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High-Tech-Plattform eingeweiht Einzigartige High-Tech-Plattform in Bad Lauchstädt eingeweiht: Neue Welten im Glaswürfel

Von Walter Zöller 18.05.2017, 13:44
In 24 High-Tech-Kammern können vollständige Ökosysteme geschaffen werden.
In 24 High-Tech-Kammern können vollständige Ökosysteme geschaffen werden. Peter Lisker

Bad Lauchstädt - Die Gebilde aus Glas und Stahl sehen futuristisch aus: 1,55 Meter lang und 1,55 Meter breit, gut drei Meter hoch. An den Seiten ist ein Gewirr aus Kabeln und Leitungen mit kleinen Flaschen verbunden, das Innere leuchten Lampen aus. 

Gefüllt mit Erde wachsen in den Kammern  die unterschiedlichsten Pflanzen. Im  Boden breiten sich Bakterien aus,  oberirdisch  sind Schnecken und Spinnen unterwegs.  Alles ist hermetisch abgeschlossen. Und das Ganze gibt es nicht nur einmal - sondern  in 24-facher Ausführung. Nur dass sich die Zusammensetzung der Bewohner - also  den Pflanzen und Tieren - ändert.

Was dort in einer großen Halle am Ortsrand von Bad Lauchstädt (Saalekreis) steht, sind quasi kleine abgeschlossene Welten, in der der Mensch bestimmen kann, wann es regnet, ob die Sonne scheint und wo was wie lange wachsen  darf.  Mit  Hilfe dieser kleinen Welten  wollen Wissenschaftler   erforschen, welche Auswirkungen das Artensterben - also der Verlust an biologischer Vielfalt - in der richtigen Welt haben wird.    Und so   auch wichtige Hinweise  geben, wie rechtzeitig gegengesteuert werden kann.

Zwei Schwergewichte

Die 3,7 Millionen Euro teure Versuchsplattform ist am Mittwoch mit einem Festakt eingeweiht worden.  Betrieben wird die in ihrer Art  einmalige Anlage mit dem Namen „Ecotron“ von zwei Schwergewichten in der Forschungslandschaft, die auch ein Standbein in Halle haben: dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ).

Worum es den Wissenschaftlern geht, beschreibt Nico Eisenhauer, Professor bei iDiv und wissenschaftlicher Leiter des Projekts: „Ähnlich einer Klimakammer, in der das wärmere Klima der Zukunft simuliert wird, ermöglicht uns das iDiv-Ecotron einen Ausblick auf eine künftige Welt mit weniger Arten.“

Wobei der  Verlust der biologischen Vielfalt bereits in vollem Gang ist. So sterben  nach iDiv-Schätzungen bei wirbellosen Tieren  jeden Tag zahlreiche Arten aus. Das ist brisant. Denn viele Arten garantieren, dass die Ökosysteme funktionieren. So weist iDiv darauf hin, dass eine große Zahl von Pflanzentypen die Produktion von  Biomasse wie Heu und Holz erhöht.

Insekten wie Ameisen helfen Pflanzen bei der Verbreitung  von Samen, Regenwürmer recyceln Nährstoffe für die Pflanzen.  Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums schätzen, dass Insekten durch die Bestäubung von Kulturpflanzen in der Landwirtschaft einen Wert von etwa 150 Milliarden Euro pro Jahr „erwirtschaften“.

Wie genau die verschiedenen Arten voneinander abhängig sind,  hat die Wissenschaft  bislang  meist  in Feldversuchen untersucht.  Noch wenig  bekannt ist aber, wie das Mit- oder Gegeneinander  von  Pflanzenfressern wie Schnecken oder Raupen, von Räubern wie  Marienkäfer oder Spinnen sowie   Mikroorganismen  in der Erde funktioniert. 

Forschungsplattform: Wie verändern sich Ökosysteme?

Mit der  Forschungsplattform eröffnen sich  völlig neue Möglichkeiten. „So können wir beispielsweise das Zusammenspiel und die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten oberhalb und im Boden untersuchen“, sagt Projekteiter Eisenhauer.  Forscher sind nun in der Lage, in einem abgeschlossenen System Tier- oder Pflanzenarten herauszunehmen oder  durch andere zu ersetzen. Wie verändert sich also das Ökosystem, wenn der Marienkäfer nicht mehr da ist oder im Boden Bakterien fehlen?

Manfred Türke ist in   gewisser Weise der Herr über die Versuchsanlage. Er hat in den vergangenen Monaten viel Zeit  auf dem Gelände in Bad Lauchstädt verbracht. Als wissenschaftlicher Leiter begleitete er die Installation der High-Tech-Plattform,   er  weiß genau, welches Experiment in jeder einzelnen Kammer laufen soll.     „Wir schaffen neue Bio-Systeme“, sagt er und zeigt auf eine der  Kammern. 

Dort wachsen  19 verschiedene Pflanzenarten heran. Türke zählt unter anderem  Gänseblümchen,  Wolliges Honiggras und Bohnen auf. Unterwegs sind   neben Regenwürmern auch Blattläuse, die den Bohnen  zusetzen. Nun  wollen  die  Forscher   herausfinden, wie das Nebeneinander dieser Arten funktioniert und was geschieht, wenn man  von außen eingreift.

48 Kameras beobachten Pflanzenwachstum und Verhalten der Tiere

„Die Kammern gleichen sich bis ins Kleinste. Sie alle sind mit dem gleichen Handwerkszeug ausgestattet “, sagt  Eisenhauer. In jede Kammer passen  2,2 Tonnen Erde,  durch oberirdische  Trennwände und unterirdische Stahlzylinder können sie  noch einmal  unterteilt werden. Die Kästen  sind vollgestopft mit  Technik, die  eine  genaue  Kontrolle der Versuche sicherstellen soll.

Allein 48 Kameras  beobachten  Pflanzenwachstum und Verhalten der Tiere. Alle Daten laufen in einem leistungsstarken  Rechner ein,  der  mit den Forschungsinstituten verbunden ist.  So können sich  beispielsweise Wissenschaftler in Halle oder Leipzig jederzeit per Mausklick einen Überblick über den Stand der Experimente in Bad Lauchstädt  verschaffen.

Dass „Ecotron“  in der Saalekreis-Gemeinde aufgebaut wurde, ist kein Zufall. Dort betreibt das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung bereits eine große Versuchsstation, von der Wissenschaftler weltweit profitieren. So wird seit dem Jahr 2013  in einem einzigartigen Freilandexperiment erforscht, welche Folgen der Klimawandel für die Landnutzung hat. Die Versuchsstation bekomme nun durch „Ecotron“ einen zusätzlichen Schub, sagt François Buscot vom Helmholtz-Zentrum. „Und dabei haben viele Experimente gerade erst angefangen.“ (mz)