Von Antarktis bis Nordkorea Über Kurzwellen: Bad Lauchstädter sucht Radiosender aus der ganzen Welt
Bad Lauchstädt - Der Schreberweg 20 in Bad Lauchstädt sticht ins Auge. Nicht weil das Haus selbst sonderlich schön wäre. Nein, das fügt sich in die Bungalowarchitektur der Umgebung ein. Augenfällig ist vielmehr die hohe Antenne, die im Garten aufragt. Matthias Martin, der Bewohner des Hauses, hat sie im Herbst errichtet, um sich nun im frisch angetretenen Rentnerstadium intensiv seiner ungewöhnlichen Leidenschaft widmen zu können. Der studierte Chemiker ist DXer. „Im Volksmund würde man ’Rundfunkempfänger’ sagen, in der englischen Fachsprache heißt das DXing“, erklärt er.
Martins Hobby geht weit über das gemeine Radio hören hinaus. Der Lauchstädter ist im Kurzwellenfrequenzbereich unterwegs auf der Suche nach neuen Sendern, die er noch nicht gehört hat. Findet er einen, beginnt ein routiniertes Prozedere: Er schreibt einen Empfangsbericht, in dem er Frequenz, Uhrzeit, Signalqualität und Inhalte der Sendung festhält, um zu beweisen, dass er die tatsächlich gehört hat und schickt sie an den Radiosender. Im Idealfall erhält er dann von diesem eine Bestätigungskarte. QSL-Empfangsbestätigung heißt diese in der Fachsprache.
„Ich habe bisher Bestätigungen aus 130 Ländern von allen Kontinenten der Erde, auch von der Antarktis“
„Ich habe bisher Bestätigungen aus 130 Ländern von allen Kontinenten der Erde, auch von der Antarktis“, berichtet er stolz und holt zwei dicke Aktenordner aus dem Regal, in denen er die Karten sammelt. In einem liegt ein Din-A4-Briefumschlag, abgestempelt in Pjöngjang. Martin hatte am 1. März 2018 auf der Frequenz 6170 kHz „Die Stimme Koreas“ gehört.
Die habe ein deutschsprachiges Programm ausgestrahlt: „Sie senden die Erfolge von Kim Jong Un und bringen viel Musik, von Chören gesungene Folklore“, schildert Martin, der dies ebenso wie Qualitätsprobleme beim Empfang nach Nordkorea schickte. Monate später erhielt er den Antwortbrief inklusive Empfangsbestätigung und zwei englischsprachigen Zeitschriften aus dem sonst so abgeschirmten Land.
„Über Kurzwelle kann man die ganze Welt erreichen, ohne dass dies jemand kontrollieren kann.“
Dass sich dieses die Mühe macht, auf Deutsch zu senden, hält der DXer für nichts Ungewöhnliches. Im Kalten Krieg hätten viele Staaten solche Sender betrieben, denn: „Über Kurzwelle kann man die ganze Welt erreichen, ohne dass dies jemand kontrollieren kann.“ Während sich UKW, über die bisher das konventionelle Radioprogramm verschickt wurde, wie Licht verbreite, weshalb ein MDR-Sender an der Ostsee nicht mehr zu empfangen sei, funktioniere die Kurzwelle anders.
Das Signal reflektiere, wenn es unter einem bestimmten Winkel auftrifft, an der in 200 bis 450 Kilometer Höhe befindlichen Ionosphäre. Trifft es am Boden auf eine halbwegs Glatte Oberfläche, etwa ein Meer, kann es erneut reflektiert werden: „Das kann fünf, sechs Mal passieren, bis ich um die halbe Welt bin“, erklärt Martin.
Zu seiner Kurzwellenleidenschaft hatte ihn Mitte der 1970er ein Studienfreund in Merseburg gebracht
Zu seiner Kurzwellenleidenschaft hatte ihn Mitte der 1970er ein Studienfreund in Merseburg gebracht. Seinen ersten Empfangsbericht schickte er an ein schwedisches Radio. Das blieb auch bei den staatlichen Organen nicht unbemerkt, wie der Rentner seiner Stasiakte entnehmen konnte, die er im Vorjahr angefordert hatte. Darin findet sich schon anderthalb Wochen, nach dem der Bericht in den Briefkasten ging, ein Vermerk. Anders als andere DXer habe er aber nie Besuch von „den Leuten“ erhalten.
Mittlerweile beschränkt sich Martin mit seiner Empfangsleidenschaft längst nicht mehr nur auf Radiosender. Dies liegt auch daran, dass es für ihn immer schwieriger wird neue Stationen zu empfangen, selbst die Piratensender hat er aus seiner Sicht schon weitgehend abgegrast. Stattdessen fängt er nun etwa das ungerichtete Signal von Flughafenbaken ein, die den Flugzeugen zur Orientierung dienen sollen, wenn mal das GPS ausfällt.
Auch das Kurzwellensignal von Wettersatelliten hat er bereits aufgenommen
Auch das Kurzwellensignal von Wettersatelliten hat er bereits aufgenommen. Mit Hilfe einer speziellen Software kann er daraus das gesendete Satellitenbild wieder entstehen lassen. Auch hier funktioniert oftmals das Spiel mit Empfangsbericht und QSL-Bestätigung. Und die Satellitenbilder sind nicht die einzigen Signale aus dem All, die der DXer gehört hat. Auf einem der Bilder habe er im April gesehen, dass sich die internationale Raumstation ISS Deutschland näherte. Martin fand deren Kurzwellenfrequenz. Er spielt die aufgezeichneten schrillen Fieptöne vor. Sein Computer wandelte diese in historische Raumfahrtaufnahmen um.
Bei späteren Überflügen der ISS konnte der leidenschaftliche Rundfunkempfänger auch Interviews von Kosmonaut Alexander Gerst mit deutschen Schulen lauschen. Mit seiner neuen Antenne hofft Martin nun auch noch mal seinen Hörbereich auf der Erde ausdehnen zu können. So sucht der DXer jetzt etwa nach Sendern aus Guinea. (mz)