zu transportieren. Allerdings beklagte der Regierungschef „fehlende Vereinbarungen“ zwischen Plattformbetreibern und dem Staat, um Hass zu unterbinden. Anders als in traditionellen Medien seien die Spielregeln im Netz „nur unscharf“ abgebildet. Es müsse gelingen, klarer Grenzen zu setzen.
Seit Jahren gelingt das nur in Ansätzen, obwohl die Bundesregierung bereits versuchte, Hass auf Facebook, Youtube und anderen Plattformen zu zügeln. Dabei bestehen zwei Probleme: Zum einen die schiere Masse strafbarer Beiträge auf populären Plattformen. Und zum anderen ein riesiger Anteil problematischer Äußerungen, die sich im strafrechtlichen Graubereich bewegen.
Mehr Überwachungsmöglichkeiten für Polizei und Verfassungsschutz
Wie weitreichend das Problem ist, zeigte der Halle-Anschlag: Der Attentäter trat vor der Tat unter anderem auf populären Computerspiel-Plattformen als Rechtsradikaler auf. Zudem übertrug er sein Tatvideo live ins Netz, der brutale Film verbreitete sich rasend schnell. Um Extremisten wie ihn künftig im Netz zu stoppen, setzten CDU und SPD zuletzt auf mehr digitale Überwachungsmöglichkeiten für Verfassungsschutz und Polizei. Eine Gesetzesverschärfung mit dem neuen „Staatstrojaner“ wird aktuell vom Bundesverfassungsgericht geprüft.
Wie erfolgreiche Strafverfolger auch ohne verschärfte Überwachung gegen Hass im Netz vorgehen können, demonstrierten zuletzt Justizbehörden in Bayern: Im Juli rückten Polizisten zur Razzia in den Privaträumen eines 45-jährigen Münchners aus, weil er auf Facebook die Corona-Politik der Bundesrepublik mit dem Nazi-Terror gleichgesetzt hatte. In einem Facebook-Beitrag verwendete er unter anderem den Satz „Impfen macht frei“ - eine Abwandlung des zynischen Schriftzugs im Vernichtungslager Auschwitz: „Arbeit macht frei“.
Sachsen-Anhalt prüft neue Schwerpunkt-Dezernate
Für eine effektivere Strafverfolgung forderte Sachsen-Anhalts Digitalstaatssekretär Bernd Schlömer (FDP) in Halle spezialisierte Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften. „Ich bin für einen starken Rechtsstaat und auch für schnelle Verurteilungen.“ Allerdings habe der Gerichtsprozess gegen den Halle-Attentäter gezeigt, dass nicht einmal Ermittler antisemitische Szenecodes erkannt hätten. In Sachsen-Anhalt sind spezialisierte Staatsanwaltschaften bis auf Weiteres nicht geplant. Justizministerin Franziska Weidinger (CDU) will aber zumindest die Einrichtung von Schwerpunkt-Dezernaten prüfen, erklärte sie gegenüber der MZ. Im Fokus stehe dabei Hass im Netz.
Der israelische Schriftsteller Arye Sharuz Shalicar riet in Halle dazu, dem weit verbreiteten Judenhass im Internet mit offenem Visier zu begegnen. „Ich werde jeden Tag bedroht“, sagte der 44-Jährige. „Das lustige ist aber, dass die meisten noch nie einen Juden getroffen haben.“ Im Austausch - auch in der harten Konfrontation - liege oft eine Chance für gegenseitiges Verständnis. „Ich glaube, das ist eine Sache, die wir im Netz versuchen müssen.“ Shalicar wuchs als Sohn iranischer Juden in Berlin auf und arbeitet heute für die israelische Regierung.