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Pferdefleisch aus Genthin Pferdefleisch aus Genthin: Mittwoch ist Schlachtetag in der Rossschlachterei

Von Katrin Löwe 19.02.2013, 19:03
Mario Walter in der Kühlkammer seiner Rossschlachterei in Genthin. Im Alter von 13 Jahren hat er das erste Pferd geschlachtet.
Mario Walter in der Kühlkammer seiner Rossschlachterei in Genthin. Im Alter von 13 Jahren hat er das erste Pferd geschlachtet. Andreas Stedtler Lizenz

Genthin/MZ - Im Büro hängt ein Firmenfoto von 1928, das eigentlich eher ein Familienfoto ist. „Ganz rechts, das ist mein Ururgroßvater“, sagt Mario Walter. Christian Walter hieß er. Ein Mann, der Ende des 19. Jahrhunderts eine Familientradition begründete: Seither verdienen alle Generationen ihr Geld in Genthin (Jerichower Land) mit Rossschlachterei.

Im Kühlhaus der Firma hängen heute die Pferdeteile, vorn im Laden geben sich Kunden die Klinke in die Hand. Mortadella, Leberkäse, Brühwurst, Salami, Gulasch oder Roulade - das Angebot ist vielfältig. Und wer es bewusst nimmt, statt es via Billig-Lasagne und Co. untergemogelt zu bekommen, wisse Pferd zu schätzen, so Walter: „Die Zusammensetzung ist gesund. Pferdefleisch ist kalorienärmer als Schwein oder Rind, hat einen guten Eiweißgehalt. Viele sagen: Es schmeckt besser, weil intensiver.“

Droht aber nicht auch dem Pferdefleisch selbst mit dem jetzigen Skandal um illegale Beimischungen in Rindfleischprodukte ein schlechter Ruf? Der 48-Jährige zögert. „Man weiß nicht, wo das noch hingeht.“ Seine Kunden würden ihn darauf ansprechen, wie das alles möglich sei. „Aber das verstehe ich selbst nicht“, sagt der Genthiner. Seit Tagen ist der Skandal auch unter Kollegen Gesprächsthema.

Walter glaubt nur zum Teil, dass er sich auf sein Geschäft auswirken wird. Mehr Auflagen, mehr Bürokratie werde es künftig geben, mutmaßt er. „Auch wer den Skandal nicht verursacht, muss ihn mit ausbaden.“ Aber wer bisher Pferd esse, werde es auch künftig tun - zumal, wenn er wisse, dass die Tiere „nicht durch die halbe Welt gekarrt werden“. Seine Kunden, vom Bauarbeiter bis zum Akademiker, hätten schon früher gefragt, wo die Pferde herkommen - aus einem Umkreis von 130 Kilometern.

Pferdepass für jedes Tier

Jeder Besitzer, der ihm ein Tier zur Schlachtung bringt, muss eine Erklärung unterzeichnen, dass es länger nicht medizinisch behandelt wurde. Außerdem wird der Pferdepass vorgelegt, in dem Behandlungen notiert sein müssen. Verunsicherung spüre er bei seinen Kunden jedenfalls nicht, sagt Walter. „Bei mir gibt es auch nur Pferd, da wissen die Leute, was sie kaufen.“ Neben dem eigenen Laden beliefert der Genthiner Wochenmarkthändler. Der Preis liege derzeit nur leicht unter dem von Rind.

In einem europäischen Markt braucht es eine europäisch koordinierte Lebensmittelüberwachung. „Wenn ein Mitgliedsstaat die Nahrungsmittelüberwachung immer weiter abbaut, darf die EU-Kommission nicht tatenlos zusehen“, sagt der Chef des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen. Die Überwachung muss in Europa durchgehend enger werden. Das gilt auch hierzulande, wo nach Auskunft des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure nicht genau genug kontrolliert wird, unter anderem aus Personalmangel.

Die heutigen Strafen für Falschdeklaration sind zu niedrig. Sie liegen für Fahrlässigkeit bei bis zu 50 000 Euro. Das schreckt ein potentes Unternehmen nicht. Schärfere Kontrollen, höhere Bußgelder und der Einzug von Gewinnen, die mit falsch deklarierten Produkten gemacht wurden, könnten dazu führen, dass der Einzelhandel besser kontrolliert, was in die Regale kommt.

Je weiter Produkte reisen und je mehr Menschen beteiligt sind, desto intransparenter ist das System und desto größer die Betrugsgefahr. Lokale Produktions- und Verarbeitungsstrukturen aufrechterhalten und fördern, kann dem entgegenwirken. Auf den fertigen Produkten muss der Anbau- und Verarbeitungsort der Zutaten stehen. „Anonyme Warenströme werden so vermieden“, so Franz-Josef Möllenberg von der Gewerkschaft NGG.

Den Lebensmittelkontrolleuren kann es unmöglich gelingen, zu jeder Zeit an jedem Ort zu stehen. Beschäftigte in der Produktion und im Handel sollten deshalb einen gesetzlichen Informantenschutz genießen, wenn sie Missstände melden, seien es gepanschte Produkte oder mangelnde Hygiene.

Wer sein Essen aus der Region bezieht, selber zubereitet und keine Fertigprodukte kauft, hat bessere Chancen sich vor Täuschungen zu schützen.

Zum Pferd als Lebensmittel haben die Deutschen insgesamt allerdings ein eher ambivalentes Verhältnis, während es in anderen Ländern als Delikatesse gilt. Während der BSE-Krise bei Rindern sei das Fleisch gefragter gewesen, sagt Walter. Für viele ist das Pferd aber eher Freund oder Partner des Menschen statt Steak, für Besitzer „oft das dritte Kind in der Familie“. Manchmal kullern sogar Tränen, wenn sie ihr Tier zur Schlachtung bringen. „Das eigene würde ich auch nicht essen wollen“, sagt Walter, selbst Eigentümer zweier Stuten. Grundsätzlich stehen bei ihm freilich täglich eigene Produkte auf dem Tisch. Pferd oder nicht: „Das muss jeder für sich entscheiden.“

In den 60er Jahren war auch Rossschlachterei in Deutschland noch alltäglicher - allein im Genthiner Familienbetrieb wurden damals rund 1000 Tiere jährlich verarbeitet. Später seien Schlachtpferde oft für Devisen in den Westen gegangen. Heute gilt das Fleisch als Nischenprodukt. 2012 standen in Deutschland 11000 geschlachteten Pferden rund 3,6 Millionen Rinder und 58 Millionen Schweine gegenüber. Der Genthiner führt nach eigenen Angaben eine von zwei spezialisierten Schlachtereien in Sachsen-Anhalt. Vor Jahren seien es 17 gewesen. „Die Auflagen sind hoch“, sagt Walter.

Keine spezielle Zucht für Mast

500 Tiere werden heute jährlich in dem Familienbetrieb geschlachtet, zehn Angestellte hat der Chef, der die Firma 1992 von seinem Vater übernommen hat. Jeden Mittwoch ist Schlachtetag, den Rest der Woche wird verarbeitet. Und von wem kommen die Tiere? Sowohl von Privatbesitzern als auch von großen und kleinen Gestüten, sagt Walter. Zum Teil ausrangiert, weil sie Zuchtzielen nicht entsprechen. Gerade hat Walter den Pass eines fünfjährigen Pferdes vor sich: Es ließ sich nicht reiten. Spezielle Zucht und Mast für die Schlachtung gebe es in Deutschland nicht.

Dafür strenge Kontrollen. „Ich staune, dass der Skandal nicht früher aufgeflogen ist“, sagt Walter. Er als kleiner Produzent werde „wenigstens aller vier Wochen“ kontrolliert. Dann werden lebende Tiere begutachtet, später Proben der Produkte genommen. Bevor die nicht ausgewertet sind, wird das Fleisch nicht verkauft - noch ein Punkt, der für Walter am aktuellen Skandal mit all seinen Weiterungen unverständlich ist. Da war das offenbar anders.