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Auslandsprojekt in Rumänien Auslandsprojekt in Rumänien: Wurden hier Jugendliche aus dem Saalekreis misshandelt?

Von Michael Bertram 05.10.2019, 06:00
Der Träger des rumänischen Auslandsprojekts wirbt mit idyllischen Bildern. Wurden dort Jugendliche misshandelt?
Der Träger des rumänischen Auslandsprojekts wirbt mit idyllischen Bildern. Wurden dort Jugendliche misshandelt? Kinder- und Jugendhilfe Wildfang GmbH/dpa

Merseburg - „Das Geheimnis unserer Arbeit ist ein stets respektvoller und immer klarer Umgang mit den Jugendlichen“, wirbt der niedersächsische Jugendhilfeträger Wildfang auf seiner Internetseite für das Projekt „Maramures“ in Rumänien.

Zu sehen sind idyllische Bilder von Holzhäusern und aus einem Tal aufsteigenden Nebel. Das Projekt, an das auch zwei Jugendliche aus dem Saalekreis vermittelt wurden, steht seit kurzem jedoch im Verruf. Schwere Vorwürfe wurden laut: In dem Projekt sollen Jugendliche misshandelt worden sein.

„In Bedingungen wahrhafter Sklaverei“

Die auf organisiertes Verbrechen spezialisierte Staatsanwaltschaft in der rumänischen Hauptstadt Bukarest teilte nach einer Razzia mit, die Zwölf- bis 18-Jährigen sollen in dem Heim nahe der ukrainischen Grenze „in Bedingungen wahrhafter Sklaverei“ ausgebeutet worden sein. Der Projektleiter, der Dessauer Bert S., sowie mehrere Mitarbeiter wurden verhaftet, die Fahnder beschlagnahmten Akten, Computer sowie rund 146000 Euro. Ermittelt wird wegen Menschenhandels, Handels mit Minderjährigen und Freiheitsberaubung im Zeitraum von 2014 bis August 2019.

Ein geflohener Jugendlicher hatte Berichten zufolge die Behörden alarmiert. Er wurde mit drei weiteren Teenagern aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen vom rumänischen Kinderschutzamt in Obhut genommen. Die Staatsanwaltschaft spricht von Schlägen, Nahrungsentzug und einer Art Isolationshaft.

Warum wurden die beiden Jugendlichen überhaupt nach Rumänien geschickt?

„Nach Bekanntwerden der Vorwürfe vor einigen Wochen wurde zu beiden Jugendlichen Kontakt aufgenommen“, erklärt Antje Springer, Leiterin des Kreisjugendamtes, das die beiden Jugendlichen im Alter zwischen zwölf und sechszehn Jahren an „Maramures“ vermittelt hatte. „Beiden geht es gut. Beide sind auch über die im Raum stehenden Vorwürfe informiert, konnten diese jedoch nicht bestätigen“, betont Springer.

Doch warum wurden die beiden Jugendlichen überhaupt nach Rumänien geschickt? Mädchen und Jungen werden von den Jugendämtern in Auslandsprojekte vermittelt, wenn Hilfen in Deutschland gescheitert sind. Es können Schulverweigerer sein, Kinder mit Suchtproblemen oder einer kriminellen Karriere. Voraussetzung ist die Einwilligung der Sorgeberechtigten. Welche Gründe bei den Jugendlichen aus dem Saalekreis vorlagen, dazu äußerte sich das Jugendamt auf MZ-Anfrage mit Verweis auf den Datenschutz nicht.

„Die räumliche Distanz zum ursprünglichen Alltag unterstützt das Verlassen der gewohnten Strukturen“

„Die räumliche Distanz zum ursprünglichen Alltag unterstützt das Verlassen der gewohnten Strukturen“, erklärt Antje Springer. Das Erlernen einer neuen Sprache und das Kennenlernen einer neuen Kultur sei Herausforderung und Chance zugleich. „Die Jugendlichen erhalten damit die Möglichkeit, sich in einem grundsätzlich neuen Rahmen zu reflektieren und neu auszurichten“, meint sie.

Die Amtsleiterin betont, dass die Unterbringungen im Ausland absolute Ausnahmen seien. So gebe es aktuell auch keine weiteren Beispiele. Angaben zur Höhe der Kosten machte das Jugendamt nicht. Die Entscheidung darüber, auf welche Hilfen beziehungsweise Projektträger zurückgegriffen werde, entscheiden demnach Beraterkonferenzen und Hilfeplangespräche. Wichtig sei, dass nur an anerkannte Träger der Jugendhilfe herangetreten werde, wie es hieß.

Besuch in Rumänien geplant

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Landesjugendämter bemängelt derweil, dass immer noch deutschlandweite Standards für die Auslandsunterbringungen fehlen und die Aufsicht allein bei dem für den jeweiligen Teenager zuständigen Jugendamt liegt. Und Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) plädiert angesichts der Ermittlungen in Rumänien für schärfere Kontrollen der Auslandsprojekte: „Die Jugendämter hier in Deutschland müssen sich vor Ort versichern, dass die Träger im Ausland das Wohl der Jugendlichen gewährleisten.“

Das will das Kreisjugendamt mit einer Delegation in diesem Monat tun. „Schon vor Bekanntwerden der Vorwürfe hatte das Jugendamt einen Besuch in Rumänien geplant“, erklärt der Landkreis. Darüber hinaus stehe das Jugendamt regelmäßig telefonisch oder via Bildtelefonie mit den Jugendlichen in Kontakt. (mz)