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Phantasie-Staaten in Deutschland Reichsbürger wie Peter Fitzek, Adrian Ursache, Peter Frühwald: Wie leben sie?

Von Steffen Könau 20.10.2016, 18:28
Peter Fitzek aus Halle ist Chef und Gründer des „Königreichs Deutschland“, das aus seiner Sicht seit vier Jahren ein souveräner Staat ist. Das Königreich residiert in Wittenberg, der König sitzt  wegen Fluchtgefahr im Gefängnis.
Peter Fitzek aus Halle ist Chef und Gründer des „Königreichs Deutschland“, das aus seiner Sicht seit vier Jahren ein souveräner Staat ist. Das Königreich residiert in Wittenberg, der König sitzt  wegen Fluchtgefahr im Gefängnis. dpa

Halle (Saale) - Der Mann hat strahlend blaue Augen, die unter einem dünnen Pony hervorblitzen. „Ich wäre sehr vorsichtig“, sagt der kleingewachsene Herr, der eine grüne Bluse mit Stickereien trägt, „da tritt nämlich Rom zwei in Kraft, Kapitel zwei, unerlaubte Handlungen“.

Der Mann klingt sicher und die Sonne scheint strahlend in den Garten des Reiches Ur am Ortsrand von Reuden in der Elsteraue. Es ist, als ziehe eine dunkle Wolke vorüber. „Auf Jahrzehnte“, verspricht der Blusenmann, gebe es kein Entkommen vor ihm. „Wir können Euch immer kriegen, da verjährt nichts“.

Mythenjäger, Reichstheoretiker und selbsternannten Völkerrechtsexperten

Ringsum nicken andere Männer bedächtig. Rom II. Kapitel II. So sieht es aus. Wenn die Wahrheit eines Tages siegt, wird abgerechnet. Der kleine Mann sprüht Speichel beim Sprechen, während er über „kollisionsrechtliche Verordnungen“ der EU referiert, mit denen er allen, die über ihn schreiben, das Handwerk legen wird. „Bleibt ruhig“, sagt einer anderer, „wir reden ganz vernünftig, da musst du niemanden bedrohen“.

Wobei die Bezeichnung vernünftig im Gespräch mit den Mythenjägern, Reichstheoretikern und selbsternannten Völkerrechtsexperten im später von der Polizei gestürmten Reich Ur keine naheliegende Kategorie ist.

Rom II etwa, von dem Blauauge glaubt, es sei eine Art übergeordnetes Strafrecht für Auskenner, existiert tatsächlich. Es betrifft aber nur Zivil- und Handelssachen, die das Recht verschiedener Staaten berühren.

Der Kern ist korrekt, nur ist er falsch verstanden worden. Doch so ist das immer in der von Paradoxen prallen Parallelwelt der Menschen, die mangels anderer Begriffe von außen meist als „Reichsbürger“ bezeichnet werden.

Eine Bezeichnung, gegen die sich die meisten wehren, schon allein, weil kaum einer im Detail dieselben Überzeugungen teilt wie sein Nebenmann. Mancher hier glaubt an die Fortexistenz des Deutschen Reiches, andere nur an die Nicht-Existenz der Bundesrepublik.

Manche sehen in der ihrer Ansicht nach fortdauernden Besatzung durch die USA die größte Hürde auf dem Weg zurück zur Souveränität. Andere hingegen warten immer noch auf einen Friedensvertrag, ohne den, da sind sie sicher, der zweite Weltkrieg noch weitere 70 Jahre andauern wird.

Reichsbürger halten Deutschland für einen "Sklavenstaat"

Gemeinsam ist ihnen allerdings allen, dass sie mitten unter anderen leben, aber in einer anderen Wirklichkeit. Hier wird die Welt nicht vom Kampf verschiedener Kräfte bestimmt, sondern vom Diktat allmächtiger Zirkel. Die halten sich Deutschland ihrer Überzeugung nach als Sklavenstaat, eine „GmbH nach Handelsrecht“ beschreibt einer, deren Personal die Bürger stellen, ohne es zu wissen.

Leute wie der kleine Mann mit den blauen Augen oder sein Nebenmann, der Holger heißt und eine Brille um den Hals baumeln hat, können das genau erklären. „Man sieht es schon am Personalausweis“, argumentieren sie. Der müsse ja „Personenausweis“ heißen, oder Identitätskarte, wie ein junger Mann aus Sachsen vorschlägt. Aber kann ja nicht. „Weil mit Personalausweis gemeint ist, dass wir alle Personal dieser GmbH sind“.

Reichsbürger haben den Glauben an die Realität verloren

Es gibt keine Möglichkeit, Menschen, die den Glauben an die Realität so vollkommen verloren haben, mit Fakten zu überzeugen.

Dass deutsche Ausweise schon im alten Preußen, als ihrer Ansicht nach noch alles gut war in der Welt, „Personalausweis“ hießen, irritiert sie keine Sekunde. Man könne ja auch in seinen Pass schauen, empfiehlt Holger: „Bei Staatsangehörigkeit steht da nicht Deutschland, sondern deutsch“.

Warum wohl? Nicht, weil die Staatsangehörigkeit nun mal „deutsche Staatsangehörigkeit“ heißt und nicht „Deutschland-Staatsangehörigkeit“. Sondern, klar, weil es einen deutschen Staat gar nicht gibt!

Die Runde aus meist mittelalten Männern in Freizeitlook, die jetzt einhellig mit den Köpfen nickt, hat viel gelesen, vor allem die Broschüren von Klaus Maurer, einem Ex-Banker, der sich heute „natürliche Person gemäß §1 des staatlichen BGB“ nennt und all die von den mächtigsten Mächten der Welt so gut gehüteten Geheimnisse über die vorm Volk versteckte „BRD-GmbH“ gnadenlos und mutig öffentlich macht. Man weiß Bescheid. Man weiß, was los ist. Man sieht dunkle Zeiten kommen.

Diese geheimen Zeichen sehen Reichsbürger

Die Szene hat ihre eigenen Videokanäle wie Bewusst-TV und Alpenparlament, ihre Foren, in denen Gleichgesinnte diskutieren, und sie hat Vordenker wie Peter Frühwald, der als viriler Handlungsreisender in Sachen Staatsbankrott unterwegs ist, um die Lehre von der Nicht-Existenz der Bundesrepublik zu predigen.

Die rote Farbe des Passes signalisiert Sklaventum

Wer geduldig zuhört, weiß irgendwann Bescheid über Dinge, von denen die meisten Menschen nicht einmal etwas ahnen. Zumindest glaubt er das.Geheime Zeichen wie der in Großbuchstaben gedruckte Namen im Pass kann er dann ebenso leicht entschlüsseln wie die Farbe des Einbandes.

„Seit dem alten Rom bedeuten Großbuchstaben, dass Du ein Sklave bist“, weiß Michel, der für das „Amt für Menschenrechte“ schon viele Willkür-Prozesse der verabscheuten BRD-Justiz beobachtet hat.

Obwohl es im alten Rom überhaupt nur Großbuchstaben gab, ist Michel sicher: Sie machen den Menschen zum „Treuhandvermögen“, die rote Farbe des Passes signalisiert Sklaventum. Dazu „deutsch“ statt „Deutschland“. Wer zweifelt da noch? Selbst wenn Australien und Südafrika die Staatsangehörigkeit ihrer Bürger im Pass auch als „australisch“ und „südafrikanisch“ beschreiben?

Niemand. Es muss stimmen, weil sonst gar nichts mehr stimmen würde. Bei Hobby-Völkerrechtlern wie Peter Frühwald, dem Wittenberger „König“ Peter Fitzek oder dem jetzt bei einer Schießerei in seinem „Reich Ur“ schwerverletzten Adrian Ursache finden von der Realität Enttäuschte und mit den Zuständen prinzipiell unzufriedene Menschen Bestätigung.

Eine obskure Welterklärung ist besser als keine. Ein tomatenbeetgroßer Zwergstaat, den sich sein Besitzer ausgedacht hat, ist wirklicher als das Land, in dem man lebt.

Immer aber steht am Ende felsenfest, dass die Lobby, die Banken, die Politik und die Presse zusammen lügen, dass es nur so kracht. Und alles nur, weil niemals herauskommen darf, was alle hier schon lange ganz genau wissen.

Warum dürfen die das?

Einige Dutzend „Mikronationen“ gibt es derzeit in Europa, vom „Königreich Deutschland“ bis hin zur Republik Liberland zwischen Serbien und Kroatien. Einen Staat zu gründen, ist nicht verboten, allerdings mangelt es den Neugründungen stets daran, die Staatsgewalt über ihr Gebiet auch wirklich auszuüben, weil der Staat, auf dessen Gebiet er seinen ausgerufen hat, immer der Ansicht ist, dass er völkerrechtlich weiter das Sagen hat.

Auch auf internationale Anerkennung dürfen Staatsgründer nicht hoffen - kein existierender Staat hat Interesse daran, durch die Anerkennung von Neu-Staaten Bürger zu ermutigen, sich auch für unabhängig zu erklären. Erst wenn selbsternannte Staatsgründer nach außen die existierende Staatsgewalt infrage stellen, wird das Verhalten strafbar.  (mz)