Landtagswahl AfD schielt in Sachsen-Anhalt auf Platz Eins
Ihr Lieblingsthema spielt keine Rolle mehr und ihr einstiges Zugpferd im Land auch nicht. Dennoch traut die AfD-Spitze ihren Parteifreunden in Sachsen-Anhalt einen historischen Erfolg zu.
Magdeburg/Berlin - Der AfD-Bundesvorstand blickt mit großem Interesse nach Magdeburg. Denn hier rechnet die Partei an diesem Wochenende mit einem Wahlergebnis, das ihr Flügel verleihen soll für die Bundestagswahl im September.
Laut jüngsten Umfragen könnte knapp jeder Vierte bei der Landtagswahl am Sonntag sein Kreuz bei der AfD machen. So wie vor fünf Jahren, als die AfD - damals noch mit ihrem inzwischen ausgeschiedenen Zugpferd André Poggenburg - aus dem Stand zweitstärkste Kraft im Landtag wurde.
Von Wahlerfolg teilweise überfordert
Fast jedes zehnte Mitglied des damals noch kleinen Landesverbandes landete damals in der Fraktion. Für einige AfD-ler kam der Ruf in den Landtag überraschend. Nicht alle von ihnen seien der Aufgabe gewachsen gewesen, heißt es von früheren Mitarbeitern der Fraktion.
„Die AfD hat im Landtag gezeigt, dass sie konstruktiv arbeitet und viele Initiativen auf die Beine stellen kann“, lobt dagegen Partei-Vize Alice Weidel. Dies sei auch der Grund für die aktuell guten Umfragewerte ihrer Partei in Sachsen-Anhalt. Auch Spitzenkandidat Oliver Kirchner, bisher Fraktionschef, sieht in den guten Umfragewerten eine Bestätigung der Arbeit im Parlament. Trotz politischer Isolation habe die Partei dort wie versprochen „Mauscheleien“ aufgedeckt. Das würden die Menschen honorieren, sagt Kirchner.
Unzufriedenheit bei Wähler wächst
Andere Funktionäre, die damit aber nicht zitiert werden wollen, vermuten eher, dass die AfD in Sachsen-Anhalt von der Unzufriedenheit vieler Bürger im Osten mit dem Kurs der Bundesregierung - auch in der Pandemie - profitiert. Die AfD hat im Landtag über Jahre fast jedes Problem in Verbindung mit ihrem Kernthema Zuwanderung gebracht - obwohl darüber ohnehin in Berlin entschieden wird und nicht in Magdeburg. Als die Zahl der neu ankommenden Asylbewerber sank, gingen der Partei auch ein wenig die Themen aus. Die Corona-Politik kam da als neue Projektionsfläche für generelle Unzufriedenheit wie gerufen.
Tatsächlich sind die AfD-Landespolitiker in Sachsen-Anhalt wenig bekannt und können schon deshalb kaum der Grund für die hohen Umfragewerte sein. Poggenburg mit seinem jungenhaften Auftreten hatte 2016 noch eine gewisse Strahlkraft entfaltet. Kirchner ist im Vergleich dazu recht farblos, fällt trotz seiner schnoddrigen Art im Wahlkampf nicht wirklich auf. Der einstige Autohändler ist ein Quereinsteiger, der von den etablierten Parteien genug hatte und in der AfD deshalb seine Heimat sieht.
AfD-Prominenz ohne Strahlkraft
Auf Platz 2 der Landesliste steht mit Ulrich Siegmund die Nachwuchshoffnung der Landespartei. Der 30-Jährige gibt sich smart, erscheint meist in modischem Anzug und zählt zu den Wortführern in der Fraktion. Eine völlig andere Erscheinung steht mit Hans-Thomas Tillschneider auf Platz 3. Der 43-jährige Islamwissenschaftler trägt gerne Trachtenjanker und pflegt einen leicht antiquierten Ausdruck. Wenn Tillschneider am Rednerpult steht, ins Mikrofon schreit und wild mit dem Zeigefinger gestikuliert, fühlt man sich manchmal in eine andere Zeit versetzt.
Was die drei Männer auf den Spitzenplätzen der AfD-Kandidatenliste eint, ist ihre Verortung in der AfD: Sie werden, wie fast der ganze Landesverband, dem formal inzwischen aufgelösten „Flügel“ zugerechnet. Der Verfassungsschutz, der die Teilorganisation als rechtsextremistische Bestrebung beobachtete, sieht in Tillschneider sogar eine Führungsperson der Gruppierung.
Skandale und Affären der letzten Jahre
Die Skandale und Affären der vergangenen Jahre - von Poggenburgs Entgleisungen über den Parteiausschluss des Magdeburger Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann bis hin zu Berichten über frühere Verbindungen von Fraktionsmitarbeitern ins Neonazi-Millieu - sie spielen kaum eine Rolle. Was hier zählt, ist eher die Marke AfD, die für eine ablehnende Haltung zur Zuwanderung und neuerdings auch für Fundamentalopposition in der Corona-Politik steht.
„Ich glaube nicht, dass uns das schadet“, sagt Kirchner über die ständigen Skandale. Die Vorwürfe seien teilweise auch haltlos, da sei „viel dummes Zeug“ dabei. Andere Vorgänge lägen Jahre zurück. Der MDR hatte kürzlich Videos veröffentlicht, die den Landtagskandidaten Mathias Knispel als Teilnehmer eines rechtsextremen Fackelmarsches durch Magdeburg vor drei Jahren zeigte. „Herr Knispel ist auf einer Demo mitgelaufen, da wurde vorne ein Banner gehalten, das er hinten gar nicht gesehen hat“, sagt Kirchner. Außerdem müsse man Menschen nach einer gewissen Zeit auch eine neue Chance geben.
Wird die AfD erstmals stärkste Kraft?
Tatsächlich deuten die Umfragen darauf hin, dass die AfD ihr starkes Ergebnis von 2016 in Sachsen-Anhalt, anders als in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg im März, wiederholen kann. Die AfD habe in Sachsen-Anhalt sogar die Chance, erstmals stärkste Kraft in einem Bundesland zu werden, sagt Weidel. Und dann? Eine Regierung unter Führung der AfD hält wohl niemand für eine realistische Option. Kirchner würde allerdings auch eine CDU-Minderheitsregierung tolerieren, sagt er.
Bisher sieht es allerdings nicht danach aus, als werde die Mauer der Ablehnung der anderen Parteien gegenüber der AfD ausgerechnet in Sachsen-Anhalt, wo der Landesverband - ähnlich wie in Brandenburg, Thüringen und Sachsen - sehr weit rechts steht, Risse bekommen. Sollte die AfD durch Mäßigung eine Annäherung an die CDU und damit eine Machtoption anstreben, hätte sie in Sachsen-Anhalt dafür nicht das richtige Personal.
Auch die Parteiprominenz, die zum Wahlkampf nach Sachsen-Anhalt kam, lässt nicht gerade auf einen Mäßigungs-Schwenk schließen: der Thüringer AfD-Chef und „Flügel“-Gründer Björn Höcke tourte am vergangenen Wochenende durch die Kleinstädte des Landes. Weidel kam zusammen mit Landeschef und Bundestags-Fraktionskollege Martin Reichardt nach Zerbst, wo sie sich geduldig mit streng-gescheitelten jungen Männern auf dem Marktplatz fotografieren ließ. Parteichef Jörg Meuthen, der versucht, krasse Aussagen und ungehobelte Auftritte seiner Parteifreunde einzudämmen, wurde von den Wahlkämpfern dagegen nicht eingeladen.