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"Haus am Hügel" der Lebenshilfe "Haus am Hügel" der Lebenshilfe: Politik ist immer ein Thema

Von Undine Freyberg 22.09.2017, 11:38
Auch die Bewohner des Hauses am Hügel in Leuna wollen am Sonntag wählen gehen. So zum Beispiel Torsten Sommerfeld, Heidemarie Becker, Ulrike Bohley, Manfred Freydank (v.l.) und Steffen Kappich (r.). Hausleiterin Jeanette Schmidt und Stellvertreterin Beate Matz-Hanschke werden sie begleiten.
Auch die Bewohner des Hauses am Hügel in Leuna wollen am Sonntag wählen gehen. So zum Beispiel Torsten Sommerfeld, Heidemarie Becker, Ulrike Bohley, Manfred Freydank (v.l.) und Steffen Kappich (r.). Hausleiterin Jeanette Schmidt und Stellvertreterin Beate Matz-Hanschke werden sie begleiten. Marco Junghans

Leuna - Alle 39 Bewohner des Hauses am Hügel der Lebenshilfe haben eine Wahlbenachrichtigung erhalten. Damit steht der Plan für Sonntag auch schon fest: „Nach dem Mittagsschlaf machen wir einen Saalespaziergang und dann gehen wir in unser Wahllokal in der Jahn-Grundschule“, sagt Jeanette Schmidt, die Leiterin des Hauses am Hügel. Danach gebe es Kaffee und Kuchen. Abends treffe man sich dann im kleinen Saal, werfe den Beamer an und warte auf die Wahlergebnisse.

Dürfen geistig behinderte Menschen wählen? Ja, das dürfen sie, wenn sie nicht in allen Bereichen des Lebens von einem Betreuer oder von den betreuenden Angehörigen vertreten werden müssen. „Deshalb dürfen unsere Bewohner wählen“, erklärt Schmidt, die selbst politisch aktiv ist und für die Linke im Merseburger Stadtrat sitzt.

Bewohner des Hauses der Lebenshilfe sind politisch interessiert

Die Bewohner des idyllisch gelegenen Hauses der Lebenshilfe sind ebenfalls politisch interessiert. Fast alle haben sich das TV-Duell zwischen Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) angesehen. Mehrere Bewohner haben die Mitteldeutsche Zeitung abonniert und informieren sich auf diesem Wege. „Manche kommen auch zu mir ins Büro und leihen sich die MZ“, erzählt Schmidt.

In den vergangenen Wochen ist es im Haus am Hügel viel um Politik gegangen. Zum Beispiel sind die Parteiprogramme der demokratischen Parteien besprochen worden, und die Bewohner wissen schon sehr genau, wer zu welcher Partei gehört und wen sie zum Beispiel nicht wählen möchten.

Was sie in Deutschland gerade doof finden und was sich ändern müsste?

„Die AFD wähle ich auf keinen Fall, weil da die Rechten mit drinsitzen“, sagt ein Mann ganz klar. Eine Frau will die FDP wählen, weil sie Angela Merkel nicht leiden kann. Eine andere würde gern Gregor Gysi wählen. Jeanette Schmidt erklärt ihr, dass das nicht geht, weil der nicht im hiesigen Wahlkreis antritt.

Was sie in Deutschland gerade doof finden und was sich ändern müsste? „Es ist schlimm, dass die die Flüchtlinge wegschicken. Die sollen doch mal überlegen - die haben doch dann kein Dach über dem Kopf. Wo die herkommen, ist Überschwemmung oder Krieg“, antwortet Manfred Freydank, dem neben den Menschen auch die Umwelt am Herzen liegt. „Alles soll so schön bleiben wie es ist, damit sich meine Enkel auch noch drüber freuen können.“

130 Euro im Monat für die Arbeit in der Werkstatt

Die Sache mit dem Geld ist das, was Steffen Kappich stört. Man bekomme nicht besonders viel Geld für die Arbeit in den Werkstätten. „Und was wir als Taschengeld bekommen, ist ja auch nicht so doll.“ 130 Euro bekommt er im Monat für seine Arbeit in der Werkstatt. Rund 110 Euro bekäme er als Taschengeld im Monat hilft Jeanette Schmidt. „Mal mehr, mal weniger.“ Davon müsse auch das Geld für Gruppenurlaube angespart werden.

Steffen ginge es da mit seinem Taschengeld noch ganz gut, so Schmidt, aber zum Beispiel Manfred, der mit seinen 67 Jahren ja bereits Rentner sei. „Es ist ein Lacher, was ein Mann, der sein Leben lang gearbeitet hat, als Rente bekommt.“ Manfred Freydank ist damals gleich nach der Schule arbeiten gegangen, hat in einer Gärtnerei und in einer Brauerei gearbeitet und später in einer Gartengruppe der Stiftung Samariterherberge Horburg. Natürlich möchte er auch mit auf Gruppenurlaub fahren.

Kosten für Unterkunft und Verpflegung trägt bei allen das Sozialamt

Manfred raucht aber auch. „Was ja eigentlich nicht schlimm ist. Allerdings ist es jetzt schon so, dass wir Manfred die Zigaretten zuteilen müssen, weil er sie sich kaum leisten kann“, so Jeanette Schmidt. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung trägt bei allen das Sozialamt, 3,17 Euro davon müssen pro Tag pro Bewohner für die Verpflegung ausreichen.

Wenn sich im Haus am Hügel neue Mitarbeiter bewerben, würden sie immer darauf hingewiesen, dass die Bewohner politisch sehr interessiert seien. „Deshalb sollten auch künftige Mitarbeiter Interesse für Politik haben“, sagt die stellvertretende Hausleiterin Beate Matz-Hanschke, deren Tochter Miriam bei der Bundestagswahl für die Grünen antritt. (mz)