Radsport in Kleinmühlingen Radsport in Kleinmühlingen: Fanfare und Stricktrikot im Friedensfahrt-Museum
Kleinmühlingen/dpa - Das gelbe Trikot von Gustav-Adolf „Täve“ Schur ist eher ein Feinstrickpulli. Die Trophäe vom Sieg des heute 83-Jährigen bei der Internationalen Friedensfahrt 1955 liegt ausgeblichen in der Vitrine. Und sie ist in guter Gesellschaft: Zusammen mit anderen Trikots, Bildern, Pokalen und Rennrädern ist sie eines der Herzstücke einer europaweit einmaligen Sammlung. Im Radsportmuseum „Course de la Paix“ in Kleinmühlingen bei Magdeburg bleiben die Erinnerungen an die Friedensfahrt lebendig. Hier schlägt das Herz weiß-blau, denn die weiße Taube auf blauem Grund ist als Symbol des Traditionsrennens allgegenwärtig. 2007 öffnete das Museum, seitdem kommen jährlich rund 2500 Besucher aus aller Welt.
Horst Schäfer war nie ein guter Radrennsportler. „Immer der Letzte“, winkt der 60-Jährige lächelnd ab. Doch er weiß alles über die Friedensfahrt, ist bis heute schwer begeistert. Die Geschichte des Museums ist auch seine. Er ist der Initiator und Leiter, ein Mann, der noch immer für die im Jahr 2006 letztmalig ausgetragene Friedensfahrt brennt. „Das Haus ist nicht nur für die Sieger gemacht“, sagt Schäfer, der nebenan wohnt. „Es ist auch denen gewidmet, die im Hintergrund gewirkt haben, zum Beispiel als Betreuer.“ Etwa 10.000 Exponate gibt es zu bestaunen - von der Briefmarke bis zum Rennrad. Fast alles ist geschenkt.
Zeitfahrmaschine als Leihgabe
Wer das kleine Museum in dem 600-Seelen-Ort betritt, dem wird die Friedensfahrt-Fanfare gespielt. Laut und eindringlich kommt sie aus dem Lautsprecher neben der Tür. Sie läutete im DDR-Radio die Beiträge zu dem Amateurradrennen ein. „Männern im reifen Alter kullern da schon mal die Tränen“, meint Schäfer und schmunzelt. Im Gästebuch des Hauses stehen große Namen: Jens Voigt, der 1994 die Friedensfahrt gewann und Uwe Ampler, der das Etappenrennen von 1987 bis 1989 als einziger dreimal in Serie für sich entscheiden konnte. Und natürlich der libanesische Radrennfahrer Tarek Aboul Zahab, den Schäfer seit seiner Kindheit verehrt.
Die Internationale Friedensfahrt ist ein Etappenrennen für Radsportamateure, das es von 1948 bis 2006 immer im Mai gab. Bis zum politischen Umbruch 1989 führte sie fast immer durch die ehemalige DDR, Polen und das heutige Tschechien.
Teilweise gab es Abstecher in andere Länder, beispielsweise in die damalige Sowjetunion. Berlin, Prag und Warschau waren, bis auf wenige Ausnahmen, abwechselnd Start-, Etappen oder Zielort. 2006 gab es das bisher letzte Rennen - es führte durch Österreich, Tschechien und Deutschland. Der Gesamtsieg ging an den Italiener Giampaolo Cheula.
Symbol der Friedensfahrt ist eine weiße Taube auf blauem Grund. Sie steht für den Gedanken des Radrennens, einen entscheidenden Beitrag zur Völkerverständigung und Frieden unter den Menschen zu leisten. Weil sie zu Spitzenzeiten ebenso populär wie die Tour de France war, wird die Friedensfahrt auch „Tour de France des Ostens“ genannt.
Mit fünf Gesamtsiegen ist Steffen Wesemann der erfolgreichste Teilnehmer, gefolgt von Uwe Ampler und dem Polen Ryszard Szurkowski, die je viermal gewinnen konnten.
Träger des Museums mit rund 230 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist der eingetragene Verein „Radfreizeit, Radsportgeschichte und Friedensfahrt“. Bundesweit gehören ihm etwa 80 Mitglieder an, unter ihnen der erfolgreichste deutsche Radrennsportler der 80er und 90er Jahre, Olaf Ludwig. Als Amateur gewann der heute 54-Jährige zweimal die Friedensfahrt. Im Sattel einer sogenannten „Zeitfahrmaschine“ ging bis 1884 jede Kurzetappe auf sein Konto. Nun steht so eine Spezialanfertigung als Leihgabe aus Gera in Kleinmühlingen. Die Eltern des früh gestorbenen Radrennfahrers Jörg Köhler haben sie zur Verfügung gestellt.
Friedensfahrt-Brüder im Geiste
Schäfers Sportfreund Klaus Krüger hat selbst viele Jahre erfolgreich in die Pedale getreten. „Auf so einem Rad würde Olaf Ludwig heute noch ganz vorn mitfahren“ sagt der 69-Jährige und zeigt auf das petrolfarbene Leichtgewicht. Die beiden Herren sind nicht nur Friedensfahrt-Brüder im Geiste, sondern bis heute gemeinsam mit dem Rad unterwegs. Natürlich nicht, ohne auf ihren Deutschlandtouren Werbung für das Museum zu machen. Krüger ist der Experte für das Fahrrad an sich. Eines seiner Lieblinge in der Ausstellung: ein Diamant-Rad aus dem Jahr 1937. „Damit ist Edgar Schatz aus Halle 1950 erstmals DDR-Meister geworden.“
Das die Friedensfahrt noch nicht gänzlich in den Annalen des Radrennsports verschwunden ist, daran glauben Schäfer und Krüger. „Es gibt sie irgendwann wieder“, sagen sie. Bis dahin wollen sie gemeinsam mit ihren Mitstreitern die Erinnerungen an die „Tour de France des Ostens“ in ihrem Museum lebendig halten.