Mediziner warnen vor Lärm Kann Gutachten den Ausbau des Airports Leipzig/Halle noch kippen?
Ein Gutachten geht von erhöhten Gesundheitsrisiken für Anwohner des Airports Leipzig/Halle aus. Ändert das die Pläne für den Ausbau?
Schkopau/Halle (Saale) - Der Turbinenlärm hat einen festen Platz im Leben von Peter Richter. Der 58-Jährige wohnt in Döllnitz, einem 1.300-Einwohner-Ortsteil der Gemeinde Schkopau im Saalekreis. Rund zwölf Kilometer vom Flughafen Leipzig/Halle entfernt liegt sein Haus. Nacht für Nacht reißen ihn die anfliegenden Frachtmaschinen aus dem Schlaf. Jahr für Jahr schürt Richter den Protest gegen den Airport. Bisher ohne großen Erfolg. Doch nun schöpft er neue Hoffnung: „Ich bin ziemlich optimistisch, dass sich jetzt etwas ändert. Jetzt haben wir es schriftlich.“
Grund für Richters Optimismus ist ein kürzlich vorgestelltes Gutachten im Auftrag der sächsischen Grünen-Landtagsfraktion. Mediziner der Universität Mainz hatten darin dargelegt, dass insbesondere Nachtflüge bei Anwohnern zu einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Infarkten und Schlaganfällen führen können. Demnach könnten durch Turbinenlärm Stresshormone ausgeschüttet werden, die den Blutdruck sowie die Zähigkeit des Blutes beeinflussen.
Schädlicher Fluglärm: Ärzte sind alarmiert
Grundlage des Gutachtens sind verschiedene internationale Studien zum Sterberisiko bei Flughafenanwohnern - etwa in der Schweiz und Frankreich. Zudem wurden Ergebnisse von Bürgerbefragungen zur Lärmbelästigung am Flughafen in Frankfurt am Main und Lärmdaten der Messstation in Großkugel (Saalekreis) analysiert. „Die Menschen müssen vor den gesundheitlichen Folgen des Lärms geschützt werden“, fordern die Mainzer Wissenschaftler. Die geltenden Lärmschutzgesetze sind laut den Medizinern dazu nicht ausreichend.
Die Studienmacher sprechen daher eine Reihe von Empfehlungen aus: Demnach sollten An- und Abflüge steiler erfolgen, um die Flugzeit über den Wohngebieten zu verkürzen. Zudem sollte eine bestimmte Zahl an Nachtflügen nicht überschritten werden. Bisher gilt in Leipzig/Halle eine uneingeschränkte Nachtflugerlaubnis.
Nachtfluggegner contra Airportbetreiber - Konflikt brodelt seit Jahren
Der Konflikt zwischen Nachtfluggegnern und Airportbetreiber brodelt seit Jahren. Nach der öffentlichen Auslegung der Ausbaupläne 2020 hatten sich die Fronten weiter verhärtet. 4.000 Einwendungen aus der Bevölkerung gegen das Bauvorhaben gingen im Februar ein. Viele Anwohner aus den 17 umliegenden Kommunen in Sachsen und Sachsen-Anhalt befürchten seither eine massive Steigerung des Fluglärms.
Der Paketdienst DHL betreibt in Leipzig/Halle sein weltweit größtes Frachtdrehkreuz. Ab 22?Uhr bis in die Morgenstunden starten und landen hier Frachtmaschinen. In Sachsen-Anhalt sind vor allem die Gemeinden Schkopau und Kabelsketal im Saalekreis vom Fluglärm betroffen. Laut Bürgerinitiative „Gegen die neue Flugroute“ sorgen die Flüge für Lärmspitzen von über 70 Dezibel - das entspricht etwa der Lautstärke eines Staubsaugers.
Arbeitsplatz Flughafen: 8.200 Stellen am Airport
Der Fluglärm sei für viele Anwohner ein Problem, bestätigt auch Torsten Ringling (parteilos), Bürgermeister von Schkopau. „Es gibt massive Konflikte.“ Doch der Airport bringe auch Arbeitsplätze in die Region. Laut Flughafengesellschaft entfallen allein 8.200 Stellen am Airport auf Luftfracht und Logistik. „Es gibt eine ganze Reihe von Leuten, die hier gut verdienen“, so der Bürgermeister. Für die Logistik regionaler Unternehmen spiele der Flughafen indes keine große Rolle, so Ringling. „Man muss ehrlich sagen: Die hängen nicht vom Flughafen ab.“ Der Airport dient in erster Linie als Umschlagplatz für Sendungen nach ganz Europa.
Eine starke Einschränkung der Nachtflüge hält der Bürgermeister jedoch nicht für realistisch. „Die Attraktivität des Standorts hängt davon ab.“ Ringling will sich stattdessen für mehr passiven Schallschutz auf Kosten des Airports einsetzen. Das heißt: moderne Schallschutzfenster und Dämmung für die Häuser der Anwohner. Das sei bisher nur in einem „sehr begrenzten“ Rahmen unterstützt worden. „Das Gutachten gibt uns da jetzt Rückenwind.“
Der Flughafenbetreiber äußerte sich auf MZ-Anfrage nur knapp zum Gutachten. Man habe großes Interesse daran, die Auswirkungen durch den Flugbetrieb möglichst gering zu halten, so Airport-Sprecher Thomas Reinhold.
Ausbaupläne am Airport: Möglichkeit zum Widerspruch wird geprüft
Wie stark der Einfluss des Fluglärmgutachtens auf den Ausbauplan sein wird, ist indes noch unklar. Allerdings: Laut Kommunen hat die Landesdirektion Sachsen bereits angedeutet, Einwohnern erneut die Möglichkeit zu geben, Einwände gegen den Ausbau einzureichen. Eine Frist dazu war zuletzt im Februar verstrichen. Das Gutachten werde derzeit gesichtet, teilt die Landesdirektion mit. Die Forderungen nach einer weiteren Möglichkeit zum Widerspruch werde derzeit geprüft.
Nachtfluggegner Peter Richter lässt sich dadurch nicht entmutigen. „Die Empfehlungen im Gutachten sind Gold wert“, findet er. Viele Anwohner hätten zuletzt resigniert, nicht mehr an eine Linderung des Fluglärms geglaubt. „Jeder Dumme weiß, dass mehr Verkehr auch lauter ist“, sagt er mit Blick auf die Ausbaupläne des Airportbetreibers. Doch nun gebe es neue Hoffnung, denn: „Jetzt sagen das auch die Wissenschaftler.“ (mz)