Der stille Wahlsieger Dritte Amtszeit statt Ruhestand für Reiner Haseloff
Er verkneift sich jede Geste des Triumphs - und sieht gleich eine neue Aufgabe: Ministerpräsident Reiner Haseloff wertet den eigenen Erfolg als Auftrag, die AfD noch weiter zurückzudrängen. In seiner Partei gibt es aber auch einige Freude über die Dämpfer für SPD und Grüne.
Magdeburg - Wie eine Wand stehen die Kameraleute plötzlich im Weg, es ist kein Durchkommen mehr. Der Wahlsieger kommt gerade aus dem ARD-Studio, im Schlepptau seine Frau Gabriele, als ihm nichts übrig bleibt, als anzuhalten und das Blitzlichtgewitter über sich ergehen zu lassen. Erschöpft und ernst sieht Reiner Haseloff aus, keinerlei Jubel ist in seinem Gesicht zu erkennen.
Irgendwann wird dem Spitzenkandidaten klar, dass all die Journalisten, die einen Blick auf ihn erhaschen und eine Reaktion auf den Wahlsieg hören wollen, viel zu eng beieinander stehen. „Jetzt müssen wir mal ein bisschen an Corona denken, Freunde“, sagt Haseloff. Es ist eine späte Ironie in diesem Wahlkampf - schließlich ging es stets vor allem um dieses eine Thema: Corona.
Dass sich die Pandemie-Politik des Ministerpräsidenten derartig auszahlen würde, war bis zu diesem Wahlsonntag keineswegs klar. Zu Beginn der Corona-Krise hatte Haseloff zunächst äußerst vorsichtig agiert. Mit dramatischen Formulierungen mahnte er die Bevölkerung zu Vorsicht. Später änderte er den Kurs und forderte schnellere Öffnungen. „Sachsen-Anhalt-Plan“ hieß das Konzept, das Haseloff auch gegen die Parteifreundin im Kanzleramt verteidigte. Aber ob es das war, was die Bevölkerung wollte? Kamen die Lockerungen zu schnell? Zu langsam? Das Wahlergebnis kann sich Haseloff nun aber voll anrechnen: Die meisten Menschen im Land halten Haseloffs Kurs für verantwortungsvoll und ausgewogen - das zeigen die Zahlen.
Gabriele Brakebusch (CDU): Erste Hochrechnung wie eine Erlösung
Um 18 Uhr bricht der Jubel der Christdemokraten los, in einem Sitzungssaal in der Messehalle. Wegen der Corona-Platzbeschränkung dürfen von den 30 Abgeordneten nur 26 dabei sein, auch die Presse muss an einem Absperrband warten.
Wie eine „Erlösung“ sei es gewesen, als der schwarze Balken der CDU bei der ersten Prognose nach oben schnellte, beschreibt Landtagspräsidentin Gabriele Brakebusch den Moment wenig später. Wochenlang, monatelang sei der CDU prophezeit worden, sie werde untergehen, in der Versenkung verschwinden. Und dann das: stärkste Partei, mit großem Abstand vor dem Angstgegner, der AfD.
Am 26. Mai hatte eine Umfrage für die Bild-Zeitung die AfD sogar vor der CDU gesehen. Viele Christdemokraten glauben, dass diese Zahlen der Wendepunkt des Wahlkampfs waren. „Bei uns in Halle an den Wahlkampfständen wurde die Stimmung dann von Tag zu Tag immer besser“, sagt CDU-Landesvize und Bildungsminister Marco Tullner. „Die AfD als stärkste Partei - das wollte keiner. Da schlug die Stimmung von freundlich auf superfreundlich um. Das hat uns den letzten Schub gegeben.“
Die Umfragezahlen hätten den Kampfgeist von Haseloff geweckt, erzählt ein hochrangiger Christdemokrat. Tatsächlich war Haseloff zuletzt deutlich kantiger als gewohnt. Fünf Jahre lang hatte er unermüdlich die Konflikte zwischen seiner CDU und den Koalitionsparteien SPD und Grüne moderiert. Nie wurde er müde, den guten Geist zu preisen, der am Kabinettstisch herrsche. Am Lagerfeuer von Kenia sei es „schön warm“, sagte er 2017 bei der Bilanz des ersten Regierungsjahres.
Wer das Kreuz nicht bei mir und bei uns macht, schadet Sachsen-Anhalt.
Reiner Haseloff, CDU
Unmittelbar vor der Landtagswahl zeigte Haseloff dann aber größtmögliche Härte gegen die Koalitionspartner. „Wer das Kreuz nicht bei mir und bei uns macht, schadet Sachsen-Anhalt“, sagte er beim digitalen Wahlkampfabschluss seiner Partei. Stimmen für die politischen Wettbewerber pauschal ein Schaden für das Land? Die SPD zeigte sich empört. „Unanständig, Herr Ministerpräsident!“, konterte sie. An der Wahlurne aber punktete die CDU.
Möglicherweise sind es die Verletzungen der vergangenen Tage, die Haseloffs Stimmung trotz der glänzend gewonnenen Wahl dämpfen. Als er endlich die Wand der Kameraleute durchbrechen kann und zu einem Statement vor die Presse tritt, mahnt er zunächst zu Demut - noch seien ja nicht alle Stimmen ausgezählt. Dann deklariert er die Landtagswahl zur Anti-AfD-Wahl. „Die Bürger wollen eine Regierung der demokratischen Mitte. Das war ein klares Aufbäumen der großen Mehrheit“, sagt Haseloff ernst und ruhig. Die Sachsen-Anhalter hätten verhindert, dass das Land das Image einer AfD-Hochburg bekomme.
Dann nimmt sich Haseloff ein große Ziel vor: Auch ein AfD-Ergebnis von 20 oder 22 Prozent sei noch viel zu viel. „Wir werden diese Wählerschaft in großen Teilen zurückbringen“, verspricht er. „Wir dürfen diese Wähler nicht verloren geben.“ Es ist eine Auseinandersetzung mit der zuletzt heiß diskutierten These eines Parteifreunds: Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, hatte gesagt, der Großteil der AfD-Wähler sei für die Demokratie nicht zurückzugewinnen.
Während Haseloff noch durch die TV-Studios zieht, steigt die Stimmung bei der Wahlparty der CDU. 150 Gäste sind in der Tessenow-Loft zugelassen. Einige Stehtische stehen vor der Bühne. Unter den Gästen an den Tischen, die mit Radeberger anstoßen, ist Verkehrsminister Thomas Webel. Er freut sich nicht nur über die vielen Stimmen für die CDU, sondern auch über das Abschneiden der Koalitionspartner. Die hatten bereits darauf gehofft, in der nächsten Regierung neben dem Umwelt- auch noch das Verkehrsministerium zu übernehmen. Daraus dürfte nun nichts werden. „Mich freut das Ergebnis besonders, weil ich von den Grünen mehr kritisiert wurde als von den Oppositionsparteien AfD und Linke zusammen“, sagt er. Innerhalb der Regierung Opposition zu betreiben, habe sich nicht ausgezahlt, sagt Webel. Für ihn endet eine lange CDU-Kariere: Er geht in den Ruhestand, im nächsten Kabinett wird er nicht mehr vertreten sein.
Sollte wie Webel auch Haseloff Gefühle der Genugtuung hegen, verbirgt er sie gut. Sein ernstes Gesicht erinnert an jenen Tag im September, an dem er auf der Terrasse der CDU-Landesgeschäftsstelle seine dritte Spitzenkandidatur verkündete. Der damalige CDU-Parteichef Holger Stahlknecht war es, der Haseloff den Weg bereiten musste - Stahlknecht, der lange selbst darauf gehofft hatte, als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zu gehen. Auf sein Bitten hin sei Haseloff bereit, noch einmal anzutreten, musste Stahlknecht damals vortragen. Auf Haseloffs Gesicht war kein Anflug des Triumphs zu sehen, kein Stolz und keine Freude. Wie eine schwere Last wirkte die Spitzenkandidatur damals.
Hilfe von einem Engel
Letztlich gab es zu dem Mann aus Wittenberg keine Alternative. Alle vorangegangenen Wahlen hatten gezeigt, dass der Bonus des Amtsinhabers Wahlen gewinnt. Haseloff ist das bekannteste politische Gesicht des Landes, seine Herausforderer sind kaum bekannt. Auch wenn Haseloff eigentlich mit seiner Frau in den Ruhestand entschwinden wollte. Nun liegt die nächste politische Aufgabe da: fünf weitere Jahre Regierung. Haseloff trägt es mit Fassung.
Einen Moment der offenen Freude gönnt er sich erst spät. Gegen 20.30 Uhr betritt er in gelöster Stimmung die CDU-Wahlparty, wo er mit Sprechchören und Plakaten begrüßt wird. Auf der Bühne lobt er die Wähler, die gegen die AfD „Flagge gezeigt“ hätten. Und er gibt ein Versprechen: Bei der Bildung der Landesregierung werde er sich „nicht aus Berlin instrumentalisieren lassen“. Es werde allein darum gehen, was am besten für das Land sei.
Am Ende wird Haseloff noch emotional. In die Kameras zeigt er einen kleinen Schutzengel, den er bei seinem letzten Wahlkampfauftritt von einem Rettungssanitäter überreicht bekommen hatte. „Tragen Sie den in der Jackentasche, dann wird ein Wunder geschehen“, zitiert Haseloff den Mann, um dann sein Fazit zu ziehen: „Das Wunder ist eingetreten!“ (mz)