Pausenlos Chemie Chemie-Standort Leuna: Was passiert hier eigentlich nachts?

Leuna - Die Leuchtschrift ist unübersehbar. „Tor 6“ steht über dem Areal nahe der B91. Hier steht Benjamin Kohnke und nimmt einen Gefahrguttransporter unter die Lupe. Tor 6, das ist eines von zweien, die am Chemiestandort Leuna auch in der Nacht besetzt sind. „Bis 22 Uhr ist viel Betrieb, danach wird es etwas ruhiger“, erzählt der junge Mann, der Tordienst hat. Zu seinem Job gehört zu prüfen, ob der Fahrer den Transporter fahren darf, die Papiere vollständig sind, das Fahrzeug fahrtüchtig, die Sicherheitsausstattung vorhanden.
Nachts in Leuna: Strenge Einfahrtkontrollen am Tor
Mehr als 27.000 Gefahrgut-Transporter haben 2017 die Werkstore in Leuna passiert, sagt Wolfgang Stephan, Leiter Werkschutz und Feuerwehr bei Infraleuna. Die kommen am Tag, vereinzelt aber auch in der Nacht. Und Sicherheit steht ganz oben auf der Agenda. Heißt: „Jedes einzelne Fahrzeug mit Gefahrgut wird vom Werkschutz kontrolliert, bevor es reinfährt“, wie Stephan betont. Aber nicht nur das.
Auch für die Besucheranmeldung – mehr als 200.000 gibt es im Jahr – ist der Dienst in der Nacht zuständig. Und für die Kontrolle des ein- und ausfahrenden Pkw-Verkehrs. Kartenleser erkennen zwar, ob ein Fahrzeug zur Einfahrt berechtigt ist. Geöffnet werden muss die Schranke aber vom Dienst, wie Stephan sagt.
Leuna-Standort: Im Kofferraum wurde einst Müll hereingeschmuggelt
Dabei gilt: Rein darf nur, wer einen Werksausweis hat, Familienmitglieder oder Haustiere haben draußen zu bleiben. Stichprobenartig wird zudem kontrolliert, ob im Kofferraum Diebesgut raus- oder etwa Müll von zu Hause mit reingebracht wird. Vor Jahren hat es das Müllproblem gegeben, wie der Werkschutz-Chef sagt.
Chemie Leuna: Die Dispatcher haben 40 Kameras im Blick
Die Sicherheit im Blick haben unweit vom Tor auch Ludolf Wötzel und Sven Seppke, der eine Feuerwehr-, der andere Werkschutz-Dispatcher. In der Leitstelle blicken sie auf 21 Bildschirme, auf denen die Bilder von 40 Kameras aufgeschaltet sind. „Zum Schlafen kommen Sie hier nicht, aber viel ist Routine“, sagt Seppke.
Er ist unter anderem für den Streifendienst des Werkschutzes zuständig, drei Mitarbeiter sind auch nachts auf den knapp 45 Kilometern Werksstraße unterwegs.
Drei- bis viermal pro Nacht werden sie laut Werkschutz-Chef Stephan zum Beispiel gerufen, weil Alarmanlagen von Betrieben ausgelöst haben. „Überwiegend Fehlalarme“, wie Stephan sagt. Hinter dem Dispatcher-Stuhl hängen rund 1.000 Schlüssel für die ansässigen Firmen, mit einem ausgeklügelten technischen System so gesichert, dass sie nur wenige überhaupt entnehmen können.
Rund 50 Züge fahren tags wie nachts am Chemiestandort Leuna
Ein Stück weiter im Werksinneren tritt Steffen Gehne seinen Nachtdienst bei der Bahnlogistik an, die die Rohstoffversorgung und den Produkttransport der Firmen am Standort über Gleise organisiert. Seit 1990 ist Gehne Lokführer, hat fünf Jahre lang zum Beispiel eine Dampflok der Harzquerbahn gefahren. Seit 2004 arbeitet der 45-Jährige in Leuna, fährt vorwiegend standortintern Güterwagen zu den einzelnen Ladestellen, mitunter aber auch bis nach Großkorbetha zum Anschluss ans öffentliche Netz der Deutschen Bahn.
Rund 50 Züge täglich fahren in Leuna rein beziehungsweise raus, nachts nur unwesentlich weniger als am Tag. „Die Raffinerie als unser größter Kunde produziert rund um die Uhr“, sagt Bahnlogistik-Chef Michael Engelhardt. Gehne fährt heute eine Hybrid-Lok. Der Job, sagt er, ist abwechslungsreich – gerade beim Rangieren. „Und man ist immer in Bewegung.“
70 Stufen nach oben für den Blick über Netze und Kraftwerke
In Bewegung kommt auch, wer zur Zentralwarte von Infraleuna will. Mehr als 70 Stufen geht es nach oben in den Bereich, den man hier als „Industrie 4.0“ bezeichnet. 2016 wurde die Warte in Betrieb genommen, von ihr hat der Standort seine Betriebsanlagen für die Energie- und Wasserversorgung im Blick. Von fünf Schichtarbeitsplätzen aus werden auch nachts Netze und Kraftwerke überwacht.
Infraleuna ist der größte Stromlieferant am Standort, nur wenige Betriebe werden nicht durch ihn beliefert. Störungen werden akustisch wie optisch gemeldet. Störungen, heißt es, habe es zuletzt wenig gegeben. „Wir haben eine sehr hohe Versorgungszuverlässigkeit“, sagt Jens Halliger, Fachbereichsleiter Energiemanagement. Dank zweier unabhängiger Netze können Kunden umgeschaltet werden, wenn es die sensiblen Anlagen erfordern.
Letzte Station auf der nächtlichen Chemie-Tour: das Kulturhaus Leuna. Hier kontrolliert Werkschutz-Mitarbeiter Martin Kuss, ob alles ordentlich verschlossen ist. Technik protokolliert den Streifengang des Mannes, der seit zwölf Jahren dabei ist. Alles ist in Ordnung, es wird aber nicht das letzte Mal in dieser Nacht sein, dass Kuss das Kulturhaus kontrolliert. (mz)

