1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Saalekreis
  6. >
  7. Neumark-Nord: Warum diese Sackgasse zum künstlichen Dorf wurde

Neumark-Nord Neumark-Nord: Warum diese Sackgasse zum künstlichen Dorf wurde

Neumark-Nord - Nahe des volkseigenen Guts in Blösien-West entstand Anfang der 60er Jahre eine Ansiedlung für die Mitarbeiter. Nach der Wende wurde daraus Neumark-Nord.

Von Diana Dünschel 21.10.2017, 10:01

Alles, was zu einem Dorf gehört, hat Neumark-Nord nicht. Keine Kirche, keinen Teich, keine Friedenseiche, kein Gasthaus, keinen Friedhof. Auch etwas zur Geschichte von Neumark-Nord sucht man beim Braunsbedraer Ortschronisten Frank Hoffmann vergebens. Das mag daran liegen, dass der Braunsbedraer Ortsteil erst seit Ende der 1950er Jahre überhaupt existiert und im Grunde genommen ein künstliches Gebilde ist, das es nur gibt, weil die Beschäftigten des dortigen Volksgutes nahe ihrer Arbeitsplätze wohnen sollten.

Als wäre die Zeit stehen geblieben: Auf dem Ortsschild bei Neumark-Nord steht noch „Kreis Merseburg“

Dazu kommt, dass der Name Neumark-Nord noch jünger als die Handvoll Häuser ist. Bis zur Wende stand nämlich Blösien-West auf dem Ortseingangsschild. Fragt sich nur, ob man den aktuell gut 30 Einwohnern danach so wenig zusätzliche Veränderung wie nötig zumuten wollte? Immerhin ist auf dem jetzigen Ortsschild noch „Kreis Merseburg“ zu lesen.

Dabei war die Fusion der damaligen Kreise Merseburg und Querfurt zu Merseburg-Querfurt schon im Jahr 1994.

Briefkasten und eine Haltestelle: Neumark-Nord ist ein Sackgassen-Dorf

Fakt ist, dass Neumark-Nord ein klassisches Sackgassen-Dorf ist. Es gibt genau eine Zufahrtsstraße im Anschluss an Blösien und ringsum nichts als Felder sowie in unmittelbarer Nähe den Geiseltalsee. Rechts, von Blösien kommend, befindet sich das einstige Volksgut mit Wohnhaus und jeder Menge Stallungen und Gebäuden.

Es ist der heute privat geführte Geiseltalhof, wo die mittlerweile überregional bekannten Geiseltaler Eier herkommen und die Kartoffeln „Geiseltaler Knollen“ wachsen, wo es einen Hofladen gibt und eine Pferdezucht und der Reitverein „Nördliches Geiseltal“ seinen Sitz hat.

Links stehen sieben teils zweistöckige Wohnhäuser, immerhin alle bewohnt. Nach etwa 200 Metern ist Schluss. Danach nichts als Feldwege. Es gibt einen Briefkasten, die Schulbus-Haltestelle und einen Schaukasten mit den amtlichen Bekanntmachungen der Stadt Braunsbedra. Ansonsten gibt es nichts.

Neumark-Nord: Warum das Dorf heute zur Geiseltal-Stadt gehört

Apropos Braunsbedra. Es ist auch so ein merkwürdiges Stück Geschichte, warum Neumark-Nord heute zur Geiseltal-Stadt gehört, obwohl die Einwohner über Blösien und Frankleben quasi mit der Kirche ums Dorf zu ihrem Rathaus fahren oder einmal quer durch den Geiseltalsee schwimmen müssten. Chronist Frank Hoffmann erklärt es so: Rein verwaltungstechnisch habe der Ort bis zur Wende zu Blösien gehört, liegenschaftstechnisch immer zu Braunsbedra.

Weil sich die Geiseltal-Stadt den Ort nach der Wende unbedingt einverleiben wollte, während Blösien seit 1950 nach Geusa eingemeindet war und später Merseburg angeschlossen wurde, sei aus Blösien-West eben Neumark-Nord geworden. Nur telefontechnisch blieb alles beim Alten. Neumark-Nord ist heute immer noch über die Merseburger Vorwahl zu erreichen.

Neumark-Nord: Mit dem Braunsbedraer Ortsteil Neumark hat der Ortsname nichts zu tun

Dabei habe der Name nichts mit dem Braunsbedraer Ortsteil Neumark zu tun, weiß Fritz Drexler, der seit 1976 in Neumark-Nord lebt. Denn zwischen beiden lagen ursprünglich noch mehrere andere Geiseltal-Orte wie Körbisdorf und Naundorf, die später überbaggert wurden. Nur habe jemand offenbar aus Mitleid danach die übrig gebliebenen Flurstücke Neumark-Nord zugeordnet. Zudem sei ein Kohlebunker in der Nähe als Neumark-Nord bekannt gewesen.

Er weiß auch zu berichten, dass es in Neumark-Nord ursprünglich nur Feldscheunen der Güter Körbisdorf und Naundorf gab. Die Flächen kauften ab den 1920er Jahren die Leuna-Werke auf, weil sie zur Versorgung der steigenden Zahl der Arbeiter benötigt wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden Schafställe. In den 50er Jahren wurde das erste Haus erbaut. 1958 bis 1964 dann alle weiteren. Gleichzeitig entstand der Hof in der Art eines großen Bauernhofes. Die Mitarbeiter wurden für kurze Arbeitswege nach Blösien und Blösien-West umgesiedelt.

Neumark-Nord: So sah es früher hier aus

Der moderne und technisch sehr gut ausgestattete Betrieb mit seiner Tier- und Pflanzenproduktion war dann seit 1976 volkseigenes Gut mit Kühen, Schafen und Schweinen in einer Mastanlage in Blösien, einer Apfelplantage, über 90 Mitarbeitern in 64 eigenen Wohnungen und bis zu 800 Hektar Feld, von denen aber bis zur Wende 300 dem Kohleabbau zum Opfer fielen.

Es gab mehrmals täglich Busse nach Blösien, wo es eine Kita und den Konsum gab, und für den Schülertransport, weil die Schulbusse nach Geusa und Merseburg in Blösien endeten. Später öffnete in Neumark-Nord eine Verkaufsstelle. Diese Zeiten sind freilich vorbei. (mz)