High-Tech-Plattform eingeweiht Einzigartige High-Tech-Plattform in Bad Lauchstädt eingeweiht: Neue Welten im Glaswürfel

Bad Lauchstädt - Die Gebilde aus Glas und Stahl sehen futuristisch aus: 1,55 Meter lang und 1,55 Meter breit, gut drei Meter hoch. An den Seiten ist ein Gewirr aus Kabeln und Leitungen mit kleinen Flaschen verbunden, das Innere leuchten Lampen aus.
Gefüllt mit Erde wachsen in den Kammern die unterschiedlichsten Pflanzen. Im Boden breiten sich Bakterien aus, oberirdisch sind Schnecken und Spinnen unterwegs. Alles ist hermetisch abgeschlossen. Und das Ganze gibt es nicht nur einmal - sondern in 24-facher Ausführung. Nur dass sich die Zusammensetzung der Bewohner - also den Pflanzen und Tieren - ändert.
Was dort in einer großen Halle am Ortsrand von Bad Lauchstädt (Saalekreis) steht, sind quasi kleine abgeschlossene Welten, in der der Mensch bestimmen kann, wann es regnet, ob die Sonne scheint und wo was wie lange wachsen darf. Mit Hilfe dieser kleinen Welten wollen Wissenschaftler erforschen, welche Auswirkungen das Artensterben - also der Verlust an biologischer Vielfalt - in der richtigen Welt haben wird. Und so auch wichtige Hinweise geben, wie rechtzeitig gegengesteuert werden kann.
Zwei Schwergewichte
Die 3,7 Millionen Euro teure Versuchsplattform ist am Mittwoch mit einem Festakt eingeweiht worden. Betrieben wird die in ihrer Art einmalige Anlage mit dem Namen „Ecotron“ von zwei Schwergewichten in der Forschungslandschaft, die auch ein Standbein in Halle haben: dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).
Worum es den Wissenschaftlern geht, beschreibt Nico Eisenhauer, Professor bei iDiv und wissenschaftlicher Leiter des Projekts: „Ähnlich einer Klimakammer, in der das wärmere Klima der Zukunft simuliert wird, ermöglicht uns das iDiv-Ecotron einen Ausblick auf eine künftige Welt mit weniger Arten.“
Wobei der Verlust der biologischen Vielfalt bereits in vollem Gang ist. So sterben nach iDiv-Schätzungen bei wirbellosen Tieren jeden Tag zahlreiche Arten aus. Das ist brisant. Denn viele Arten garantieren, dass die Ökosysteme funktionieren. So weist iDiv darauf hin, dass eine große Zahl von Pflanzentypen die Produktion von Biomasse wie Heu und Holz erhöht.
Insekten wie Ameisen helfen Pflanzen bei der Verbreitung von Samen, Regenwürmer recyceln Nährstoffe für die Pflanzen. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums schätzen, dass Insekten durch die Bestäubung von Kulturpflanzen in der Landwirtschaft einen Wert von etwa 150 Milliarden Euro pro Jahr „erwirtschaften“.
Wie genau die verschiedenen Arten voneinander abhängig sind, hat die Wissenschaft bislang meist in Feldversuchen untersucht. Noch wenig bekannt ist aber, wie das Mit- oder Gegeneinander von Pflanzenfressern wie Schnecken oder Raupen, von Räubern wie Marienkäfer oder Spinnen sowie Mikroorganismen in der Erde funktioniert.
Forschungsplattform: Wie verändern sich Ökosysteme?
Mit der Forschungsplattform eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten. „So können wir beispielsweise das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten oberhalb und im Boden untersuchen“, sagt Projekteiter Eisenhauer. Forscher sind nun in der Lage, in einem abgeschlossenen System Tier- oder Pflanzenarten herauszunehmen oder durch andere zu ersetzen. Wie verändert sich also das Ökosystem, wenn der Marienkäfer nicht mehr da ist oder im Boden Bakterien fehlen?
Manfred Türke ist in gewisser Weise der Herr über die Versuchsanlage. Er hat in den vergangenen Monaten viel Zeit auf dem Gelände in Bad Lauchstädt verbracht. Als wissenschaftlicher Leiter begleitete er die Installation der High-Tech-Plattform, er weiß genau, welches Experiment in jeder einzelnen Kammer laufen soll. „Wir schaffen neue Bio-Systeme“, sagt er und zeigt auf eine der Kammern.
Dort wachsen 19 verschiedene Pflanzenarten heran. Türke zählt unter anderem Gänseblümchen, Wolliges Honiggras und Bohnen auf. Unterwegs sind neben Regenwürmern auch Blattläuse, die den Bohnen zusetzen. Nun wollen die Forscher herausfinden, wie das Nebeneinander dieser Arten funktioniert und was geschieht, wenn man von außen eingreift.
48 Kameras beobachten Pflanzenwachstum und Verhalten der Tiere
„Die Kammern gleichen sich bis ins Kleinste. Sie alle sind mit dem gleichen Handwerkszeug ausgestattet “, sagt Eisenhauer. In jede Kammer passen 2,2 Tonnen Erde, durch oberirdische Trennwände und unterirdische Stahlzylinder können sie noch einmal unterteilt werden. Die Kästen sind vollgestopft mit Technik, die eine genaue Kontrolle der Versuche sicherstellen soll.
Allein 48 Kameras beobachten Pflanzenwachstum und Verhalten der Tiere. Alle Daten laufen in einem leistungsstarken Rechner ein, der mit den Forschungsinstituten verbunden ist. So können sich beispielsweise Wissenschaftler in Halle oder Leipzig jederzeit per Mausklick einen Überblick über den Stand der Experimente in Bad Lauchstädt verschaffen.
Dass „Ecotron“ in der Saalekreis-Gemeinde aufgebaut wurde, ist kein Zufall. Dort betreibt das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung bereits eine große Versuchsstation, von der Wissenschaftler weltweit profitieren. So wird seit dem Jahr 2013 in einem einzigartigen Freilandexperiment erforscht, welche Folgen der Klimawandel für die Landnutzung hat. Die Versuchsstation bekomme nun durch „Ecotron“ einen zusätzlichen Schub, sagt François Buscot vom Helmholtz-Zentrum. „Und dabei haben viele Experimente gerade erst angefangen.“ (mz)