Polizeipräsident von Leipzig Polizeipräsident von Leipzig: Bernd Merbitz ist ein Katholik in Uniform

Leipzig - Lange sollte Bernd Merbitz nur an eines glauben: Die Partei. Neben der SED war kein Platz, so musste er als Polizist aus der Kirche austreten und sich das sogar notariell beglaubigen lassen. Das fiel dem jungen Merbitz nicht schwer, er war als Atheist aufgewachsen.
Es ist aber nicht das Ende der Geschichte. Merbitz wurde quasi vom Saulus zum Paulus - ein glühender Katholik. Und nicht nur das. Er holte auch den Katholikentag, der am 25. Mai beginnt, nach Leipzig. Diese Episode begann mit einer simplen Frage: „Soll ich meine Polizeiuniform anziehen?“
Vom Glauben erzählen
Bernd Merbitz ist nicht nur in der Kleiderfrage unsicher, als ihn der Bischof vor fast drei Jahren mit nach Bonn nimmt. Er hat nur eine leise Ahnung von dem, was ihn, den früheren SED-Mann und Atheisten, beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken erwartet. Nur so viel ist klar: Es soll für Leipzig geworben werden als Standort des Katholikentages 2016. „Und ich dachte, ich soll im kleinen Kreis etwas zu Sicherheitsfragen sagen.“ Doch es kommt anders.
„Erzählen Sie, wie sie zum Glauben gefunden haben“, fordert ihn der Bischof auf, als Merbitz in seiner Uniform plötzlich mehr als 230 Vertretern der katholischen Laienorganisation gegenüber steht. „Auf einmal habe ich das Mikrofon in der Hand und fühle mich wie gelähmt“, berichtet der 60-Jährige in der Rückschau. Aber Merbitz beginnt an diesem Tag in Bonn zu erzählen.
Wie er in der DDR als Atheist aufgewachsen ist. Wie er Leiter der Mord-Untersuchungskommission wird und ihm vor der Wende eine Beförderung verweigert wird, weil die Familie seiner damaligen Frau zu viel Westverwandtschaft hat. Und wie er sich später firmen lässt und Katholik wird. Als er fertig ist, hat er nur eine Sorge. „Die buhen mich bestimmt gleich alle aus.“ Doch es kommt erneut anders.
Applaus bricht die Stille
Auf einen Moment der Stille folgt tosender Applaus. „Da ist von mir eine Last abgefallen, ich habe mich wie befreit gefühlt und gemerkt: Die akzeptieren mich genau so wie ich bin.“ Doch nicht nur das: Nach dem Auftritt Merbitz’ stimmen die Mitglieder der Vollversammlung für Leipzig als Standort des Katholikentages 2016. Einstimmig wohlgemerkt!
Was damals noch Zukunftsmusik war, steht nun direkt vor der Tür. Ab Mitte nächster Woche werden in der Stadt 50 000 Teilnehmer zum Katholikentag erwartet. „Ich fiebere dem Start entgegen“, sagt Merbitz. Dabei ist er nicht nur für die Sicherheit der Großveranstaltung zuständig, er mischt sich auch ein, beteiligt sich an einer Podiumsdiskussion. Das genaue Thema stehe zwar noch nicht fest, doch die Leute können sicher sein, dass Merbitz zu den drängenden Fragen immer eine eindeutige Meinung hat - und diese auch klar artikuliert. Wie bei Legida. „Viele von denen, die da mitlaufen, verbreiten Hass. Das ist einfach nur noch menschenverachtend.“
Kein geradliniger Weg
Sein eigener Weg in die Kirche verlief dabei alles andere als geradlinig. Merbitz ist zwar evangelisch getauft, wird aber atheistisch erzogen. Als er später wegen seines Polizeidienstes aus der Kirche austreten muss, bleiben zahlreiche Fragen - insbesondere zum Tod. „Das war ein Tabu in der DDR, das Thema gab es nicht, darüber wurde nicht gesprochen.“
Bei Bernd Merbitz zieht sich der Tod aber wie ein roter Faden durchs Leben. Er erlebt Fälle von Republikflucht, die tödlich enden. Er erlebt den Fall eines Mädchens, das in einem Kinderheim erwürgt wird. Und er erlebt den Tod seines Vaters, der ihm noch heute Tränen in die Augen treibt.
Nach der Wende findet er langsam wieder Anknüpfungspunkte an den Glauben. Seine zweite Frau, die er 1998 heiratet, ist katholisch. Später nimmt er Firmunterricht, er sucht Antworten, redet über Monate ein Mal in der Woche mit dem Pfarrer, wird gefirmt und 2012 Katholik. „So habe ich letztlich auch meine Einstellung zum Tod gefunden, vor dem ich heute keine Angst habe.“
Dass Bernd Merbitz dieser Satz über die Lippen kommt, ist keineswegs selbstverständlich. Seit Jahren steht der 60-Jährige unter besonderem Schutz, lebt mit Bedrohungen, Anfeindungen und Beleidigungen. Grund dafür ist insbesondere sein entschlossenes Eintreten gegen Rechtsextremisten. „Die Rechten hassen mich“, erklärt der Mann, der sich schon vor Jahren als „Nazi-Jäger“ einen Namen gemacht hat, nüchtern und schnörkellos. Merbitz setzt dagegen auf Bunt statt auf Braun, auch beim Katholikentag. „Ich freue mich auf Gespräche mit Menschen aus anderen Ländern und auch unterschiedlichen Religionen. Wir brauchen diese Stimmung hier jetzt“, betont er mit Blick auf die Stimmungsmache gegen Flüchtlinge.
„Ich lebe glücklicher“
Doch wie lebt es sich heute als Katholik in Ostdeutschland, einer Gegend, in der die meisten Menschen keine Bindung zur Kirche haben oder ihr gar ablehnend gegenüberstehen? Merbitz schaut aus dem Fenster der Polizeidirektion, blickt direkt auf die neue katholische Kirche am Innenstadtring und sagt nach kurzer Pause: „Ich lebe glücklicher.“ Und was die Gesellschaft betrifft, so sieht er für die Kirchen in Ostdeutschland „noch ein sehr großes Potenzial“.
Und natürlich hofft der 60-Jährige da auch auf ein positives Signal und eine Art Aufbruchstimmung vom Katholikentag. „Die Menschlichkeit muss dabei immer im Mittelpunkt stehen, egal, ob es um einen Bettler auf der Parkbank, einen Flüchtling aus Syrien oder einen Kollegen in der Polizeidirektion geht.“
Etwas vorleben
Doch es geht Merbitz nicht nur um klare Worte und hehre Werte, es geht ihm vor allem darum, all das auch vorzuleben - auch im Beruf. Er fühlt sich für seine Kollegen verantwortlich, versucht sich, in ihre Probleme reinzuversetzen. So greift der Polizeipräsident zum Hörer, als einer seiner Revierleiter schwer erkrankt und sagt ihm am Ende des Gespräches: Heute Abend bete ich für Dich. „Da hat sich der Kollege bedankt, als Atheist“, erzählt der Polizeipräsident. Warum er das tut? „Ich will in solchen Momenten ein Zeichen setzen.“
Doch man soll sich nicht täuschen, der Katholik fasst seine Kollegen nicht nur mit Samthandschuhen an - ganz im Gegenteil. Merbitz macht keinen Hehl daraus, dass er seine Beamten bei schlechter Leistung auch einmal laut zusammenstaucht. Und sitzt man dem Mann mit seiner kräftigen Stimme gegenüber, möchte man das nicht unbedingt erleben.
Aber auch bei der täglichen Arbeit beherrscht Bernd Merbitz mehr als eine Rolle. „Wir dienen als Polizisten der Sicherheit der Menschen, und wir sollten unseren Beruf immer mit einer gewissen Demut ausüben“, sagt er zurückhaltend. Das heißt aber nicht, dass der 60-Jährige nicht auch hart durchgreift. „Ich habe nichts gegen friedliche Proteste, aber ich will die Gewalttäter haben, immer, egal von welcher Seite.“
Gottesdienst in Uniform
Glaube und Polizei, diese enge Verbindung lebt Merbitz nicht nur in seiner Direktion, sondern auch in der Kirche. Den Gottesdienst besucht er in Uniform. „Die Polizei hat sich gewandelt, und ich verkörpere die Polizei“, erklärt er seine Entscheidung. Zudem: Mit Uniform in der Kirche zu gehen, sollte doch heute eigentlich „nichts Besonderes mehr sein“.
Ganz erfüllt hat sich sein Wunsch jedoch noch nicht, wie er einräumt. „Einmal hat mich eine Ordensschwester in Uniform gesehen und gesagt: Sie wollen sicher den Pfarrer sprechen.“
Bernd Merbitz würde gerne einmal den Papst sprechen und auch ihm - wie damals in Bonn der Vollversammlung - seinen Weg zum Glauben schildern. Beim Katholikentag, dem 100., wird das wohl nichts, das Kirchenoberhaupt kommt nicht nach Leipzig.
Das sei zwar schade, aber kein Problem. „Und wenn Papst Franziskus doch kommt, kriegen wir ihn hier auch noch unter“, betont Merbitz mit einem Schmunzeln und denkt dabei gleich an seine Polizeidirektion. (mz)