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Prozess um Facebook-Account "Ordnungsamt Magdeburg" Prozess um Facebook-Account "Ordnungsamt Magdeburg": Lehmann: "Es gibt kein Original, welches ich hätte fälschen können"

Von Stefan Thomé 15.07.2014, 11:03
Tim Lehmann (links) und sein Verteidiger Rechtsanwalt Sebastian Dramburg am 9. Juli beim Einzug der Richterin im Landgericht in Magdeburg. Das Gericht verhandelt gegen den 29 Jahre alten Schönebecker im Streit um gefälschte Profile in sozialen Netzwerken.
Tim Lehmann (links) und sein Verteidiger Rechtsanwalt Sebastian Dramburg am 9. Juli beim Einzug der Richterin im Landgericht in Magdeburg. Das Gericht verhandelt gegen den 29 Jahre alten Schönebecker im Streit um gefälschte Profile in sozialen Netzwerken. dpa Lizenz

Magdeburg/MZ - Tim Lehmann steht vor Gericht. In einem Eilverfahren klagt die Stadt Magdeburg gegen den in Schönebeck aufgewachsenen 29-jährigen Mediengestalter aus Berlin, weil er auf der von ihm eingerichteten und betriebenen Facebook-Seite sowie einem Twitter-Accont als "Ordnungsamt Magdeburg" die Namensrechte und die Rechte am Wappen der Stadt verletzt haben soll. Am Mittwoch, 16. Juli, wird das Urteil verkündet. In einem ausführlichen Interview erläutert Lehmann seine Beweggründe für das Betreiben der Satireseite. Er schildert, wie er vergangene Woche seinen Geburtstag im Gerichtssaal empfand, welche Kosten auf ihn zukommen, wie er diese bezahlen will und wie es mit "Ordnungsamt Machteburg" weitergehen wird.

Herr Lehmann: Klassenclown oder Rächer der Enterbten? Was trifft auf Sie zu?

Lehmann: Weder das eine noch das andere. Ich habe ein ernstes Anliegen, das ich im Gewand der Satire präsentiere.

Ein Tag mit einem Romanhelden, wer wäre das?

Lehmann (nach kurzem überlegen): Pippi Langstrumpf und Michel aus Lönneberga.

Weil?

Lehmann: Die sind frei. Das sind Kinder, die noch machen dürfen, was sie wollen. Das finde ich schön.

Sehen Sie sich selbst noch als Kind?

Lehmann: Ganz klar ja. Ich bin immer noch Kind und möchte mir das auch bis ins hohe Alter beibehalten.

Aber Sie sind seit ein paar Tagen 29 Jahre alt. Alles Gute noch nachträglich zum Geburtstag. Den haben Sie am vergangenen Mittwochmorgen in einem Gerichtssaal am Landgericht Magdeburg verbracht. Da gibt es doch sicherlich schönere Orte, oder?

Lehmann: Stimmt schon. Aber ich mache mir ohnehin nicht viel aus meinem Geburtstag. Es war eigentlich ganz interessant im Gericht.

Auf Seite 2: Warum Lehmann seine Seite nicht als Fälschung sieht.

Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie unter dem Namen „Ordnungsamt Magdeburg“ bei Facebook sowie bei Twitter einen gefälschten Account, also gefälschte Seite betreiben. Die Stadt klagte auf Unterlassung wegen des Missbrauchs der Namens- und Wappenrechte.

Lehmann: Erst einmal: Der Begriff gefälschter Account ist nicht ganz korrekt. Es gibt kein Original, welches ich hätte fälschen können. Ich habe mich auch zu keiner Zeit versteckt. Es war immer klar erkenntlich, dass ich dahinter stecke. Und ich habe niemanden betrogen oder bewusst bösartig hinters Licht geführt!

Sondern?

Lehmann: Es handelt sich um eine Satireseite! Und alles, was die Stadt Magdeburg mir ankreidet oder was ich zu unterlassen habe, ist doch längst geändert. Die betreffenden Seiten wurden entsprechend modifiziert. Der Prozess wäre gar nicht nötig gewesen und wird mich vermutlich nur einiges kosten. Aber ich lasse mich davon nicht beirren.

Was bezwecken Sie denn mit den Seiten und Ihren dort verbreiteten Nachrichten?

Lehmann: Ich möchte der Stadt etwas auf die Füße treten, auf Obrigkeitsverhalten eines großen Teils der städtischen Mitarbeiter aufmerksam machen. Dabei betone ich, dass es auch echt nette und verständnisvolle Mitarbeiter in den Magdeburger Behörden gibt.

Was monieren Sie genau?

Lehmann: Seit rund zehn Jahren bin ich in der Magdeburger Musikszene unterwegs und kenne die großen Probleme der Veranstalter. An Pfingsten fand in der Magdeburger „Aerosol-Arena“ das kleine Festival „Tanzgebiet im Randgebiet“ statt. Das Ordnungsamt konnte wieder einmal nicht über seinen Schatten springen und die Sperrstunde zwischen fünf und sechs Uhr aufheben. Dabei liegt der Veranstaltungsort im nördlichen Industriegebiet, da werden nicht einmal Füchse oder Wildschweine gestört. Dieses Vorgehen wurde unter anderem über den offiziellen Facebook-Account eines dort auftretenden, überregional bekannten DJ-Teams publik gemacht. Ganz „tolle“ Werbung für unsere Stadt… Das war der Anlass, um die Facebook-Seite ins Leben zu rufen.

Was wünschen Sie sich von Magdeburg?

Lehmann: Mehr Offenheit für die jugendliche Subkultur und echte Bürgernähe. Ein Beispiel:  In Biederitz, einem Nest bei Magdeburg mit knapp 8.000 Einwohnern, ist das möglich. Da gibt es demnächst ein Club-Musik-Open-Air, das über 36 Stunden geht. Der Veranstalter hat mir erzählt, dass es dort im Vorfeld keinerlei Probleme gab, weil man dort aufeinander zugeht und die Einwohner einbezieht.

Aber in Gemeinden oder Dörfern wird nur vereinzelt derart gefeiert. In einer Großstadt wie Magdeburg müssen die Einwohner dann ja permanent mit einer solchen Partykultur und dem Krach leben.

Lehmann: Halle ist auch eine große Stadt, und da funktioniert das wesentlich besser. Von Berlin oder anderen Metropolen mal ganz abgesehen. Ich will gern wissen, warum tun sich Magdeburgs Behörden damit so schwer? Und die „Aerosol-Arena“ am Industriehafen, das ist nun wirklich kein Wohngebiet …

Ob Lehmann bewusst war, dass er den Ärger der Stadt auf sich zieht, steht auf der nächsten Seite.

Woran liegt es denn, dass es nicht rund läuft?

Lehmann: Der Punkt ist: Die Organisatoren haben es mit den Mitarbeitern in Magdeburg einfach nicht leicht, wobei es auch positive Ausnahmen gibt. Es gibt aber eben Leute, wenn man weiß, dass die den Antrag bearbeiten, dann hat man gleich schlechte Karten. Deswegen trauen sich die Veranstalter auch kaum noch etwas, weil es schon mal vorkommen kann, dass aufgrund eines „Formfehlers“ in einem Antrag ein von langer Hand geplantes Event eine Stunde vor Beginn von den Behörden gestoppt wird. Für kleine Gewerbetreibende kann so etwas schon mal zum finanziellen Ruin führen. Gebuchte Bands, die Technik, all so was kostet. Und im schlechtesten Fall muss das ohne Einnahmen bezahlt werden. Anlegen mit der Verwaltung will sich aber keiner. Alle ducken sich unter der Obrigkeit weg. Jetzt mache ich das eben.

Also doch eine Art Robin Hood?

Lehmann: Na ja, ich setze mich schon für die Veranstalter und die Musikszene ein. Die werden sonst nicht gemeinsam aufstehen. Ich versuche gerade, alle Organisatoren an einen Tisch zu bekommen, was schwierig ist, weil man sich über die Jahre teilweise sehr verstritten hat. An diesem vergifteten Klima hat die Stadt wiederum einen großen Anteil. Aber auch hier werde ich nicht so schnell aufgeben.

Zu Pfingsten für das gesamte Stadtgebiet freies Parken zu verkünden, die Sperrstunde für diese Feiertage auszusetzen, einen Euro für eingesammelten und bei der Stadt abgelieferten Hundekot auszuloben oder Stellenausschreibungen beim Ordnungsamt zu veröffentlichen – das alles unter dem Namen „Ordnungsamt Magdeburg“: Geht das nicht doch etwas zu weit?

Lehmann: Warum? Nein. Meine Seite war von Anfang an klar als Satireseite gekennzeichnet. Ich habe der Stadt beziehungsweise den Bürgern ja sogar noch nachträglich angeboten, die Kosten für diejenigen zu übernehmen, die darauf reingefallen sind. Dass der 100. Fan der Seite eine goldene Parkscheibe zur kostenfreien Benutzung aller Parkplätze im Magdeburger Stadtgebiet für ein Jahr erhält, der 333. Fan eine Flasche „Absinth 33“ geschenkt bekommt – das Foto davon war übrigens ein echtes Plagiat, welches die Produzenten aus Magdeburg selbst gelikt haben, anstatt mich deswegen zu verklagen – oder dass der 500. Fan sich über ein Gratis-Exemplar aus der eigenen Unterwäsche-Kollektion freuen darf: Wer glaubt das denn bitteschön? Selbst die Richterin musste darüber ja lachen.

Dennoch droht Ihnen die Niederlage.

Lehmann: Es ging bei der Verhandlung leider nicht um die Inhalte. Ich habe damit keinerlei Schaden angerichtet, außer Leute zum Lachen und eventuell zum Nachdenken gebracht. Der Stadt geht es nur um ihre Rechte. Doch ich würde gern mal wissen, wem gehören Stadtname und Wappen? Den Bürgern, oder?

War Ihnen nicht klar, dass Sie dennoch Ärger auf sich ziehen?

Lehmann: Doch, das war mir schon klar. Ich kenne die Stadt, insbesondere das Ordnungsamt, aus den bereits geschilderten Erfahrungen, und wusste, wie die reagieren werden.

Wie Lehmann die Prozesskosten tragen will, lesen Sie auf Seite 4.

Haben Sie eine Rechtsschutzversicherung?

Lehmann: Ja.

Dann können Sie doch recht entspannt sein.

Lehmann: Na ja, ich befürchte, dass die Versicherung in diesem Fall nicht einspringen wird und ich die Kosten bei einer Niederlage selbst tragen muss.

Wie hoch fallen diese dann aus?

Lehmann: Es stehen zirka 6.400 Euro an Gerichts- und Anwaltskosten im Raum.

Ein teurer Spaß. Warum das ganze Theater? Sie leben ja nicht mal mehr in Magdeburg, sondern in Berlin.

Lehmann: Ja, ich lebe und arbeite zwar in Berlin, doch ich hänge immer noch an Magdeburg. Ich bin nicht wie viele andere einfach abgehauen und habe alles abgehakt. Magdeburg ist eine tolle Stadt mit ehrlichen Menschen, die jedoch das Problem hat, dass so mancher Mitarbeiter im Ordnungsamt nach Gutsherrenart schaltet und waltet.

Seite 5: Was Lehmann zur verzögerten Urteilsverkündung sagt und was er vom Gericht denkt.

Sie haben zu Beginn des Prozesses gefragt, ob Sie live twittern dürfen. Wie hat die Richterin reagiert?

Lehmann: Nachdem die Richterin einem Zuschauer kurz nach Beginn der Verhandlung das Fotografieren untersagte, habe ich die Gelegenheit genutzt und wollte von ihr wissen, ob bei ihr Twitter erlaubt ist. Ich habe mich da vorher im Internet kundig gemacht und Gerichtsentscheidungen gefunden, aus denen hervorgeht, dass twittern aus dem Gerichtssaal grundsätzlich zulässig ist. Die Richterin sagte dann auch, dass es okay ist, dass ich aber zuhören sollte.

Warum wurden es nur drei Tweets?

Lehmann: Ich war dann doch eher damit beschäftigt, der Verhandlung aufmerksam zu folgen und gewisse Dinge im Verlauf mit Einwänden richtig zu stellen. Und dann hatte ich auch keine Lust, Protokoll über meinen eigenen „Prozess“ zu führen. Es waren schließlich etliche Journalisten anwesend.

Das Urteil wird nun am Mittwoch, also eine Woche nach der Eilverhandlung, verkündet.

Lehmann: Das ist in meinen Augen skandalös. Warum eine Woche Bedenkzeit? Warum wird das Urteil nicht gleich verkündet, wenn es doch schon klar ist? Dennoch sehe ich es wiederum positiv.

Inwiefern?

Lehmann: Dass das Urteil eine Woche später gesprochen wird, spielt mir in die Karten. So hatte ich zum Beispiel eine Woche Zeit, um Spenden zu sammeln. Die Medien können mich noch etwas begleiten und die Unterstützung wächst merklich. Zum Prozess sind die Likes auf meiner Seite Ordnungsamt Machteburg zuletzt von 1.750 auf mehr als 2.000 gestiegen.

Wie Sie erwähnten, ließ Gerichtssprecher Christian Löffler nach der Verhandlung wissen, dass das Gericht zugunsten der Stadt entscheiden wird. Wie finden Sie das?

Lehmann: Ich habe ja in gewisser Weise Verständnis, dass das Urteil wohl gegen mich ausfällt. Die Richterin ist befangen, wohnt in Magdeburg, geht vermutlich alle drei Wochen mit den Leuten vom Ordnungsamt Kegeln. Sie muss doch zugunsten der Stadt Magdeburg entscheiden, da mache ich ihr gar keinen Vorwurf.

Sie finden, die Richterin ist befangen?

Lehmann: Ja. Ich habe im Vorfeld sogar einen Befangenheitsantrag gestellt. Aber das steht mir als Privatperson nicht zu. Das hätte ein Jurist machen müssen.

Warum dann nicht noch ein neuer Versuch mal mit ihrem jetzigen Anwalt?

Lehmann: Weil es ohnehin nichts gebracht hätte. Wenn, dann hätte das Verfahren außerhalb von Magdeburg stattfinden müssen. Warum nicht in Berlin, wo ich wohne? Es geht ja um eine Internetthematik, die könnte man überall verhandeln. Und nur außerhalb von Magdeburg wäre ein Gericht wirklich unabhängig.

Auf seinem Twitter-Account "OAmtMD" schickte Tim Lehmann Nachrichten aus dem Gerichtssaal in Magdeburg.
Auf seinem Twitter-Account "OAmtMD" schickte Tim Lehmann Nachrichten aus dem Gerichtssaal in Magdeburg.
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Zur Verhandlung am 9. Juli hatte Tim Lehmann bei Facebook ins Landgericht Magdeburg eingeladen.
Zur Verhandlung am 9. Juli hatte Tim Lehmann bei Facebook ins Landgericht Magdeburg eingeladen.
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Eintrag vom 4. Juli bei "Ordnungsamt Machteburg". Der Seitenbetreiber Tim Lehmann sieht sich "juristisch abgesichert".
Eintrag vom 4. Juli bei "Ordnungsamt Machteburg". Der Seitenbetreiber Tim Lehmann sieht sich "juristisch abgesichert".
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