Theater Varomodi Theater Varomodi : Zeitgenössische Inszenierung von Büchners "Leonce und Lena"

Bad Lauchstädt - Was für ein schöner Abend an diesem Freitag im Bad Lauchstädter Goethe-Theater. Und auch danach noch, als Künstler und Gäste im Kurpark um eine reich gedeckte weiße Tafel versammelt standen bei Wein und guten Gesprächen. Zu dieser Runde hatte der Freundeskreis des historischen Theaters eingeladen, eine schöne Idee. Die aber hätte nicht einmal halb so weit ins Offene und Fröhliche getragen, würde das Spiel zuvor nur eben so lala gelungen sein.
Doch ganz im Gegenteil hatte Anna Siegmund-Schultzes Truppe, das freie Theater Varomodi, mit der Premiere von Georg Büchners „Leonce und Lena“ eine bravouröse Vorstellung abgeliefert und war ganz zu Recht mit sehr viel Beifall bedankt worden.
Dabei war die Fallhöhe ja erheblich gewesen. Dieses Stück, ein Lustspiel genannt, hat es nämlich in sich. In Büchner, der 1837 im Alter von nur 23 Jahren an Typhus starb, kann man nicht nur den Frühvollendeten, einen Mozart-Zwilling sozusagen, erkennen, sondern auch den ersten Dichter der Moderne. Sein „Woyzeck“ ist der „Faust“ des Prekariats, „Leonce und Lena“ die Vorwegnahme nicht nur des Absurden auf dem Welt-Theater, sondern auch ein Ausblick auf die Hölle der entfremdeten, zum Sterben gelangweilten Seelen. Büchner, liest und interpretiert man ihn heute, hat in Zeiten des delirierenden Kleinstaaten-Feudalismus den gierigen und (abgesehen vom sich selbst vermehrenden Geld) sinnfreien Spätkapitalismus gleich mit erkannt. Das muss man dann bloß noch spielen können! Hier, beim Gastspiel der halleschen Truppe in Goethes Bad Lauchstädter Haus, ist es famos gelungen.
Die Geschichte vom Prinzen Leonce, dessen Vater dem Königreich Popo vorsteht, und der schönen und gescheiten, aber ebenso wie Leonce gelangweilten Prinzessin Lena vom Reiche Pipi wird hier zum heutigen Exempel, ohne dass die Regisseurin mit der Brechstange nachgeholfen hätte. Vielmehr lässt sie die Figuren in ihrer Zeit - und öffnet damit den Eingang zu Büchners weitreichender Gedankenwelt.
Im schlüssigen, fantasievollen und selbst Bezüge zu den qualmenden Landmarken der Region nicht aussparenden Bühnenbild des halleschen Malers Moritz Götze und wesentlich auch dank der fantastischen Kostüme von Susanne Berner, kann der Büchner-Kosmos hier zum Leuchten kommen. Anna Siegmund-Schultze hat mit ihren Akteurinnen und Akteuren eine wunderbare, nur leicht überzeichnete Körpersprache erarbeitet, das gesprochene Wort, Büchners genialer Text, hat Zeit und Raum, sich zu entfalten - in aller Schönheit, die diese Sprache hat. In aller anspielungsreichen Komik, die selbst Werthers Tod nicht mehr echt sein lässt. Und in aller tiefen Melancholie und verzweifelten Traurigkeit, die diesem Stück wie ein Vermächtnis an künftige Generationen eingeschrieben ist.
„Er war so alt unter seinen blonden Locken. Den Frühling auf den Wangen und den Winter im Herzen“, sagt Lena über Leonce, den sie sich nicht als Gatten in einer Vernunftehe überhelfen lassen will und dann, ohne dass sie einander erkennen würden, als Geliebten nimmt. „Mein Leben gähnt mich an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe kein Wort heraus“, hat Leonce zuvor konstatiert.
Das ist ein Bild, das im Schrägen erst zur geraden Sicht auf die Welt kommt und einem den Atem nimmt. Nicht der Held ist verrückt, sondern die Verhältnisse sind es, die er nicht ändern kann und auch nicht ändern will, denn er ist ein Teil von ihnen. Wer hier nicht das Glöcklein des Zeitgeists bimmeln hört, wer nicht mitbekommt, dass gerade von ihm selbst die Rede ist, hat die falsche Vorstellung gebucht.
Nein, ein Lustspiel im schwankhaft missverstandenen Sinne ist dieses nicht, auch wenn man es mit ein wenig Fahrlässigkeit so zu spielen vermag. Selbst den „Hamlet“ kann man als Klamotte im Sommertheater verwursten, es ist in diesem Land schon vorgekommen. Das Theater Varomodi aber lässt den Büchner Büchner sein, nicht zuletzt dem Ensemble gebührt dafür Dank: Klaus-Dieter Bange gibt einen herrlich vertrottelten, philosophierenden König, Martin Sommer ist ein Prinz Leonce, den man gern haben kann. Maria Naumann als Lena ist entrückt genug, um ihm nah zu sein. Till Meyers Valerio tritt Leonce als ebenbürtiger Freund zur Seite. In kleineren Rollen, aber ebenso engagiert spielen Jette Pook, Katharina Wibbe, Martin Kreusch, Bartel Wesarg, Stephan Werschke und Uwe Steinbrecher.
Reichlich 90 Minuten braucht diese Inszenierung. Die Freude, sie gesehen zu haben, hält deutlich länger an.
››Nächste Vorstellungen: am 18. August um 20 Uhr sowie am 19. August um 16 Uhr im Volkspark Halle (mz)