Sprengkörper aus dem Zweitem Weltkrieg Blindgänger gefunden: Wegen „Cookie“ zieht Krisenstab in Braunsbedra einen Sperrradius von zwei Kilometern
Weil am Freitag eine Luftmine entschärft wird, müssen Anwohner von Braunsbedra und Teilen Krumpas weichen. Schulen und Kitas bleiben zu. Warum die Bombe solche aufwendigen Maßnahmen erfordert.
Braunsbedra/MZ - Ein Erdhaufen liegt auf einem Stoppelacker am Rande von Neumark. Ein Bagger steht daneben, in der Nähe wartet ein Polizeiauto. Ansonsten wirkt die Szenerie harmlos. Doch das, was unter dem Erdhaufen liegt, ist nach Ansicht der Kampfmittelexperten alles andere als harmlos.
Nach Luftminenfund: Krisenstab zieht Sperrkreis mit Radius von zwei Kilometern
Viel mehr sehen sie die bei einer routinemäßigen Suche am Donnerstagvormittag gefundene gut zwei Tonnen schwere Luftmine vom Typ HC 4000 als ernsthafte Gefahr. Deshalb löst der Fund nun eine der größten Evakuierungsaktionen der vergangenen Jahre im Saalekreis aus.
Nach einem Treffen des Krisenstabes und umfangreichen Planungen am Donnerstag hat dieser einen Sperrkreis mit Radius von zwei Kilometern für die am Freitag geplante Evakuierung verfügt. Teile von Krumpa, Schortau sowie annähernd ganz Braunsbedra werden zur Geisterstadt.
Bis spätestens 10 Uhr müssen Anwohner in den betroffenen Gebieten ihre Häuser verlassen haben. Vier Kitas sowie die Grund- und die Sekundarschule Braunsbedra, die allesamt im Sperrgebiet liegen, bleiben am Freitag geschlossen. Auch zwei Pflegeheime müssen evakuiert werden. Der Kreis richtet Shuttlebusse und Notunterkünfte ein (Details siehe unten).
HC 4000 ist ein britisches Modell aus dem Zweiten Weltkrieg - Spitzname lautete „Cookie“
Wie lange die Entschärfung und damit auch die Sperrung dauert, dazu wollte sich der Kreis nicht festlegen. Offenbar gehen die Verantwortlichen jedoch von einer schwierigen Kampfmittelbeseitigung aus. „Der Zustand der Luftmine ist kritisch“, hieß es vom Kreis.
HC 4000 ist ein britisches Modell aus dem Zweiten Weltkrieg. Der Spitzname lautete „Cookie“. Doch der „Keks“ war für die getroffenen Gebiete nur schwer verdaulich. Die Luftminen verfügten über eine deutliche größere Sprengkraft als die meisten anderen im Weltkrieg eingesetzten Bomben. Ihre Bauweise, dünne Wände, hoher Sprengstoffgehalt, war darauf ausgelegt, eine möglichst starke Druckwelle zu erzeugen. So konnten sie im größeren Umkreis Häuser zerstören und selbst zwei Kilometer entfernt noch Fensterscheiben zerspringen lassen.
„Laut eigenen Angaben der Royal Air Force gab es bei der Abwurfmunition insgesamt 10 bis 15 Prozent Blindgänger“
Wie die Betreiber des Museums im Krumpaer Luftschutzbunker am Donnerstag auf ihren Internetkanälen informierten, gab es Anfang 1945 drei Nächte mit Luftangriffen, in denen insgesamt 611 dieser „Cookies“ auf das Treibstoffwerk in Lützkendorf abgeworfen wurden: „Laut eigenen Angaben der Royal Air Force gab es bei der Abwurfmunition insgesamt 10 bis 15 Prozent Blindgänger.“ Das wären, so rechnen die Betreiber des Bunkermuseums vor, also über 60 im Gebiet um Krumpa.
Eine davon war 1997 entdeckt worden. Es war einer der größten Munitionsfunde der jüngeren Vergangenheit im Geiseltal. Funde kleinerer Bomben kommen dort, wie auch im Gebiet um Merseburg und Leuna jedoch immer wieder vor. Aufgrund ihrer wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung waren die Chemiestandorte der Region vor allem in den Jahren 1944 und 1945 immer wieder Ziele der US-amerikanischen und britischen Luftangriffe.
Für manche Anwohner ist Evakuierung schon Routine
Deshalb gelten diese Areale des Saalekreises als Kampfmittelverdachtsgebiet. Aus diesem Grund gab es am Donnerstag auch die routinemäßige Suche nahe Neumark, bei der die Luftmine entdeckt wurde. Zuvor war es in Braunsbedra vor allem im Zuge der Arbeiten für den Hafen am Geiseltalsee wiederholt zu Bombenfunden gekommen. So mussten die 600 Anwohner von Neumark zwischen Herbst 2014 und Sommer 2015 gleich drei Mal für Bombenentschärfungen ihre Häuser verlassen.
Eine Anwohnerin, die seit zehn Jahren in der Nähe des jetzigen Fundortes der Luftmine wohnt, sagte daher am Donnerstag: In gewisser Weise sei die anstehende Evakuierung schon Routine: „Ich habe meine Ordner, ich weiß, was ich einstecken muss. Es ist geklärt, wer aus der Familie wohin geht.“ Und doch mache sie sich Sorgen, weil die Bombe diesmal näher an ihrem Haus liegt als bei früheren Funden. Und weil ihre Katzen Freigänger seien, die sie nicht mitnehmen könne.