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Peißen Peißen: Dorf ohne Dächer

Von RALF BÖHME 12.09.2011, 20:10

PEISSEN/MZ. - Der erste Blick fällt auf die einst so schöne Fassade. Nichts ist seit dem Unwetter am Sonntagabend mehr von ihr zu erkennen. Hagelsturm bricht aber nicht nur Putz ab. Auch zwei Seiten des sanierten Daches sind weg. "Wahnsinn, da liegt kein Ziegel an der richtigen Stelle", meint der Metallarbeiter. Auf die Frage, wie das Elternhaus seiner Frau jemals wieder hergerichtet werden kann, weiß Rasch noch keine Antwort. Erst einmal müssen Planen auf den Dachstuhl, damit es nicht weiter hereinregnen kann. "Dann will ich schnell wieder gesund werden", sagt Rasch, der an einer Entzündung im Bein laboriert. Hoffnung gebe ihm der Zusammenhalt der Familie und Nachbarschaftshilfe. Aus diesem Grunde stehe auch schon ein halbes Baugerüst am Haus.

Doch das ist die Ausnahme. Die Handwerker aus der Umgebung sind angesichts von 250 schwer beschädigten Häusern allein in Peißen hoffnungslos überfordert. Die Reparatur geht in jedem einzelnen Fall in die Zehntausende, manchmal sogar in die Hunderttausende. Unklar ist den Menschen vor Ort, wer das wie bezahlen soll. Einsatzstab und Handwerkskammern versuchen derweil Kräfte aus ganz Sachsen-Anhalt in die schwer heimgesuchte Region zu lenken. Allerdings geht das nicht von jetzt auf nachher.

Gegenwärtig läuft Hilfe vor allem über die Feuerwehren, das Deutsche Rote Kreuz und das Technische Hilfswerk, alles in allem 280 Einsatzkräfte. In kürzester Zeit sollen 30 000 Quadratmeter Folie gespannt werden, um Wohnungen gegen Regen zu sichern. Kreisbrandmeister Hans-Ulrich Robitzsch: "Trupps zu jeweils neun Einsatzkräften arbeiten Schaden für Schaden ab, Haus für Haus." Zwölf Hebebühnen stehen ihnen dabei zur Verfügung.

Das Unglück trifft in Peißen alle, in den Nachbarorten viele. Besonders schlimm ist aber ein Schicksal in Pömlitz: Dort hat offenbar ein herabstürzender Dachziegel eine 51-jährige Frau erschlagen. In Peißen sind sämtliche Gebäude rund um die Dorfkirche und entlang der Hauptstraße von Schäden gezeichnet, wirken teils sogar einsturzgefährdet. Neben den Fahrbahnen stehen von Hagel demolierte Karossen, ringsum Berge aus geborstenen Ziegeln, zerlöcherten Dachrinnen und herabgespülten Fassadenteilen. Die Instandsetzung dauert voraussichtlich Monate, ohne Unterstützung sicher sogar Jahre. Davon sind die Bewohner am Tag nach dem Hagel-Inferno überzeugt.

Peter Gläser, der ein altes Haus auf Mietbasis erwirbt, zittern immer noch die Hände. Das ist kein Wunder. Die Zukunft seiner Familie, sagt der Arbeiter, liegt faktisch in Trümmern. Die alten Balken des Daches ragen jetzt schutzlos in den Sommerhimmel. Unten am Fundament schmilzt gerade langsam das Eis.

"Wir hatten solche Angst, als der Hagel die Ziegel über uns zerbrach. Meine fünf Kinder weinten. Das Jüngste ist erst vier Jahre alt." Gemeinsam mit seiner Frau habe man sich in einen Hausanbau aus Beton geflüchtet und voll Grausen das Unheil erlebt. Nun ist das erst kürzlich sanierte Obergeschoss nicht mehr begehbar. "Die Lehmwände geben nach, leider", stellt Gläser resigniert fest.

Einen der ersten Container, der Schutt abholt, bringt Michael Sommer aus Eisleben. Sein Eindruck: "Viele Menschen stehen hier noch unter Schock." Die Leute seien schon dankbar, wenn man ihnen die Visitenkarte eines Handwerkers gebe. So hätten sie zwar noch kein Dach über dem Kopf, aber wenigstens eine ganz kleine Aussicht auf Besserung - falls eine Versicherung zahlt. "Allein ist man jetzt verloren", sagt Günther Nöhricke, der auf der anderen Seite des Platzes mit sieben Familienmitgliedern gerade Teile einer zerstörten Veranda auf den Müllberg schleppt. "Ach, das war eine schwarze Wand, die auf das ganze Dorf fiel." Kurz darauf sei das Wasser von oben in die Küche geströmt und das Licht ausgegangen. "So etwas habe ich noch nie erlebt", so der 78-Jährige.