Justin Schmidt Prince of Passion: Justin Schmidt begeistert im Netz Hunderttausende

Halle (Saale)/Teutschenthal - Kichernd geht die Gruppe Mädchen vorbei. Einige schauen verstohlen zu Justin Schmidt, der im Schneidersitz auf einer Bank am Rande des Marktplatzes von Halle sitzt. Es ist Donnerstagnachmittag und Justin grinst: „Die kommen spätestens in zehn Minuten zurück“, sagt der Gymnasiast. Es dauert keine fünf Minuten, da nähert sich der Pulk Pubertierender erneut. Die 13- und 14-Jährigen stoppen etwa zehn Meter entfernt. Sie warten kurz, kichern wieder. Dann traut sich eine: „Dürfen wir ein Foto mit dir machen“, fragt sie und klingt dabei so aufgeregt, als wäre sie mitten in einer Mathe-Prüfung. „Klar“, sagt Justin. Der Rest ist Kichern und Jauchzen: Die Mädchen sind überglücklich.
Solche Szenen erlebt Justin Schmidt eigentlich immer, wenn er in Halle oder auch anderen Städten unterwegs ist. Der 18-Jährige ist berühmt - das zeigen allein die hysterischen Heranwachsenden. Aber sein Name dürfte den meisten Menschen jenseits der 30-Jahre-Grenze kaum etwas sagen. Seine Bekanntheit steigt mit sinkendem Alter. Auf den Pausenhöfen des Landes ist der Prince of Passion (Prinz der Leidenschaft) ein Star. Diesen adligen Namen hat sich Justin im Internet gegeben, wo er es in den sozialen Netzwerken zu royalem Ruhm gebracht hat.
Snapchat, Instagram oder Musicaly: Justin Schmidt begeistert seine Fans
Zählt man alle Menschen zusammen, die seine Profile auf Online-Portalen abonniert haben, so besitzt Justin eine Anhängerschaft, die den Marktplatz in Halle locker füllen würde: Über eine halbe Million Fans hat er in der sozialen Medienwelt. Tendenz stark steigend. Sie folgen ihm auf Plattformen, die Snapchat, Instagram oder Musicaly heißen. Wer Facebook in dieser Reihenfolge vermisst, den muss Justin enttäuschen. Das größte aller sozialen Netzwerke wurde von der Jugend verlassen, als Eltern und Großeltern es kaperten. „Facebook“, sagt Justin, „da ist echt keiner mehr.“
So ist der Blick in Justins Welt auch ein Blick auf die junge, digitale Generation. Ein gutes Beispiel dafür, wie sie tickt, ist Musicaly. Obwohl es die Plattform gerade einmal zwei Jahre gibt, hat sie schon gut 200 Millionen Nutzer weltweit. Musicaly funktioniert wie eine Playback-Show. Ausschnitte von Popsongs werden von den Musern – so nennen sich die Nutzer – mit Choreografien und Tanzeinlagen unterlegt. Die entstandenen Videos sind selten sehr lang, dafür üben sie auf Teenager eine magische Anziehungskraft aus.
„Viele Leute mögen halt Musik“, erklärt Justin. „Und wenn man sich dazu cool bewegt, dann bindet das Menschen.“ Justin hat auf Musicaly so viele Fans, wie auf keinem anderen Portal. 340.000 sind es mittlerweile. Er wischt über den Bildschirm seines Mobiltelefons und zeigt ein paar seiner Kreationen, in denen er sich rhythmisch zu poppigen Klängen bewegt. „Mir ist wichtig, dass die Leute gute Laune bekommen, wenn sie mir zuschauen“, sagt Justin. Er wählt ein Video aus, in dem er während einer Einlage niesen muss. Trotz des Missgeschicks habe er die Aufnahme hochgeladen: „Es muss nicht immer alles perfekt sein, Hauptsache die Leute haben Spaß.“
Internet-Idol Justin Schmidt: Bei Auftritten musste schon mal die Polizei eingreifen
„Ich will Spaß, ich will Spaß“ - verkündete Pop-Sänger Markus schon 1982. Doch trotzdem verblüfft der heutige Erfolg von Justin. „Ich habe erst vor eineinhalb Jahren angefangen, Bilder und Videos von mir hochzuladen“, sagt der Schüler, der in einem kleinen Ort nahe Teutschenthal (Saalekreis) wohnt und in Halle auf ein Gymnasium geht. Freunde hätten damals zu ihm gesagt, dass er doch lustig sei und mal was im Internet machen müsse. Er begann mit einem Livestream. „Erst habe ich nicht so richtig gewusst, was ich erzählen soll“, meint Justin. Dann fing er einfach an, über seinen Alltag zu plaudern. Bis heute macht er eigentlich nichts anderes.
Wie bei den Tanzeinlagen auf Musicaly gibt es auch im restlichen Internet-Universum des Prinzen vor allem einen Inhalt: Ihn selbst. Justin beim Essen, Justin am Strand, Justin in der Schule, Justin überall. Es ist wie eine Seifenoper mit nur einem Thema: Justin. Doch warum ist gerade das so erfolgreich? „Ich hab keine Ahnung“, sagt der Erfolgreiche. Er probiere, nicht abgehoben zu sein, nah an seinen Fans zu bleiben. „Wenn Leute mich auf der Straße ansprechen, dann nehme ich mir Zeit für sie.“ Ein Foto, ein bisschen Small Talk – das sei für ihn selbstverständlich.
Die nächste Gruppe Mädchen steuert auf ihr Internet-Idol zu. Auch sie sind erst vorbeigelaufen, um sich dann wieder anzupirschen. Ein Foto? „Gern“, sagt Justin. Die Mädchen quieken euphorisch. „Oh mein Gott, ich kann nicht mehr“, sagt eine. Eine andere schafft es kaum, ihr Telefon beim Fotografieren zu halten – weil ihre Hände zittern.
Die Ekstase, die der leidenschaftliche Prinz vor allem beim weiblichen Publikum entfacht, hat jedoch noch Steigerungsstufen. Einmal sei ein Mädchen in Ohnmacht gefallen, als es ihn auf der Straße erkannt hatte. „Meine Mutter war damals dabei“, erzählt Justin. „Und die hat gesagt: Habt euch nicht so, dass ist nur mein Sohn – das war total witzig.“ Weniger lustig sei sein Besuch in Stuttgart gewesen. Dorthin war er für ein Treffen mit seiner Community, also seinen Fans, gereist. 600 Anhänger erwarteten ihn und lösten auf dem zentralen Schlossplatz tumultartige Zustände aus. Die Polizei musste einschreiten. „Das war schon richtig krass“, sagt Justin.
Expertin: Justin Schmidt ist ein Rollenvorbild
Er fährt sich durch sein Haar, das oben lang und an den Seiten kurz ist. Undercut nennt sich diese Frisur, die zu seiner Generation gehört wie Brillen mit dickem Rand und Turnbeutel auf dem Rücken. Justin kennt seine Wirkung und er weiß sie auch einzusetzen. Einer seiner wichtigsten Grundsätze lautet: Immer lachen. „Ich verkörpere gute Laune. Dafür bin ich auch bekannt.“ Und so findet man kein Bild, auf dem er nicht grinsend in die Kamera schaut: Mal ganz breit, mal etwas verschmitzt, dann wieder verträumt: Justin ist der smarte Junge mit dem süßen Lächeln. Der Posterboy einer Generation, deren größte Sorge das Ende ihres Handy-Datenvolumens ist.
Das mag oberflächlich klingen. Ist es aber nicht, findet Ruth Festl. Sie beschäftigt sich am Deutschen Jugendinstitut mit digitalen Trends. „Justin ist ein Rollenvorbild“, sagt Festl. Und die habe jede Jugend-Generation. Er gibt seinen Fans Orientierung. In einem Video zum Beispiel, in dem er mit seiner Freundin darüber spricht, was sie aneinander mögen. „Das ist ein Thema, was Jugendliche in diesem Alter einfach interessiert.“
Hinzu komme noch seine einfache Erreichbarkeit. „Justin reagiert viel auf seine Fans, beantwortet Fragen, die sie ihm stellen“, sagt Festl. Ihren Idolen so nah zu sein, sei für Teenager natürlich großartig. „An Popstars kommt man höchstens auf Konzerten heran und selbst dann ist noch eine Absperrung dazwischen.“
Seinen Erfolg muss sich Justin erarbeiten - Nacht für Nacht. „Manchmal sitze ich bis nach null Uhr, um Fotos und Videos fertig zu machen“, erzählt er. Der Schüler ist mittlerweile auch eine Marke geworden. Firmen buchen ihn für Events und er hat schon zwei eigene Modekollektionen herausgegeben. „Die sind beide bereits restlos ausverkauft“, sagt Justin.
Finanziell lohnt sich der Aufwand: „Von meinen Einnahmen könnte ich schon leben.“ Allerdings habe die Schule derzeit noch oberste Priorität. Bei wichtigen Klausuren stellt Justin sein soziales Internetuniversum deswegen auch mal auf Stand-by: „Wenn ich dann wieder zurück bin, sage ich den Leuten: Ich war zwar zwei Tage weg, aber schaut her, ich lebe immer noch.“
Zwei Mädchen von der ersten Foto-Gruppe kommen noch einmal zurück. „Können wir ein Autogramm von dir haben“, fragen sie. „Natürlich“, sagt Justin. Doch weder er, noch die Mädchen haben Zettel und Stift dabei – wozu auch in einer digitalen Welt. Es findet sich dann doch noch etwas zum Unterschreiben. Warum sie Justin so gut finden? „Er ist so hübsch“, sagt Mia, 13 Jahre alt. Nicht mehr? „Und er ist auch total nett.“ Dann nehmen die beiden die Autogramme und ziehen vor Freude hüpfend davon.
„Ich wette, die hängen sich den Zettel jetzt zu Hause über das Bett“, sagt Justin. Für ihn sei das verrückt. „Die sind bestimmt die nächsten Tage total glücklich, nur weil sie mich getroffen haben.“ Und vielleicht erübrigt sich damit auch die Frage nach dem Erfolgsrezept von Prinz Justin. Er gibt den Mädchen und vielen anderen einfach ein gutes Gefühl. Und allein das ist ja schon einiges wert.
Justins Internetuniversum
340.000 Fans hat Justin bei Musicaly, der Playback-Show auf dem Mobiltelefon. Bekannte Popsongs werden mit eigenen Choreografien und Tanzeinlagen unterlegt und mit Filtern bearbeitet. Im dem sozialen Netzwerk gibt es Wettbewerbe. Nutzer weltweit: 200 Millionen.
230.000 Fans hat der „Prince of Passion“ bei Instagram, dem Universum der schönen Bilder. Hier werden Schnappschüsse mit Filtern aufgehübscht und im Netzwerk geteilt. Mittlerweile können auch mehrere Bilder zu Geschichten verknüpft werden. Nutzer weltweit: 700 Millionen.
20.000 Fans hat Justin bei Snapchat, dem Tagebuch der Onlinewelt. Nutzer dokumentieren in Bildern und kurzen Videos ihren Alltag. Fotos und Videos können bearbeitet werden. Alle Aufnahmen zerstören sich nach kurzer Zeit selbst. Nutzer weltweit: 220 Millionen.
10.000 verfolgen bei Twitter, was Justin veröffentlicht. Nachrichten, Kommentare und Argumente werden hier auf 140 Zeichen reduziert und dann veröffentlicht. Die Einbindung von Fotos und Videos ist möglich. Nutzer weltweit: 317 Millionen.
Auf Youtube erreicht Justin Schmidt mit seinen Videos zwischen 5.000 und 150.000 Aufrufe pro Film. Youtube ist die Videothek des Internets. Nutzer veröffentlichen auf der Plattform Videos aller Art - von Produkttest bis Kino-Vorschau. Nutzer weltweit: Etwa eine Milliarde. (mz)