Protest gegen Kernkraftwerk Stendal Protest gegen Kernkraftwerk Stendal: "Wir hatten einfach nur Angst"

Der Atomausstieg begann für Deutschland nicht erst 2011 nach der Nuklearkatastrophe in Japan, sondern bereits zur Jahrtausendwende unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Im Osten Deutschlands sogar noch eher - und zwar mit dem Ende der DDR. Damals wurden alle Kraftwerke abgeschaltet und die Baustellen aufgegeben, so auch die größte Baustelle der DDR bei Stendal. Dazu trugen die Proteste einer kleinen Gruppe bei, die sich lange vor 1989 gegen Kernkraft stellte.
Vom Bau des Kernkraftwerks Stendal wusste jeder in der DDR, von den Protesten dagegen niemand. Das ist bis heute so. Eine Audioslideshow erzählt nun die Geschichte des Protests gegen das gigantische Bauvorhaben.
Das KKW Stendal
Das Kernkraftwerk Stendal sollte das größte Kernkraftwerk der DDR werden und wurde im Norden des ehemaligen Bezirks Magdeburg gebaut. Seit 1974 entstanden zwei Blöcke (Block A und Block B) mit jeweils 1000 Megawatt Leistung. Geplant war die doppelte Leistung von vier mal 1000 Megawatt insgesamt. Mehr als 5000 Arbeiter waren auf der Baustelle beschäftigt.
In den ersten Planungen war davon ausgegangen worden, dass das KKW ab 1981 Strom erzeugen würde. Stendal wäre das dritte Kernkraftwerk der DDR gewesen, neben dem KKW Lubmin bei Greifswald und dem KKW Rheinsberg nördlich von Berlin. Doch letztlich ging es nie ans Netz.
Die Protestgruppe "Energiewende Stendal"
Das ist auch ein Verdienst des 1983 entstandenen Friedenskreises Stendal. Wenige Idealisten protestierten damals mit Friedensgebeten gegen das Wettrüsten von Atomraketen in DDR und BRD. Aufgerüttelt durch die Katastrophe von Tschernobyl 1986 verlagerte die Gruppe ihren Schwerpunkt und verlangte unter dem Namen „Energiewende Stendal“ den Stopp des KKW-Baus. Mit Plakaten, Flugblättern und anderen friedlichen Aktionen machten sie die Bevölkerung und die Bauarbeiter am KKW auf die Gefahren von Atomkraft aufmerksam. Als Konsequenz wurden sie mehrmals pro Woche von der Stasi verhört, setzten ihren Protest aber fort.
In der Audioslideshow erzählen zwei Atomkraftgegner - ein Protestler von damals und ein Physiker, der die Stilllegung der Kernkraftwerke auf DDR-Boden verantwortete - wie sie vor der Wende versuchten, das KKW bei Stendal zu stoppen.
Malte Fröhlich war aktives Mitglied der Aktionsgruppe „Energiewende Stendal“. Ab 1983 war er, zusammen mit seiner Mutter, Teilnehmer und Mitinitiator von Protesten gegen den Bau des Kernkraftwerks nur 12km von Stendal entfernt. Während dieser Zeit wurde er im Durchschnitt fünf Mal pro Woche von der Stasi verhört. Nach der Schließung des KKWs protestierte er weiter und ist bis heute bei der Aktionsgruppe „OFFENe HEIDe“ tätig. Er spricht sich mit friedlichen Demonstrationen gegen das Militärgelände in der Colbitz-Letzlinger Heide aus. Malte Fröhlich ist freiberuflicher Spielzeughersteller und lebt mit seiner Familie in Miltern, einem Dorf nahe Stendal.
Sebastian Pflugbeil ist Präsident der Gesellschaft für Strahlenschutz. Der Medizinphysiker klärte schon zu DDR-Zeiten über die Gesundheitsgefahren auf, die von Kernkraft und Uranbergbau ausgehen. Dafür nutzte er auch die erweiterten Befugnisse, die er durch seine Arbeit am Zentralinstitut für Herz- und Kreislaufforschung an der Akademie der Wissenschaften der DDR hatte.
Der Bürgerrechtler wurde intensiv von der Staatssicherheit der DDR überwacht und unter dem Namen „Reaktor“ geführt. Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 arbeitete er, von der Kirche unterstützt, an einer Studie zu den Problemen der Kernenergiepolitik in der DDR. Kontakt zur Gruppe „Energiewende Stendal“ hatte er über Erika Drees, die der Motor der Bewegung war.
Der Mitbegründer des Neuen Forums war zur Zeit der Wende für wenige Monate Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Modrow. Damit hatte er Zugang zu streng geheimen Berichten über den Zustand der Kernkraftwerke in der DDR. Durch seine Aufarbeitung wurde das Ende der Kernkraft in der DDR möglich.